Kapitel #68/3.Lesenacht

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Aus weit aufgerissenen Augen sah ich zu ihm empor. Der Wind strich ihm durch die blonden Haare und ließ sie ihm etwas ins Gesicht fallen, was sie noch mehr verwuschelt als zuvor. Ein kleiner Dreitagebart prackte seine kantigen Wangen und er sah mich aus verletzten, hellen Augen heraus an, die den meinen immer noch so ähnlich sahen.

Für einen Moment überlegte ich loszurennen. Meinem Problem zu entfliehen und erst wieder aufzutauchen, wenn es verschwunden war, doch dieses Problem würde sich nicht von selbst lösen; ich musste mich ihm stellen, egal wie weh es tun würde.

"Bitte nur 5 Minuten", wiederholte er und sah mich aus traurigen Augen an, die mich bis in die Seele zerschnitten. Wieso war er traurig? Ich hatte ihn verletzt! Zögerlich nickte ich meinem Bruder zu, was ein kleines Lächeln auf seine Lippen zauberte, ehe er  vorsichtig neben mich trat. Zusammen liefen wir den Weg entlang, doch keiner von uns wagte es die Stille zu durchbrechen. Was sagte man auch in so einer Situation?
Ich und Sebastian hatten vielleicht nie das 1A Verhältnis gehabt, aber wir sind immer weitgehend gut miteinander klargekommen und hatten niemals so eine Stimmung zwischen uns, wie in diesem Moment. Niemals eine Situation, wo wir uns so unverwandt vorkamen.

"Liebst du ihn?", fragte er schließlich und durchlöcherte mein Profil mit eindringlichen Blicken, die mir nur noch unangenehmer waren.
"Ja", antwortete ich sofort, denn das stand für mich komplett außer Frage. Ich liebte Justin, ob es Sebastian nun passte oder nicht.

Zum ersten Mal seit wir uns in Bewegung gesetzt hatten sah ich ihn schließlich richtig an. Seine Kiefer waren fest zusammengepresst und er sah mit zusammengekniffenen Augen gen Skyline, die sich grell vor un in den Himmel erstreckte. Ich könnt ihm ansehen, dass ihm diese Antwort nicht sonderlich gefiel, doch es dauerte dennoch eine Weile, bis er mir wieder antwortete:"Charlie, er ist nicht so wie du denkst. Ich weiß nicht, was er dir gesagt hat, aber Justin würde sich niemals in ein Mädchen verlieben. Das braucht er nicht, er ist so wie es ist glücklich." Seine Stimme klang ruhig und kein bisschen aggressiv, wie noch bei Justin in der Wohnung. Es schien beinah so, als wolle er mich mit einem vernünftigem Gespräch davon überzeugen wollen, dass seine Worte stimmten, doch mein verrücktes Herz wollte ihm einfach nicht glauben, egal was er sagte.
"Bei mir ist er anders...", versuchte ich es, doch hielt sofort inne, als mir auffiel, wie naiv das ausgesprochen klang.
"Justin wird sich nicht ändern, Charlie!",wiederholte er. Frustriert fuhr er sich mit einer Hand durch die blonden Haare und zerstäubende sie dadurch nur noch mehr.

"Es tut mir so leid", sagte er schließlich, nachdem wir beide gute zwanzig Meter kein Wort herausgebracht hatten, und seine Stimme brach mit diesen Worten langsam ab.
"Ich hab immer gedacht, dass was ich da getan habe, würde nur mir Schaden. Ich habe gedacht, es wäre halb so wild und würde nur mich etwas angehen... Doch nur deshalb stehst du hier, oder? Ohne mich hättest du Justin niemals kennengelernt oder hättest ihn vielleicht einmal bei Ashley gesehen, doch ich bin schuld daran, dass er dir das antut. Er tut es wegen mir und deswegen ist es meine Aufgabe ihn von dir fernzuhalten. Er meint es nicht ernst, Charlie!"

Mein Körper sträubte sich dagegen ihm Glauben zu schenken, doch ich wusste, dass es plausibel war. Dennoch konnte ich es nicht glauben; ich wollte es nicht glauben.

"Sobald du mit ihm schläfst wird er weg sein. Du würdest nur zu gut in seine ein Mal und nie wieder Meute passen. Manche Mädchen nutzt er noch länger aus, wie Ashley, doch denen macht er nix vor. Wenn er einem Mädchen Gefühle vormacht, dann nur um sie ein Mal ins Bett zu kriegen und sie danach wieder fallenzulassen. Glaub mir, ich kenne ihn inzwischen relativ lange und kenne auch seine Art. Er war schon immer so und er wird sich nicht einfach so ändern. Auch nicht für dich.
Aber gut, wenn du mir beweisen willst, dass es anders ist, gehe nicht mit ihm ins Bett. Wenn er länger als eine Woche bei dir bleibt, würde ich es sogar in Erwägung ziehen, aber wir beide wissen, dass dies niemals der Fall sein würde."

Seine Worte lösten einen Schmerz in meinem Inneren aus, den ich lieber nicht verspüren wollte. Ich hatte genau deswegen mit Justin geschlafen; weil ich Angst hatte ihn sonst zu verlieren. Jetzt, wo Sebi es jedoch so ausdrückte, fühlte ich mich unglaublich dumm.

"Du hast es schon, oder?" Sebastian sah mich nicht an, während er das offentsichtliche erfasste. Er lief einfach nur weiter neben mir her, doch in seiner Stimme lag ein angespannter Unterton, der seine überstreuten Nerven zeigte.
Ich entgegnete ihm nichts, doch dies nahm er als seine Antwort an. Ungläubig schüttelte er den Kopf und strich sich zum Wiederholten Male durch die Haare.
"Und? Hat er sich seither gemeldet?", fragte er schließlich, wobei ein ironischer Unterton in seiner Stimme lag, den er einfach nicht zu unterdrücken können schien.
Ich atmete einmal tief durch um zu verhindern, dass meine Stimme zu sehr zitterte, ehe ich mich traute ihm zu antworten:."Nein, aber solange ist es nicht her, er..." "Wird sich auch in 3 Tagen nicht gemeldet haben, oder in 5", unterbrach er mich, immer noch ungläubig über meine Naivität.

Ich hatte das kindische Bedürfnis mir die Hände auf die Ohren zu halten und ganz laute Geräusche von mir zu geben, bis seine Worte verstummen würden, doch das würde nichts ändern. Ich wollte all das einfach nicht hören, wollte nicht hören, dass ich auf Justins Spiele reingefallen war, wollte nicht hören, wie dumm ich war.

"Tu mir nur einen Gefallen", fuhr er fort. Ich schaffte es immer noch nicht ihn anzusehen; mir war nur zu gut bewusst, dass er den Schmerz in meinen Augen sehen würden und das wollte ich um jeden Preis verhindern. Trotzdem nickte ich kurz und hoffte darauf, dass er es gesehen hatte.
Es dauerte einen Moment ehe er fort fuhr:"Renn ihm jetzt nicht hinterher. Du hast mir erst nicht vertraut, tu es jetzt. Wenn du ihm hinterherrennst wird er dir nur noch mehr wehtun. Lass ihn gehen und vergiss das alles wieder, los wäre nie etwas gewesen." Mit einer Hand hielt er mich sanft am Handgelenk fest und zwang mich somit zum Stehenbleiben. Ohne jegliche Vorwarnungen zog er mich schließlich in eine tiefe Umarmung, die ich in diesem Moment mehr als alles gebraucht hatte.
"Bitte! Ich kann nicht zurück ehe ich mir sicher bin, nicht noch mehr Schaden bei dir angerichtet zu haben" Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch ich verstand jedes Wort klar und deutlich. Einen Moment unterdrückte ich noch die Verzweiflung, ehe ich mich schlielich zusammenriss und mit den nächsten Worten sanft gegen seine Brust nickte:"Ich verspreche es dir. Wenn du recht hast gibt es kein Justin mehr in meinem Leben. Dieses Mal wirklich"Ich war selbst erstaunt wie stark meine Stimme klang.

"Danke, aber mach dir keine falschen Hoffnungen; ich werde Recht haben." Sanft küsste er mich auf den Haaransatz un drückte mich anschließend noch fester gegen seine Brust. Ich lauschte seinem Herzschlag, der unter meinem rechten Ohr pulsiertem und setzte alles daran mich zu beruhigen. Immer noch konnte ich seinen Worten nicht richtig glauben schenken oder wollte es zumindest nicht tun, doch ein kleiner Teil tat es bereits.

"Bist du extra deshalb hier hergekommen?", wisperte ich einige Minuten später gegen seine Brust, als keiner von uns mehr etwas zu sagen für nötig hielt.
"Das war das mindeste. Ich werde aber zurückgehen...Emacht nichts von dem wieder gut aber.... Es ist wenigstens etwas.", flnsterte er nicht minder leise zurück.  Ein kleiner Teilv on mir starb bei seinen Worten in sich zusammen.
"Sebi ich gebe dir nicht die Schuld daran. Ich... bin die einzige die etwas dafür kann, dass ich so naiv war." Obwohl ich diese Worte in der Vergangenheit aussprach, glaubte ein Teil von mir immer noch, Justin würde sich melden, und dieser Teil war ich minder naiv als alles, was ich zuvor getan hatte. Ich wusste, dass es dumm war, doch ich wollte meinem Bruder einfach nicht glauben und ließ es nicht zu, mich überzeugen zu lassen.

frightening, completedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt