Kapitel #5

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Der Rest des Tages ging so schnell um, dass ich gar nicht richtig bemerkte, wie die Stunden und Minuten an mir vorbeigingen. Shawn sah ich die ganze Zeit über nicht mehr und meine Mädchen ließen das Thema Jungs zu meinem großen Vergnügen auch irgendwann fallen. Nur Scarlett warf mir hin und wieder noch diese Blicke zu, die mich entweder an Shawn oder an Justin errinern sollten.

Justin, am Anfang habe ich noch gedacht, der Name sei zu lieblich für ihn, aber inzwischen jagte mir selbst der Klang dieses Namens einen Schauer über den Rücken. Um so länger ich über ihn nachdachte, desto mehr Angst bekam ich auch vor ihm und langsam war ich mir selber nicht sicher, ob ich mich da nicht zu sehr reinsteigerte, doch etwas an diesem Jungen stimmte einfach nicht.

An sich hatte Justin zwar nicht mal mehr versucht, mir etwas anzutun, doch das brauchte er auch nicht. Sein Auftreten alleine reichte völlig aus. Ebenfalls hatte er es mir indirekt angedroht, aber das war es auch nicht, was mir so eine Heidenangst eingejagt hatte. Es war seine gesamte Art gewesen. Die Art wie er mich gemustert hatte, ohne jegliches Schamgefühl. Die Art, wie er mit mir gesprochen hatte, als wäre er mir über gestellt.  Außerdem sah man ihm schon an, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

Ok hör jetzt auf Charlie! Du kannst dir nicht einreden, dass dieser Junge nicht gefährlich ist, also denk gar nicht erst über ihn nach! Es läuft eh nur darauf hinaus, dass du noch mehr Angst bekommst und das kannst Du wirklich nicht mehr gebrauchen!

Ich schüttelte kurz und doch intensiv meinen Kopf und trat dann aus der Schule in die brennende Hitze hinein, während ich inständig hoffte, dass ich irgendwann wieder vollständig normal sein würde. Es konnte einfach nicht mein Ernst sein, dass die Begegnugn mit einem Fremden mich dermaßen außer Fassung bringen konnte!

"Weißt du, es ist echt gruselig, wenn du Selbstgespräche führst!", fuhr Scarlett mich missbilligend an. Wenn sie nicht meine beste Freundin wäre, hätte ich sie schon längst für ihre manchmal zu offene Ehrlichkeit umgebracht.
"Das hat was wahnsinniges.", fügte sie noch hinzu, was mich ehrlich gesagt echt ein wenig traf. Es war mir schon immer etwas zu wichtig gewesen, was sie von mir denkt. Jedes Mal, wenn sie mich verurteilte, starb ein kleiner Teil in mir. 

Ich warf ihr nur trostlos einen bösen Blick zu und richtete meine Augen wieder auf den Schulhof, damit sie nicht sah, was ihre Worte wirklich in mir auslösten. So war es jedes Mal, wenn sie einen Kommentar darüber machte, wie wenig Erfahrung ich doch besaß oder wie sehr ich noch an mir zu arbeiten hatte.

Direkt gegenüber der Haupttür unserer Schule pragte ein riesiges Tor, das den einzigen Ausgang aus diesem Knast, der meine Zukunft bestimmte, gewährte und auf das wir in diesem Moment genau hinsteuerten. Direkt hinter dem Tor befand sich der angrenzende Parkplatz, auf dem ich schon viele Autos von Müttern ausmachen konnte, die auf ihre Kinder warteten und ungeduldig auf und ab gingen.
"Ja, der Bus ist ja auch nicht direkt neben der Schule oderso. Holt eure Kinder doch alle einzeln ab!", spuckte Maria genervt hervor, was mich leicht zum Lachen brachte. Manchmal sprach sie einfach genau meine Gedanken aus.

Wir liefen gerade Wegs auf das große Tor zu und mit jedem Schritt, den ich mich diesem näherte, wuchs das Freiheitsgefühl in meinem Bauch ein Wenig mehr an. Doch gerade, als wir das Tor erreichten und ich eigentlich gänzlich der Freiheit verfallen sollte, schrumpfte das Gefühl wieder in sich hinein und machte einem ganz anderen Platz; Panik.
Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte mit aufgerissenem Mund auf die Gestallt vor mir, die ich mir einfach nur einzubilden schien. Das konnte nicht der Realität entsprechen!

Lässig gegen sein Motorrad gelehnt stand da kein anderer als Justin. Wie auch beim letzten und ersten Mal, dass wir uns gesehen hatten, hatte er eine Zigarette in der Hand, dessen Rauch er mit gehobenen Kopf in den Himmel entgleiten ließ. Die andere Hand verbarg er in der Hosentasche und drückte somit den Saum seiner Jeans gerade so weit hinunter, dass man seine V-Line gut erkennen konnte. Seine Haare waren unter einer Snapback versteckt und zum ersten Mal viel mir das Tatoo an seinem Hals auf, dass seine Haut dort verfeinerte. Eine Art Schriftlinie die schmal bis zu seinem rechtem Ohr hinauf lief und kaum zu erkennen war. Um die Hand, mit der er die Zigarette hielt, schmiegte sich ein schwarzer Handschuh, der jediglich seine Finger frei ließ, sodass nur die Handflächen bedeckt waren. Sein weißes V-Neck Shirt schmiegte sich um seine Brust und war so durchsichtig, dass ich die Tatoos auf seiner Brust deutlich erkennen konnte, wie sie verführerisch auf seiner Haut trohnten.

"Charlie?" Maria und Scarlett sahen mich beide verwirrt an. Schnell machte ich meinen Mund wieder zu und schluckte schwer um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. Was wollte er hier?

"Oh mein Gott, ist er das?", fragte Scarlett mich aufgeregt, die die Situation allmählich zu begreifen schien.
"Wer ist wer?", erwiederte Maria nur und warf uns vorwurfsvolle Blicke zu, die andeuten sollte, dass sie sich übergangen fühlte. Scarlett gab ihr daraufhin die Kurzfassung und nun schaute auch Maria interessiert und ein wenig beleidigt zu Justin, der sich die ganze Zeit über nicht mehr bewegt hatte.

Dieser schien jedoch unsere Blicke allmählich auf sich zu bemerken, denn er drehte langsam seinen Kopf in unsere Richtung und sah uns herausfordernt an, was ausreichte, um das Blut in meinen Adern gefrieren zu lassen.
"Er ist verdamt heiß!", schrie Scarlett mit unterdrückter Stimme auf, was mich kurz aus meiner Schockstarre riss.
So was war typisch für Scarlett. Total oberflächlich und in manchen Situtionen riskant, doch typisch.

Ich könnte schwören, ein kurzes Lächeln über Justins Gesicht huschen zu sehen, als die Worte ihre Lippen verließen.

Maria auf meiner anderen Seite bewies dagegen etwas mehr Verstand. "Ehrlich gesagt sieht er mehr gruselig, als heiß aus. Wer in diesem Alter so ein Auftreten an den Tag legt, muss krumme Dinge drehen!", widersprach sie Scarlett sofort. Justin sah uns währenddessen immer noch an und auch ich konnte meinen Blick nicht von ihm lösen, weshalb es zu diesem unangenehmen Blcikkontat kam, den keiner abbrechen zu wollen schien. Er hatte mich erkannt, das wurde mir in diesem Moment klar.

Ein paar Sekunden später sah ich wie Justin einen Jungen, dessen Gesicht ich leider nicht sehen konnte, gewalttätig am Arm packte und grob zu sich umdrehte. Ich konnte an der Anspannung in Justins Gesichtszügen ausmachen, dass er sauer war. Im Laufe des Gesprächs kam er bedrohlich nah an den Fremden heran, bis ihre Oberkörper sich beinah berührten. Der gefährliche Ausdruck in seinen Augen jagte selbst mir eine Gänsehaut ein, und das, obwohl ich gar nichts mit der Situation zu tun hatte und somit in Sicherheit war. Um Nichts in der Welt hätte ich jetzt mit dem Fremden getauscht, dessen Körperhaltung pure Anst ausdrückte.

Auf einmal drehte der Junge sich mit aggressiv schleudernden Armen um und ließ augenblicklich alles um mich herum verschwimmen. Nur noch Justins Stimme, die wie durch einen Schleier bei mir ankam, durchbrach meine Schockstarre.
"Ich gebe dir noch bis Mittwoch Zeit. Sonst werde ich andere Mittel einschlagen!"  Erneut jagten mir Schauer über den Rücken, als ich den Klang seiner Stimme wahrnahm, genauso deutlich wie am Abend zu vor. Die Drohung schwang hörbar in seinen Worten mit und ließ eine gewisse Bedrohung von ihm ausgehen.

Mit vor Schock offenem Mund sah ich gezwungenermaßen zu, wie die Gesichtszüge meines Bruders sich in eine Mischung aus Hass und Angst verzogen.
Was machte er hier? Was machte mein Bruder hier und was wollte Justin von ihm?

frightening, completedWhere stories live. Discover now