Kapitel #36

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Ich warf ihm noch einen letzten entschuldigenden und enttäuschten Blick zu, ehe ich blitzschnell aufsprang und so schnell aus dem Zimmer sprintete, wie noch nie zuvor.

"Charlie, nicht!", schrie mein Bruder mir noch hinterher, der wohl genau in diesem Moment verstanden zu haben schien, was los war, doch ich ignorierte ihn gekonnt und setzte meinen Weg fort. So schnell ich nur konnte sprintete ich die Treppen runter, in der Hoffnung unten meine Mum anzutreffen, und blendete die Stimme meines schnaubendes Bruders gekonnt aus, doch gerade, als ich den Absatz erreichte, packte mich jemand grob am Handgelenk und hielt mich ruckartig fest, sodass ich leicht das Gleichgewicht verlor. Mit einem schmerzhaften Ziehen zog er mich zu sich und das Ziehen, das dadurch entstand, durchfuhr beinah augenblicklich meinen gesamten Körper.

"Tu das nicht, ich warne dich!", zischte er mich wutentbrannt an, was mich zum ersten Mal wirklich Angts vor ihm haben ließ. Ich kam dennoch nicht umhin, diese Drohung mit Justin zu vergleichen. Wenn jetzt Justin vor mir stehen würde, mit diesen Worten, hätte ich sofort einen Rückzieher gemacht, aber das hier war mein Bruder und selbst wenn ich Angts vor ihm hatte, würde ich nicht so schnell kleinbeigeben.

"Es ist zu deinem besten!", erwiederte ich schwach und versuchte mich aus seinem Griff zu lösen, doch umso mehr ich an seinem Griff rüttelte, desto stärker wurde er.
"Lass mich sofort los!", fluchte ich ihn mit erstickter an. Langsam tat sein Griff mir wirklich weh und der Drang mich loszureißen wurde nicht mehr nur von dem Willen ihn zu verraten angetrieben.

Weiter zerrte ich an seiner Hand und versuchte irgendwie aus diesem schmerzhaften Griff zu entkommen, doch ich hatte keine Chance gegen ihn; dazu war er zu stark. Langsam bemerkte ich, wie sich das Blut in meiner Hand staute und dieses leichte kribbeln zusammen mit der lilanen Farbe einsetzte, was niemals en gutes Zeichen war. allmählich stieg die Panik richtig in mir auf und liß mich pures dreimalig verspüren, obwohl ich bereits aufgegeben hatte.

"Sebastian du tust mir weh!", stöhnte ich leise und zerrte weiter an ihm! doch es half nichts. Sein Blick war starr auf mich gerichtet und schien mich regelrecht zu durchlöchern, doch seinen Griff löste er nicht. Ich erkannte ihn in diesem Moment nicht wieder. Es war genau wie damals, als mein Vater meine Mutter geschlagen hatte; er schien eine völlig fremde Person geworden zu sein.

"Sebi...Bitte", flehte ich ihn wieder an, da ich allmählich das Gefühl in meinen Ifngerspitzen verlor und Angts hatte, dass sie mir womöglich noch abfallen würden.

"Was ist hier los?" Die harsche Stimme meiner Mutter erklang hinter mir und wurde sofort von den Wänden widergegeben, als würden Echos sie begleiten. Kaum war ihre Stimme verstummt, hörte ich auch schon einen kleinen Aufschrei gefolgt von einem verzweifelten Wimmern, der mir zeigte, dass sie die Situation begriffen hatte. Sebastian hingegen bekam gar nichts mit; er starrte mich einfach nur weiter wütend an und regte sich keinen zentimeter, geschweige denn löste er seinen Griff ein wenig.

Plötzlich tauchte David zu meiner Rechten auf und zerrte Sebastian grob von mir weg, wodurch dieser Beutel mit dem Körper gegen die Wand knallte. Noch nie in meinem Leben hatte ich soviel Dankbarkeit für einen Menschen empfunden, wie für David in genau diesem Moment, wo er meine Hand gerettet hatte.

Meine Mum kam sofort auf mich zu gelaufen und legte ihre Arme beschützend um mich, in die ich mich nur zu gerne hineinfallen ließ. Zusammen sahen wir so verweilend auf das Geschehen vor uns. David hatte Sebastian entschieden gegen die Wand gepresst und versuchte ihn irgendwie stillzuhalten, doch dieser schlug wie wild um sich und versuchte sich auf diesem Weg seines Griffes zu befreien. Ich konnte mir das Geschehen keine Sekunde lang ernsthaft an sehen und wandte meinen Kopf schnell ab. Erst als ich ihn schräg gegen die Brust meiner Mutter drückte, bemerkte ich die Tränen, die mir in Strömen über das Gesicht rinnen. Als mein Blick dann auch noch auf mein Handgelenk fiel, wurde mir richtig schlecht. Dunkelblaue Striemen zogen sich über meine sonst so blassen Haut, genau an den Stellen, an denen Sebastian Finger soeben noch gewesen waren. Auch meine Mum sah besorgt auf meinen Arm und schien nicht minder entsetzt zu sein als ich selbst. Leicht öffnete sie ihren Mund, um etwas zu sagen, doch ihre Worte wurden von einem lauten Knall übertönt.

Erschrocken sahen wir beide auf. Das Szenerio vor uns hatte sich in der kurzen Zeit geändert. Sebastian stand nun alleine und mit weit aufgerissenen Augen an der Wand, während eine neue Emotion sein Gesicht durchfuhr. Er wirkte aufeinmal wieder verletzlich und reumütig zugleich. David hingegen lag nun zusammengekauert auf dem Boden. Mit der einen Hand hielt er sich die Nase und mit der anderen kramte er in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch, um das Blut aufzufangen, die ihm bereits jetzt die gesamte Hand durchnässte.
Sebastian hatte ihm ganz offentsichtlich eine verpasst und das nicht gerade sanft.

"Was ist denn nur los mit dir?", schrie meine Mum ihn nun verzweifelt an. "So bist du doch nicht. Wer bist du? Du bist nicht mein Sohn!" Sie wirkte in diesem Moment so verzweifelt wie noch nie und so viele Fragen schienen sich in ihrem Gesicht zu zeigen, auf die ihr keiner eine Antwort gabt; keiner außer mir.
"Er hat seit mehreren Stunden keinen Stoff inhaliert", gab ich kleinlaut von mir. Sofort lagen alle Blicke auf mir, jedoch nicht so, wie ich es erwartet hätte.
"Das ist nicht lustig", fuhr meine Mutter mich sofort wütend an. Bei diesem Thema reagierte sie immer überempfindlich, was ihr auch keiner verdenken konnte, bei allem, was sie durchgestanden hatte.

"Ist es auch nicht!" Endlich klang meine Stimme selbstbewusster, wodurch ich die nächsten Wrt erleichtert aussprechen konnte. "Guck ihn dir doch an und zähle Eins und Eins zusammen. Er ist nur so, weil er sich nicht kontrollieren kann. Er hat kein Geld für neuen Stoff und hat sich gestern nur welchen auf einer Party gönnen können. Jetzt ist der Rausch verblasst und sein Körper verlangt nach Neuem. Solange er diesen nicht kriegt, gewährt er Sebastian keine Kontrolle. Er kann nicht mehr klar denken und handelt somit unüberlegt." Die ganze Zeit über sah ich meine Mum an. Ich konnte regelrecht zusehen, wie sich in ihren Augen die Enttäuschungen ansammelte und die Verzweiflung ihre Muskulatur durchfuhr.

"Ich weiß, wer sein Dealer ist und habe bereits mit ihm geredet. Sebastian hat zu mir gesagt, er wäre seit einem Jahr clean, aber....Er ist überhaupt nur hier, weil er neuen Stoff brauchte. Stoff für das er kein Geld besitzt, weshalb er auch ziemlich Stress am Hals hat." Es tat so unglaublich gut das alles auszusprechen; es ließ mich endlich befreiter fühlen und das obwohl die Augen meiner Mutter sich Wort für Wort mehr mit Tränen füllten. Tränen der Enttäuschung, Tränen der Erinnerungen und auch Tränen der Verzweiflung.

Ich konnte ihr nicht länger in die Augen sehen, zu sehr tat mir der Anblick weh. Also ließ ich meinen Blick hinunter gleiten und traf somit aus Sebastians, der mir bereits gewippter war. Viel Emotionen lagen in diesem Moment in seinen Augen. Als erstes fiel mir auf, dass er ebenfalls weinte, doch wenn ich ihn genauer ansah, sah ich auch noch etwas anderes; Dankbarkeit.

Er war dankbar, dass ich ihm dies abgenommen hatte. Er wusste, was jetzt auf ihn zukam und war dankbar, dass ich ihn angestoßen hatte. Dabei war ich mir so sicher gewesen, dass er mich hassen würde.

Genau das zeigte mir letztendlich, dass er noch nicht komplett verloren ist.

frightening, completedWhere stories live. Discover now