All I ever feel (Aidan Turner...

By MissTolkien

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"Wer bin ich eigentlich? Ich glaube, dass mir niemand diese Fragen beantworten kann. Doch sich selbst zu find... More

0.- Vorwort
1.- Ich weiß nicht wann
2.- Der Unterschied
3.- Nicht Heute
4.- Ein Tag mit Ihm
5.- Er ist vollkommen
6.- Wiedersehen
7.- Körper voll Narben
8.- Vergiss nicht, dass ich dich liebe
9.- Warum haben Rosen Dornen?
10.- Dämon
11.- Keine Antwort
12.- Früher war ich anders
13.- Ich hasse mich am meisten
14.- Geburtstag nach Plan
15.- Alte Geschichten
16.- Tanzen
17.- Paris & Blumenkronen
19.- Nicht mehr Allein
20.- Nicht mein Zuhause
21.- Blau
22.- Frei
23.- Lichter
24.- Nicht einfach

18.- Zu viel Angst

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By MissTolkien

«tell me how to fix this, I'd trade my world for one wish - to go back to my other life and get it right»

Am nächsten Morgen werde ich durch meinen schmerzenden Nacken wach. Ich sitze noch immer in dem Sessel in Angus Zimmer, doch habe eine Decke um mich gelegt und Keks schläft neben meinen Füßen. Auch das Fotoalbum und das Polaroid von Aidan liegen fein säuberlich auf dem kleinen Tisch vor dem Fernseher. Ich sehe mich im Zimmer nach Angus um, doch der ist nicht zu finden. Also strecke ich mich und versuche meinen schmerzenden Nacken etwas zu entspannen, als die Tür aufgeht und Angus herein kommt. Er trägt heute einen dunkelroten Wollpullover mit passendem Hemd darunter, sowie seiner Kordhose und den Wanderschuhen. "Ach Shay, bist schon wach. Hab unten an der Rezeption nach Frühstück gefragt. Wir können gleich runter was essen gehen wenn du willst" Ich nicke lächelnd. "Gerne, ich geh mich nur noch anziehen.", sage ich und gehe mit Keks in mein Zimmer, um mich da fertig zu machen. Heute trage ich ausnahmsweise mal was von mir, was sich irgendwie falsch anfühlt. Also tausche ich mein Oberteil gegen eins von Aidan und lache über mein Bett. Sehr wahrscheinlich hätte ich darin nicht besser geschlafen, als in Angus Sessel. Dabei kann ich auch gar nicht lange geschlafen haben, wir haben letzte Nacht immerhin noch lange geredet.

Angus und ich setzen uns mit Keks an der Leine an einen großen Tisch mitten im Speisesaal, was ich eigentlich niemals getan hätte. Der kleine Tisch hinten in der Ecke - das wäre ein Platz für mich gewesen. Da, wo mich keiner sieht und niemand bemerkt. Aber Angus hat da andere Ansichten und ich möchte nicht unfreundlich sein, oder gar Nein sagen. Das darf ich gar nicht. Zum Frühstück gibt es Brot mit ein wenig Aufstrich und ekelhafter Magarine. Meinem Tischnachbarn scheint es jedoch zu schmecken und er lächelt mir mit seiner Brotscheibe in der Hand zu. Ich nehme einen Schluck von meinem schwarzen Tee mit Milch, den ich eigentlich auch nur trinke weil er britisch ist und ich mir schon vor Jahren eingebildet habe, dass ich alles liebe, was britisch ist. "Machen wir heute... Ehm... Was zusammen?", möchte ich schließlich unsicher wissen. Noch keiner von uns beiden hat in der Zeit in der wir zusammen sind, auch nur einmal erwähnt, dass sich unsere Wege ja trennen könnten oder wir verschiedene Dinge unternehmen wollen. Es schien selbstverständlich, dass wir hier zusammen sind. Angus nickt. "Ja, natürlich. Wenn du das willst. Ich dachte, dass wäre sowieso klar." Ich lächle zurück. "Schon. Also, hast du einen Vorschlag was wir machen können?" Angus scheint zu überlegen, während er sich das mittlerweile vierte Brot bestreicht. Ich weiß gar nicht wie er so viel von dem ekelhaften Zeug runterbekommt. "No, also ich denke da fällt mir noch wat ein. Wir können mal an meinem Geburtshaus vorbei schauen und hier gibt et uch ne süße Kneipe und oh, der Aussichtspunkt. Also den muss ich dir zeigen. Das is wirklich klasse da oben." "Gerne.", grinse ich und überrede mich selbst dazu, noch eine Scheibe Brot runterzuwürgen. Mir wird irgendwie schlecht, bei jedem Bissen den ich tue. Kurz denke ich, ich muss mich übergeben, schaffe es dann aber, meinen Magen zu kontrollieren und lasse das Essen einfach sein. Meine Narben beginnen zu brennen und ich habe das dringende Gefühl, meine Haut blutig zu kratzen, doch auch das schaffe ich irgendwie zu unterdrücken. Angus soll nichts merken.
Nachdem wir gegessen haben, ziehe ich mir noch schnell ein paar alte Turnschuhe von mir an, die ich glücklicherweise eingepackt habe. Angus wartet bereits abmarschbereit bei der Rezeption und klopft mit seinem Wanderstock im Takt auf den Dielenboden. "Fertig?", fragt er und richtet sich den Regenhut. Ich nicke fest. "Fertig." Auch Keks kann es wohl kaum abwarten sich zu bewegen, sowie der an der Leine zieht als wir raus gehen. Es ist wärmer als gedacht, was mich ein wenig ärgert. Die Hitze stört mich. Lieber hätte ich peitschenden Regen und Minusgrade, anstatt dem wolkigen Sonnenschein, der die Luft stickig wirken lässt. Angus erzählt mir ein paar Erinnerungen, als wir die kleinen Straßen von Oldham entlang laufen. Er grüßt freundlich jeden Passanten, dem wir begegnen, als würde er sie alle kennen. Ich grinse ihnen immer nur stumm zu, bin zu feige, selbst etwas zu sagen. Nach gut einer Stunde in der wir durch die Stadt gelaufen sind, bleibt Angus mit mir vor einem alten Backsteinhaus stehen. "So, das isses also.", sagt er und sieht sich das Haus genaustens von oben bis unten an. "Das ist das Haus, wo du aufgewachsen bist?", hake ich nach und fasse bedächtig einen der roten Steine an. "Ja, schöne Zeit hab ich hier verbracht. Schöne Zeit. Sollen ma mal rein gehen?" "Oh ja." Ich nehme Keks etwas kürzer an der Leine, als Angus auf die Klingel drückt. "Hoffen ma mal, dass diesmal kein so unfreundlicher Italiener die Tür aufmacht, wa?", fragt er mich mit einem Lachen in der Stimme. Kurze Zeit später macht auch jemand die Tür auf und zur Erleichterung von uns beiden, ist es kein unfreundlicher Italiener, sondern ein - meiner Meinung nach- ziemlich cool aussehender Mann, der circa Mitte 50 ist. "Tach", sagt er und drückt dabei den großen Rottweiler zurück, der sich an seinem Bein aus der Tür zu Keks drücken will. "Tach", antwort Angus und streckt dem Mann die Hand hin, der sie auch annimmt. Er hat eine Glatze, aber seine Handgelenke und sein Kopf sind fast komplett mit Tattoos bedeckt. Außerdem hat er einen grauen Bart und trägt einen Pullover mit der Aufschrift "Harley Davidson".
"Angus mein Name. Ich hab hier ma gewohnt. Is aber auch schon ne ganze Zeit her. Wollte nur mal vorbei schauen, wer hier heute so wohnt.", erklärt Angus freundlich. "Ach, ja dann. Kommt doch mal rein.", meint überraschenderweise der andere Mann und führt uns durch das Haus. Drinnen ist es noch wärmer als draußen, aber da stört es mich nicht mehr. Es ist etwas unordentlich, an den Wänden hängen Fotos von schweren Motorrädern, Frauen in Petticoats und einer jüngeren Version unseres Gastgebers. "Ah, das Wohnzimmer. Ich erinnere mich.", seufzt Angus. "Setzt euch doch.", sagt der Mann und deutet auf eine schwarze Ledercouch. Ich habe Keks ganz fest an der Hand und hoffe, dass er den Rottweiler nicht anbellt und provoziert. Keks ist nicht sehr gut auf andere Hunde zu sprechen, das weiß ich. Es ist besser, ihn manchmal einfach ganz weg zu halten.

Der Mann setzt sich auf den Couchtisch vor uns und grinst erst Angus und dann mich an. "Ach, ganz vergessen. Ich bin übrigens der William. Bin ja immer froh, wenn ich Besuch bekomme. Und ihr macht Urlaub hier? Bist bestimmt die Enkelin, was?", wendet sich William an mich und ich versuche nicht rot zu werden. "Ne, ich bin... Keine Ahnung.", lache ich. "Ist eine neue Freundin von mir. Die Shay.", erklärte Angus.
"Shay, schöner Name. Ich hatte auch mal eine Freundin, die Shay hieß.", sagt William. "Wollt ihr vielleicht was trinken? Ich hab alles da. Wasser, Cola, Tee... Bier? Sogar Whisky, wenn ihr wollt." Angus und ich wechseln einen Blick und bevor ich Wasser antworten kann, sagt Angus: "Wir nehmen beide nen Whisky!" "Super! Das gefällt mir.", lacht William und verschwindet. Angus schaut sich währenddessen noch ein wenig im Zimmer um. "Ich glaubs nicht. Alles noch sie wie früher. Bis auf die Möbel natürlich. Ich weiß noch, als ich meiner Mutter geholfen hab, die Tapete hier anzubringen. Wie alt die schon ist." Angus scheint zu überlegen, doch auch für ihn scheint es schon so lange her zu sein, dass er dafür das Zeitgefühl verloren hat.

Da kommt auch schon William zurück mit drei Gläsern und einer noch fast vollen Flasche schottischen Whiskys. Ich spüre einen kurzen, spitzen Schmerz in meinem Herz. Schottland. Aidan.
Doch darüber kann ich zum Glück nicht lange nachdenken, da ich trinken soll. Der Whisky brennt ganz schön und mit Tränen in den Augen beginne ich zu husten. Angus und William lachen über mich. "Hier komm, nimm noch ein Schlückchen. Du kannst es vertragen, Mädel.", meint William und schüttet mir sofort nach.
Und so geht das eine ganze Weile. Ich weiß gar nicht wie viel Uhr es ist, als ich mich lachend auf dem Ledersofa kugele und William und Angus zuhöre, die die verrücktesten Witze erzählen. Die sind natürlich nicht lustig, doch bei dem Alkoholeinfluss hätte ich sogar über den Untergang der Welt gelacht. Obwohl, das hätte ich auch ohne Alkohol.

"Und... Und jetzt passt auf.", hickst William und gibt sich die größte Mühe nicht vom Tisch zu kippen. Angus und ich klopfen uns schon jetzt vor Lachen auf die Schenkel.
"Was macht n japanischer Golfer im Schwimmbad?" "Pffff..... Keine Ahnung!!", brüllt Angus und haut auf den Tisch. "Ach, ne.", unterbricht William ihn, "Es war... Es war gar kein Golfer. Das war ein Rennfahrer!" Das finde ich jetzt besonders lustig und lache noch lauter. "Haaaa, der war gut!", kreische ich und halte ihm mein leeres Glas Whisky hin. Mittlerweile schmeckt der gar nicht mal so schlecht. William kippt mir wohlwollend nach, wobei die Hälfte vom Getränk auf meinem Schoß landet, was wieder wahnsinnig witzig ist. "Und jetzt.... Jetzt du. Erzähl du mal nen Witz, Shay.", meint Angus und stupst mich fest an, sodass mir mein Glas fast aus der Hand gefallen wäre. "Ach was", winke ich ab. "Komm Mädel, gib dir nen Ruck. Du kennst doch auch bestimmt nen Wisss!", möchte William mich ermutigen. "Na gut. Na gut.", stimme ich mit erhobenen Händen schließlich zu. Schwankend und mit einem drehenden Kopf steige ich auf den Tisch und schaue zu meinen beiden Zuhörern runter. "Ich kenne genau.... Einen Witz. So" Angus und William klatschen bereits begeistert in die Hände und grölen.
"Und der geht so: Wie nennt man einen." Ich stoße kurz auf. "Tschuldigung. Nochmal von vorne. Wie nennt man einen Keks unterm Sonnenschirm?" Die beiden zucken mit den Schultern. "Na ein schattiges Plätzchen!", rufe ich laut und trinke mein Glas in einem Zug aus, um es mit Schwung auf den Boden zu werfen, wo es zerbricht. "Wuhu!" "Yeeeaah!", brüllt William und lässt sein Glas ebenfalls zerbersten. Angus, der aus der Whiskyflasche trinkt, reist begeistert die Arme in die Luft und haut dabei fast den Kronleuchter aus den Ankern.
"I just wanna scream and lose control! Throw my hands up and let it go! Forgot about everything and run away!", beginne ich plötzlich zu singen, ohne wirklich zu wissen warum. Irgendwas in mir, das schreit so laut, dass ich es raus lassen muss. Und bei dem Alkoholpegel ist es ein Wunder, dass ich den Text des Liedes richtig hinbekomme.
"Die Kleine roooooockt!", schreit William mit einer Stimme so tief und rau, das man meinen könnte, er wäre Alice Cooper persönlich. Ich nehme Angus an den Händen und ziehe ihn zu mir auf den Tisch, wo ich anfange zu hüpfen und die Hände durch die Luft werfe. Auch William tanzt auf dem Boden und ich singe immer und immer wieder die selbe Zeile. "Life is so hard, it hurts like hell!"

Die Stunden schein ich gar nicht richtig mitbekommen zu haben, denn es ist bereits dunkel, als wir uns von William verabschieden. Mittlerweile sind wir alle drei wieder näher an einem nüchternen Zustand und ich nehme ihn in die Arme. Er drückt mich fest an sich. Für einen kurzen Moment meine ich James Bond Parfüm und Minze zu riechen, doch ich weiß, dass das nur Einbildung ist. "Bist wirklich eine coole Socke, Shay. Gib net auf", flüstert er an mein Ohr und ich bin erstaunt, warum er gerade das zu mir gesagt hat. "Danke", antwortete ich perplex und etwas sprachlos. Angus und er schlagen die Hände zusammen und nehmen sich dann auch in den Arm. "Machts gut ihr zwei!", ruft William uns noch hinter her, als Angus und ich uns auf den Rückweg machen. "Hey, Angus warte! Du hast was vergessen!" Mit diesen Worten wirft William uns Angus Regenhut zu, den er mit einer lockeren Handbewegung fängt und sich aufsetzt. "Wir sehen uns, William!", meint er noch, bevor wir uns endgültig umdrehen. Gerne würde ich William wiedersehen, doch etwas in mir sagt mir, dass ich das nicht werde.

Es ist zum Glück kälter als heute morgen und ich vergrabe meine Hände in den Hosentaschen. Es scheint sogar geregnet zu haben, da das Kopfsteinpflaster, auf dem wir laufen, nass ist. Doch die Wolken haben sich verzogen und Sterne leuchten über uns. "Jetzt waren wir gar nicht auf dem Aussichtspunkt, den du mir zeigen wolltest", stelle ich mit ein wenig Bedauern fest. Auch wenn ich im Endeffekt nicht viel mitbekommen habe und mir jetzt mal wieder kotzübel ist (diesmal jedoch ausnahmsweise vom Alkohol), war es ein schöner Tag. Angus schaut auf seine Uhr. "Na wenn du willst. Von hier aus ist es gar nicht mehr so weit. Dann können wir jetzt noch nen kleinen Abstecher machen." Begeistert nicke ich. "Bitte, bitte." Angus lacht und schlägt eine andere Richtung ein. Die Stadt scheint bereits um diese Uhrzeit schon wie ausgestorben zu sein. Kein Mensch ist in den kleinen Gassen und auf den Straßen zu sehen und auch nur in ein paar Fenstern erkennt man Licht. Die einzige Beleuchtung kommt von den milchigen Straßenlaternen über uns, die jedoch auch nur in großen und spärlichen Abständen angebracht sind. Schließlich verwandelt sich das Kopfsteinpflaster in weiches Gras und Angus führt uns einen schmalen Pfad einen Berg hoch. Meine Lunge fängt an zu brennen und nur mit Mühe schnappe ich nach Luft. Es fällt mir schwer, mit ihm Schritt zu halten. Jetzt reiß dich zusammen, Shay, du wirst jetzt keinem Rentner hinter her hängen. Doch auch meine Eigenmotivation bringt da nicht sonderlich viel. Zum Glück ist der Berg nicht besonders hoch und endlich bleibt Angus stehen. Er hat den ganzen Weg über kein Wort gesagt, nur leise gepfiffen, was ich irgendwie angenehm fand.

"Da sind ma.", sagt er und lässt sich auf eine Bank fallen. Ich setze mich zu ihm und schaue so wie er auf Oldham hinunter. Die Stadt ist von hier oben genauso dunkel wie wenn man durch sie läuft, doch sieht man von hier noch viel mehr Sterne, die Umrisse des Waldes, die sich auf der anderen Seite von Oldham befinden und unendlich weite Felder. Die Nacht kommt mir auf einmal heller vor als der Tag, sehe ich doch jetzt viel mehr.
"Schön, nich?", unterbricht Angus die kurze Stille die entstanden ist, in der wir uns einfach nur die Aussicht angesehen haben. "Wunderschön", hauche ich berührt. "Ich meine, ich kenne Oldham nicht so wie du, aber es ist wunderschön. Auch für mich als Fremde." Ich mache eine kurze Pause und sehe Angus an. "Danke, dass du mich hier hin gebracht hast." Angus schaut nun auch mich an und fängt leicht an zu lächeln. "Hab ich doch gern gemacht, Kleine."
Wir schauen wieder auf die Stadt. Langsam brennen mir Tränen in den Augen und ich versuche sie krampfhaft zurück zu halten. Ich weiß gar nicht, warum ich ausgerechnet jetzt anfangen muss zu weinen. Ob es die Sterne sind, die Kälte, oder einfach nur Angus der schweigend neben mir sitzt. Irgendwas verleitet mich dazu an ihn zu denken und damit an den ständigen Schmerz. Ich ziehe meine Nase hoch und Angus wendet sich besorgt an mich. "Hey, Shay. Ist alles in Ordnung?" Ich schüttel den Kopf. Das erste mal, das ich auf diese Frage eine ehrliche Antwort gebe. Und das noch bei einem neuen Freund. Xenia und Aidan habe ich dabei Monate und jahrelang ins Gesicht lügen müssen. Bei Angus ist das anders. Ich fühle mich nicht schlecht oder falsch, wenn ich mit ihm rede. Wenn ich ihm von meinen Erinnerungen erzähle, oder von meinen Gefühlen.
"Ich vermisse ihn.", sage ich einfach. Das ist das einzige, was mir gerade einfällt. Angus legt einen Arm um mich. "Aidan?" Ich nicke.
"Du hast mir noch gar nicht erzählt, was mit ihm ist. Möchtest du mit mir darüber sprechen?" "Ja" Während ich rede, spiele ich nervös mit meinen Fingern. Brauche ein paar Sekunden, um die richtigen Worte zu finden. "Er, ehm, er ist vor ein paar Wochen nach Schottland gefahren. Mit Xenia und Dean. Die drei machen da Urlaub. Den Sommer über."
"Und du wolltest nicht mit ihnen fahren?", fragt er und reicht mir ein Taschentuch.
"Nein, also ich wollte eigentlich schon mitfahren. Es hat mich nur keiner gefragt. Xenia hat mir ja noch nicht mal von dem Urlaub erzählt. Hätte Aidan es mir damals nicht gesagt, wüsste ich es bis heute nicht. Weißt du, die ganze Zeit habe ich gedacht, sie wären meine Freunde. Ich kenne Xenia schon so ewig lang. Sie ist wie meine Schwester. Und Aidan. Er ist einfach alles für mich. Und dann... Dann möchten sie mich nicht dabei haben. Haben mich total vergessen. Wie jeder. Nur hätte ich von ihnen am wenigsten gedacht, dass sie mich vergessen."
"Aber du weißt doch gar nicht, warum sie dich nicht gefragt haben. Hattest du einen Streit mit Xenia? Vielleicht hatte sie Angst, dich zu fragen. Angst, wie du reagierst."
"Wie soll ich denn reagieren? Ich bin doch keine Furie! Ich hätte mich sehr gefreut, hätte einer der Drei gefragt.", antworte ich mit einer seltsamen hohen Stimme, die ich immer bekomme, wenn ich mich aufrege. "Gut, dann war es vielleicht was anderes.", versucht Angus mich zu beruhigen. "Denn wenn ihr euch so lange kennt, wird sie einen Grund gehabt haben, Shay."
"Kann ja nur ein blöder Grund gewesen sein.", murmel ich und putze mir zum zweiten Mal die Nase.

"So war sie schon immer.", platzt es plötzlich aus mir heraus. "Sie hat immer nur an sich gedacht. Ihr Wohl war wichtiger, als das von mir oder anderen."
"Na, da bin ich mir jetzt nicht so sicher", unterbricht Angus mich.
"Wieso? Du kennst sie doch gar nicht.", sage ich verwundert. Angus zuckt mit den Schultern. "Aber den Erzählungen nach glaube ich nicht, dass sie so egoistisch ist. Und außerdem, jeder handelt doch immer zugunsten von sich selbst, oder? Das macht man noch nicht mal mit Absicht. Das ist menschlich."
"Nö", meine ich gedämpft. Ich denke immer, ich handel nicht nur nachdem, was für mich selbst gut ist.

"Shay, liebe Shay, ich möchte, dass du mir jetzt mal zuhörst." Angus räuspert sich. "Xenia wollte dich ganz bestimmt nicht damit verletzen, dass sie dich nicht gefragt hat, ob du mit nach Schottland kommen möchtest. Glaub mir das bitte."
"Hmpf. Irgendwie. Tut mir leid, aber das kann ich nicht glauben. Es hat mich einfach so verletzt, dass ich..." Erneut breche ich in Tränen aus.

"Weißt du Angus, ich weiß, dass es nicht nicht Xenias Schuld ist", flüstere ich, bin mir bewusst, dass ich jetzt etwas sagen werde, dass ich noch nie jemandem gesagt habe, "Es ist meine Schuld. Ich bin ein Monster. Ich bin nicht mehr die, die ich mal war." Ich fahre über die Narben an meinem Unterarm. "Ich habe sie verschreckt. Ich habe alle von mir abgestoßen, obwohl ich sie doch so sehr brauche und so gerne bei mir hätte. Ich kann nur zerstören. Ich mache immer alles kaputt."
Angus drückt mich etwas fester. "Immer bin ich es, die etwas ruiniert. Weil ich zu viel Angst habe, die Dinge zu sagen, die es wert sind gesagt zu werden. Noch keine Umarmung oder ein Ich liebe dich bekomme ich raus, wenn es drauf ankommt. Ich habe zu viel Angst... Zu viel Angst..." Mein Leben zu beenden, füge ich still hinzu. Das habe ich so laut gedacht, das hätte man hören müssen.
"Manchmal hab ich sogar Angst vor mir selbst.", sage ich und lache dabei leicht. "Angst vor dem, was ich mir selbst antun kann." Mit diesen Worten rolle ich den Ärmel des Pullis etwas hoch und zeige Angus im Dunkeln die schimmernden Narben auf meiner nackten Haut. Sie sehen schlimm aus, gehen tief, doch ich finde sie auf eine bizarre Weise wunderschön. Anders als erwartet legt Angus eine Hand auf meinen Unterarm und sieht mir fest in die Augen. "Ich weiß", sagt er leise, "Manchmal ist dieser Schmerz der einzige Weg."
"Und weißt du ", schluchze ich, "Xenia weiß hiervon" Demonstrativ schüttel ich mit meinem Arm. "Sie weiß, dass ich das mache. Sie hat es gesehen. Und alles was sie getan hat, ist zu fragen was ich da gemacht habe. Ich hab "nix" gesagt, und dann hat sie genickt und damit war das Thema für sie gegessen. Ich weiß nicht in wie vielen Millionen verschiedenen Arten ich in diesem Moment um Hilfe geschrien habe, aber sie hat es nicht bemerkt. Und da habe ich verstanden, dass sie sich wirklich nicht für mich interessiert. Verstehst du Angus, deine einzige und beste Freundin, sieht dass du dir etwas antust und sie sagt einfach nichts zu dazu. Ich bin ihr so egal.
Sie hat keinen Grund mich nicht gefragt zu haben, sie hat es einfach nicht getan, weil ich ihr gleichgültig bin." Angus schluckt. "Ach Shay, ich bin mir immer noch sicher, dass du ihr nicht egal bist. Xenia kann damit vielleicht nicht umgehen - gerade weil du ihre beste Freundin bist. Versuche sie zu verstehen. Was würdest du tun, wen sie sich etwas antun würde?" Ich überlege kurz. "Ich würde sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass sie nie allein ist. Dass sie das nicht tun muss, weil ich bei ihr bin. Und das wenn sie sich weh tut, sie mir damit auch weh tut.
Aber sowas verlange ich ja gar nicht von Xenia. Ich möchte nur, dass sie sich wenigstens etwas geregt hätte und nich noch so doof gefragt hätte, was ich da gemacht habe. "
"Aber so reagieren die Leute, wenn sie damit konfrontiert werden. Menschen sind überfordert. Überfordert mit dem Schmerz, den jemand empfinden muss, um sich sowas anzutun. Xenia hat sich in dem Moment genauso hilflos gefühlt, wie du, Shay."
"Pf", mache ich, "Das glaube ich weniger. Ich bin so müde, Angus. Ich bin einfach müde. Müde von allem. Vom Schmerz, vom Leben." Mein Kopf sinkt auf seine Schulter und die Sterne am Himmel verschwimmen durch die Tränen in meinen Augen. "Einfach alles was die Leute, die ich liebe, sagen oder tun, es tut einfach weh. Sogar nette Gesten, Sprüche. Alles."

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