days at bakerstreet

By septemberdreaming

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Die 27-jährige Louise James ist froh, so kurzfristig eine Bleibe in London gefunden zu haben. Nach ihrem Einz... More

Ankunft in London
Gewöhnung an den Wahnsinn
Mein erster Mord(fall!) (the blind banker)
gehe direkt ins Gefängnis, gehe nicht über Los (the blind banker)
Märchenpalast (the blind banker)
Eine schrecklich nette Familie (the blind banker)
Date Night (the blind banker)
Meine Nahtoderfahrung No. 1 (the blind banker)
Babysitter
CSI: Baker Street (the great game)
Die Medikamente sprechen (the great game)
Janus (the great game)
Herzlos (the great game)
• [Extrakapitel Sherlock POV] (the great game)
Schlaflos in London
Warum sind die Guten immer vergeben... oder Soziopathen
Liliennächte
Bonnie und Clyde
Atemlos
Pretty Woman (a scandal in belgravia)
[Extrakapitel Merry Christmas ♥]
Harmlos, aber nervig (a scandal in belgravia)
And a happy new year (a scandal in belgravia)
Verwandte Gehirne (a scandal in belgravia)
I AM SHERLOCKED (a scandal in belgravia)
Die (un)gewöhnlichen Fällen
Blaubeeren und Dunkelheit
09:16
● [Extrakapitel SHERLOCK]
Selbsterklärte Inseln (the hounds of baskerville)
Ängste (the hounds of baskerville)
Oxymoron (the hounds of baskerville)
Trugbilder (the hounds of baskerville)
Gewinnerseite (the hounds of baskerville)
● [Extrakapitel SHERLOCK] (the hounds of baskerville)
Zeitkapseln
Matthew
Theodore
Tommy I/II
Raubtiere
Auftakt
Umbruch I/II
Umbruch II/II
Champagner für den Pöbel
Elementary my dear... Anderson?!

Tommy II/II

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By septemberdreaming

A/N: Hi 👋🏻 Das nächste Kapitel folgt wieder Ende der Woche ☺️

Nach dem nächsten Kapitel kann es aber erstmal zu einer kleinen Pause kommen, da ich noch nicht weiter geschrieben habe & gerade Klausurphase habe 🙏🏻😫

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>>and if you take my hand, please pull me from the dark<<
(so far - olafur adrnolds)

Es regnet.

John versucht mich zu überreden, im Auto zu warten. Ich vermute, es hat eher weniger mit dem Regen zu tun.

Also stehen wir nur schweigend neben dem Wagen und warten, während die Kriminalbeamten aus Hornsea ihre Arbeit machen, und die Regentropfen laut auf die Baumkronen über uns  einprasseln.
Wegen Sergeant Gibsons Beteiligung lassen sie zunächst keinen Beamten aus Bridlington daran arbeiten.
Die gelegentlichen Gespräche der Forensiker gehen bei dem Regen fast gänzlich unter.

,,Konnten die Matthew inzwischen finden?", frage ich bitter.

,,Nein", sagt Sherlock und mir entgeht sein unzufriedener Gesichtsausdruck nicht - das leichte Zusammenziehen der Brauen, der harte Ausdruck in seinen Augen, die angespannten Muskeln seines Kiefers.
- Der Ausdruck, wenn ihm etwas entgeht.

Wütend beuge ich mich vor.

,,So viel zu Ihrem Plan - Wie können Sie nicht wissen, wo er ist, Mr. Consulting Detective?", sage ich und die Worte kommen mir schärfer über die Lippen als beabsichtigt. ,,Sie wissen doch immer alles!", spotte ich.

,,Warum sollte ich wissen, wo er hin sein könnte", erwidert Sherlock ebenso gereizt. ,,Sie kennen ihn besser - Er war schließlich nicht mein Verlobter, oder?"

,,Sherlock!", fährt John ihn perplex an.

Ich lehne mich gegen die Fahrertür und streiche mir einige nasse Haarsträhnen zurück.

,,Nein. Ist schon gut", sage ich seufzend.
Meine Schulter sacken zusammen. ,,Ich habe es eben nicht so gemeint."

John sieht von mir zu Sherlock. ,,Das ist der Moment, in dem du sagst, dass du es auch nicht so gemeint hast."

,,Danke, John", sagt Sherlock bissig. ,,Ich glaube, wir schaffen es auch eine Unterhaltung ohne deine Übersetzungsfähigkeiten zu führen."

,,Bezweifle ich irgendwie", murmelt John und vergräbt die Hände in seinen Jackentaschen.

Mit einem Mal werden die Stimmen lauter und die Stimmung schlägt augenblicklich um.

Angespannt richte ich mich auf und halte den Atem an.

,,Wir haben etwas gefunden", ruft einer der Forensiker über den Regen hinweg.

Das Laub ist nass und weich unter meinen Sohlen, als ich loslaufe.

,,Louise!", ruft John hinter mir.

Die Beamten, deren Regenjacken mit der Aufschrift Forensic Unit sich im Wind blähen, beugen sich über die Stelle und versperren die Sicht.
Sie haben aufgehört zu graben.

Bevor ich einen weiteren Schritt machen kann, greift jemand nach meinem Arm.

,,Lassen Sie mich los!", fahre ich Sherlock erzürnt an und schaffe einen weiteren Schritt, bevor er mich aufhält.

Sein Arm schlingt sich um meine Taille und verhindert, dass ich mich weiter bewegen kann.

Ich winde mich, aber Sherlocks Griff ist eisern, während die Forensiker sich über die Stelle der Ausgrabung beugen. Ein flaches Grab.
Tommy ist die ganze Zeit hier gewesen.

,,Bringen Sie sie hier weg. Sie sollte das wirklich nicht sehen", sagt einer der Polizisten zu Sherlock und der bedauernde Blick, der er mir zu wirft, verrät mir alles, was ich wissen muss.

,,Sherlock", sage ich mit erstickter Stimme und versuche mich seinem Griff zu entziehen.
Eine Hand wandert an meinen Nacken.
Meine Bewegungen werden langsamer, kraftloser, bis ich den Kopf senke und meine Stirn gegen seine Schulter drückt, während mein Atem schwer geht.

___________________

Alfred Bean Hospital, Bridlington
Die Wand ist kalt an meinem Rücken, selbst durch meinen Strickcardigan hindurch.
Ich lasse den Kopf dagegen sinken und schließe die Augen, während sich die Sekunden wie Stunden anfühlen.

Die Tür schwingt auf und ich bin sofort hellwach. Ich stoße mich von der Wand ab und mache einige Schritte auf John zu.

,,Ist - ist es Tommy?", frage ich und ziehe die Jacke enger um meinen Körper.

Mir wird in dem Moment klar, dass ein ganz kleiner Teil von mir tatsächlich noch gegen jede Vernunft geglaubt hat, dass es nicht wahr ist. Es ging nicht wirklich darum, wie realistisch oder wie logisch diese Möglichkeit war, sondern nur, dass sie noch existiert hat. Bevor die Ergebnisse des DNA-Vergleiches schwarz auf weiß vorgelegen haben.

,,Ja"

Und da war es also.
Das Ende nach der ganzen Zeit.
Ein knappes ja auf einem verlassenen, sterilen Gang ganz unten im Kellergeschoss eines Krankenhauses, das alles beendete.

,,Ja", wiederhole ich also leise und nicke.

Meine Stimme klingt heiser.

Die Anspannung fällt von mir ab, aber es ist kein gutes Gefühl. Vielmehr scheint mich die Anstrengung und die Ereignisse der letzten Tage plötzlich einzuholen.

,,Die Ergebnisse der... Untersuchung", sagt John behutsam. ,,Stimmen mit einem Autounfall, wie Spencer und Theo in geschildert haben, überein."

,,Okay. Also."
Ich fahre mir durch die Haare und drehe mich so, dass ich nur noch die grau gestrichene Wand des Ganges vor mir sehe. Es kostet viel Kraft, aber ich weine nicht.

Ich kann es fühlen. Der Tumult, der in mir zu toben scheint, direkt unter den Knochen meines Brustkorbes.
Aber ich kann es noch zurückhalten.

,,Ihre Eltern sind oben", fügt John hinzu.

Meine Kehle ist trocken.

,,Okay", sage ich wieder, aber es klingt mehr wie ein Krächzen. Ich räuspere mich. ,,Ich - ich schätze, ich sollte zu Ihnen gehen."

Meine Stimme klingt überraschend fest. Pragmatisch. Beherrscht. Aber ich fühle mich, als wäre ich nicht vollständig anwesend und es ist, als würde ich einer Fremden, die meine Stimme hat, beim Sprechen zuhören.

Ich habe mich nicht von der Stelle bewegt, als wären meine Füße mit dem Boden verschmolzen.
An der Decke umschwirrt eine Fliege die grellen Lichtpaneele. Und ich frage mich, ob nur mir ihr Summen und das Knistern der Deckenleuchten so laut vorkommt.

Ich will nicht nach oben gehen, wo Mum und Dad warten, wo der Rest der Welt wartet.

Ich will hier bleiben. Eine Etage unter der Erde, wo außer uns niemand zu sehen ist und ich meinen eignen Herzschlag höre.

Ob es sehr skurril ist, dass ich die kalten Flure ohne Tageslicht, die Leiche meines Bruders in einer Metallbox zwei Türen weiter, als seltsam friedlich empfinde?
Sehr wahrscheinlich, ja.

,,Brauchen... brauchen Sie noch etwas Zeit?", höre ich John fragen. ,,Ich kann mit Ihnen sprechen, zusammen mit der Polizei", bietet er an.

Ich atme hörbar aus und mein Brustkorb senkt sich.
,,Das wäre-", beginne ich und stocke dann. Das wäre? Gut, wunderbar, feige?

,,John - danke", sage ich stattdessen ehrlich.

John nickt nur und sieht mich mitfühlend an.
,,Natürlich."

Die Deckenleuchte flackert kurz. Erst jetzt wird mir klar, dass Sherlock noch hier ist.

,,Sie können auch gehen, Sherlock", sage ich und lasse mich auf einen der Kunststoffstühle sinken.

Ich schließe die Augen und presse die Zähne aufeinander. Ich kann die Tränen hinter meinen geschlossenen Lidern spüren.

Metall kratzt über den Boden.

Ich schlage die Augen auf.

Sherlock hat sich auf den Stuhl neben mir gesetzt, aber er sieht mich nicht an, sondern hat den Blick auf die Wand vor uns gerichtet.

,,Gehen Sie", sage ich wieder.
Ohne, dass ich es will, klingt es viel mehr wie eine ängstliche Frage als eine Aufforderung.
Es ist schwer, mit ihm so dicht neben mir.
Jedes Wort kostet mich Überwindung, bei jeder Silbe habe ich Angst, dass der Damm bricht.

,,Sie sollten John folgen."

,,Lieber nicht. Ich bin nicht so gut, was die Gespräche mit Angehörigen betrifft. Wie Sie sicher wissen."

Ein plötzliches, hartes Lachen entweicht mir. ,,Was bin ich denn?", frage ich.
Es ist bloß eine rhetorische Frage, aber Sherlock hält tatsächlich nachdenklich inne und antwortet mir.

,,Sie sind... anders."

Gequält senke ich den Blick.

,,Ich-", beginne ich, aber schluchze bereits nach dem ersten Wort auf.

Also presse ich die Handballen gegen die Augen, während ich mich auf dem harten Plastikstuhl vorbeuge und weine. Ich fühle mich, als würde ich keine Luft bekommen.

Ich drücke mit den Fingern auf meinen linken Handballen, damit der Schmerz mich wieder erdet, aber ich weine nur noch heftiger.
Es ist ein lautes, hässliches Geräusch. Und ich kann nicht damit aufhören.

Ich drücke noch fester auf meine Hand, grabe die Nägel tiefer in die Haut.

Eine Hand schiebt sich über meine und stoppt mich.

,,Sie tun sich weh", sagt Sherlock leise.

Meine Nägel haben rote, wütende Abdrücke auf der Innenseite meiner Hand hinterlassen. Erst jetzt spüre ich den Schmerz, das Brennen der Haut, aber selbst das wirkt dumpf und unwirklich.

Meine Hand ist klein in seiner.

Meine Wahrnehmung scheint sich auf die Schwielen seiner Fingerkuppen, die über meine Haut streichen, zu reduzieren, auf das Geräusch meines eigenen Atems.

Ich fahre mir mit der anderen Hand über die Wangen und verteile meine verlaufene Mascara wahrscheinlich noch ein bisschen mehr auf meinem Gesicht.

Ich schließe die Augen.

Und für einen Moment höre ich auf an Tommy zu denken, an Matthew zu denken und bin einfach nur unendlich müde.

Ich lasse den Kopf gegen die Wand sinken. Hinter meinen geschlossenen Lidern ist das grelle Licht der Deckenlampe nur noch ein unförmiger, heller Fleck.

,,Gefühle sind ein chemischer Defekt für Sie, schon vergessen", wispere ich.

Sherlocks Stimme ist rau. ,,Das habe ich gesagt."

Aber er steht nicht auf, lässt meine Hand nicht los.

Und so ruht meine Hand weiter locker in seiner, während wir zusammen auf dem leeren Gang sitzen und meine Atmung sich langsam wieder beruhigt.

_____________________

Grindale, 20:23
Es ist bereits dunkel geworden.

Ich habe mich in den Sand gesetzt und sehe aufs Meer hinaus. Ich bin so an London gewöhnt, dass die Stille und die wenigen Lichter in der Nacht mir inzwischen fremd geworden sind.

Von hier aus sind nur der Schein des Leuchtturmes und einige, gelegentlich aufblitzende Lichter in der Ferne zu sehen. Ich ziehe meine Beine näher zur Brust und schlinge meine Arme um meine Knie.

Die Wellen spülen sachte an den Strand an. Eines der roten Lichter blinkt erneut kurz auf dem tiefschwarzen Wasser.

Ich lege den Kopf auf den Armen ab und beobachte die Gischt der Wellen, die sich zurück zieht und dann wieder anrollt.

,,Finden Sie nicht der April ist ein wenig zu kalt für Strandspaziergänge?", ruft eine vertraute, tiefe Stimme.

Ich hebe den Kopf an.

Der Wind zerrt an meinen bereits zerzausten Haaren. Ich fasse sie auf einer Seite zusammen und halte sie fest.
Kritisch wandert Sherlocks Blick über mein Gesicht.

Ich streiche mir eine Haarsträhne aus der Stirn und lächle traurig.
,,Ich weiß, ich sehe schrecklich aus", sage ich. Meine Augen sind gerötet. Die Haut an meinen Wangen ist gereizt und brennt leicht.

Sherlock hält inne.
,,Sie sehen müde aus", sagt er dann.

,,Naja", sage ich abwesend. ,,Es war ein langer Tag."

,,John hat sich Sorgen gemacht."

,,Ich bin okay. Ich wäre gleich zurückgekommen. Sind Sie zu Fuß gegangen?"

,,Es sind nur ein paar Minuten hier runter, Louise", sagt Sherlock und überrascht mich, als er sich neben mich in den Sand setzt. Er fragt nicht, wie es mir geht, oder erwähnt die Geschehnisse des Tages an, die unausgesprochen über uns zu schweben scheinen, und dafür bin ich dankbar.

,,Ich wollte nur- ich weiß auch nicht", erkläre ich. ,,Da drinnen habe ich mich so eingeengt gefühlt, ich wollte ein wenig unter freiem Himmel sein."

,,Wie war das mit Ihrem ich hasse die Natur?"

Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen. ,,Sie hören mir ja doch zu. Ich dachte ehrlich gesagt, Sie blenden die Hälfte von dem, was ich sage aus und hören nur weißes Rauschen."

,,Die Nachteile meiner Begabung", sagt Sherlock und tippt sich an die Schläfe.

Ich wende den Kopf und betrachte ihn aufmerksam.
,,Warum sehen Sie mich so abwartend an?", frage ich dann.

Sherlocks Worte sind überraschend unsicher. ,,Ich dachte, vielleicht Sie wären... wütend", das letzte Wort kommt ihm knapp und hart über die Lippen.

Verwirrt lege ich die Stirn in Falten. ,,Auf Sie? Warum?"

,,Sie wollten nie herkommen. Und wegen meinem Versprechen."

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen.

,,Ich habe versprochen, Ihnen keine Hoffnungen zu machen", fügt er hinzu.

,,Naja, also eigentlich haben Sie versprochen, meinen Eltern keine Hoffnungen zu machen", sage ich langsam.

Sherlocks Augen sind eisblau. ,,Habe ich Ihnen falsche Hoffnungen gemacht?", fragt er eindringlich.

Ich seufze und beobachte wieder die Wellen.
,,Nein. Ich selbst habe das, ehrlich gesagt. Ich habe meine Mum immer dafür bemitleidet, so zu denken. Und manchmal auch gehasst. Hoffnung tut weh. Aber ich schätze, ich bin ihr ähnlicher als ich dachte. Ich war wütend auf Sie... am Anfang.Aber jetzt - Vielleicht war es das Richtige. Vielleicht sollte ich Ihnen vielmehr danken."

Sherlocks presst die Lippen zusammen. ,,Dafür, dass Sie jetzt wissen, dass Ihr Bruder tot ist und Ihr ehemaliger Verlobter mit daran Schuld halt und Sie jahrelang belogen hat?", fragt er hart.

,,Ja, danke für die Erinnerung daran, dass mein Leben die reinste Katastrophe ist, Sherlock", erwidere ich müde. ,,Die Polizei konnte Matthew immer noch nicht finden."

,,Ich weiß, Sie wollen-"

,,Eigentlich", unterbreche ich ihn. ,,Will ich hier weg. Ich will, dass das Ganze vorbei ist. Es ist mir egal, wann und ob sie Matthew finden. Ich habe die Antworten, für die wir hergekommen sind, oder?", sage ich und einige, verräterische Tränen stehlen sich aus meinen Augenwinkeln.

Hastig wische ich sie mit dem Ärmel meiner Jacke weg. Aber natürlich bemerkt Sherlock es.

,,Tut mir leid - Das sind genug Gefühle für einen Tag für Sie, oder?", schniefe ich und versuche zu lächeln. Es funktioniert nicht besonders gut.

Sherlock zögert. ,,Ich kann John holen?"

Diesmal lächle ich wirklich. ,,Ich will nicht mit John sprechen."

,,Was wollen Sie dann?"

,,Ich weiß es nicht. Erzählen Sie mir etwas?"

,,Über-?"

,,Einfach - Irgendetwas", unterbreche ich ihn. ,,Irgendetwas anderes. Bitte."

Ich sollte wütend auf ihn sein. Nachdem er gegen meinen Willen dem Verschwinden meines Bruders nachgegangen ist.
Nach Baskerville. Nach all den verletzenden Dingen, die er mir in der letzten Zeit an den Kopf geworfen hat. Ein Haufen aus kontradiktorischen Worten und Taten.

Vielleicht denkt Sherlock wirklich, Gefühle wären nur eine Schwäche, die er nicht besitzt. Vielleicht sieht er in mir wirklich nur eine nervige Nachbarin, einen interessanten Fall. Ein Experiment sagt die gehässige Stimme in meinem Kopf, die seine Worte in Baskerville nicht vergessen zu können scheint.

Aber jetzt gerade - Da will ich seinen Trost, auch wenn er vielleicht rein gar nichts für mich empfindet. Aber ich fühle mich besser.
Sein Arm, der meinen streift, verscheucht den Schmerz ein klein wenig und die Wärme seines Körpers neben mir lässt die Gedanken in meinen Kopf ein klein wenig leiser werden.

Sherlock scheint eine ganze Weile nachzudenken, dann sagt er schließlich:
,,Ich war zehn, als ich zum ersten Mal Geige gespielt habe.''

Ich atme aus und lehne mich leicht gegen ihn, während ich seinen Worten lausche.

,,Ich erinnere mich - an das Gefühl des Holzes unter meinen Fingern. Das Lächeln meiner Mutter, ich hatte seit Tagen nicht gesprochen, auf nichts reagiert. Ich habe meinen Musiklehrer in den Wahnsinn getrieben."

,,Sie konnte wahrscheinlich direkt Mozart spielen und haben Ihren Lehrer korrigiert", scherze ich.

,,Nein. Ich war schlecht."

Ich schnaube ungläubig.

,,Nein, wirklich", meint Sherlock.

,,Sie-?!"

,,Natürlich habe ich es schnell gelernt. Aber es war das erste Mal, dass ich etwas nicht sofort konnte. Es war - frustrierend. Es war meine erste Herausforderung. Das Geigenspielen erfordert eine gewisse Sensibilität. Es erfordert-"

,,Gefühle?", frage ich scherzend.

Sherlock schnaubt. ,,Machen Sie sich nicht lächerlich", sagt er, aber der Hauch eines Lächelns liegt auf seinen Lippen.

Dann wird sein Gesichtsausdruck ernster, während er aufs Meer hinaus sieht.

,,Ich hatte einen Hund. Redbeard. Wir haben Piraten gespielt, deshalb der Name. Er war mein bester Freund."

Er hält einen Moment inne. ,,Und eigentlich auch mein einziger Freund."

Und er wirkt in dem Moment so verletzlich, wie ich ihn kaum je gesehen habe.
Sichtbar überfordert presst er die Lippen aufeinander und weicht meinem Blick aus.

,,Musste Mycroft über die Planke gehen?", frage ich deshalb. Es ist so absurd, so schwierig sich ihn und Mycroft als Kinder vorzustellen. Als hätten sie das übersprungen und wären direkt als beinah allwissende Erwachsene auf die Welt gekommen.

Seine Mundwinkel heben sich. ,,Wenn es nach mir gegangen wäre, schon."

Ich grinse gegen seinen Arm und der Wollstoff kitzelt an meinen Lippen.

Es vergeht eine ganze Zeit, dann sagt Sherlock leise: ,,Wir können morgen früh direkt zurück nach London fahren."

,,Ja", sage ich sanft. Meine Augen sind feucht, aber ich lächle. ,,Das klingt gut."

_____________________

Grindale, 21:48
Als ich das Zimmer betrete, halte ich im Türrahmen inne.

Augenblicklich habe ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Zögerlich setze ich einen Fuß vor den anderen. Nichts wirkt verändert - Die Vorhänge sind zugezogen, der Inhalt meiner Kosmetiktasche ist auf dem kleinen Schreibtisch verteilt, das Bett ist noch ungemacht, so wie ich es heute Morgen zurück gelassen habe. Vielleicht bin ich einfach zu aufgewühlt und beginne langsam Gespenster zu sehen.
Aufmerksam wandert mein Blick durch das Motelzimmer, während ich meine Jacke ausziehe und über die Lehne des Stuhles lege.
Ich schüttle den Kopf über mein eigenes Verhalten und will gerade in das angrenzende Badezimmer gehen, als das gelbe Licht der Deckenlampe etwas auf dem Bett trifft. Mein Atem stockt.

Mit zitternden Fingern greife ich nach dem Ring, der zwischen den Laken liegt.

Das Blut gefriert mir in den Adern, als ich über die filigranen Diamanten streiche. Feine Blutspritzer zieren das dünne Goldband, das mir nur allzu vertraut ist.
Ich muss es wissen. Mein Herz schlägt wild in meiner Brust, während ich mir den Ring an den Finger stecke.
Er passt perfekt. Denn er ist meiner.
Mein Verlobungsring, den ich damals bei Matthew gelassen habe.

Ohne einen Blick zurück laufe ich zur Tür und reiße sie auf. Kalte Nachtluft schlägt mir entgegen.

Natürlich, natürlich muss mein Zimmer am Ende des Ganges liegen. Dahinter grenzt bereits der Wald an das Grundstück. Johns Zimmer ist näher.

Doch bevor ich einen weiteren Schritt machen kann, trifft mich etwas mit voller Wucht gegen die Seite.

Ein Keuchen verlässt meine Lippen, während mein Körper die Hausmauer trifft. Schmerz bereitet sich auf meiner ganzen linken Seite aus.
Ich versuche mich mit der Hand an der Fassade festzuhalten, aber kratze nur über den Putz, während ich zu Boden sinke.

Mein Kopf pocht schmerzhaft und zwischen den schwarzen Flecken in meinen Sichtfeld, sehe ich undeutlich einen Mann auf mich zu kommen.

Bevor ich schreien kann, presst eine Hand fest auf meinen Mund und drückt meinen Kopf zur Seite, sodass ich nur noch die Dunkelheit zwischen den Bäumen sehen kann.

Panisch winde ich mich, als ich den Einstich einer Nadel an meinem Hals spüre.

,,Shh, ganz ruhig", sagt eine Stimme und sie kommt mir irgendwie entfernt bekannt vor, aber die Erinnerung will nicht kommen.

Meine Bewegungen werden langsamer, bis meine Beine unter mir einknicken und Schwärze empfängt mich.

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