days at bakerstreet

By septemberdreaming

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Die 27-jรคhrige Louise James ist froh, so kurzfristig eine Bleibe in London gefunden zu haben. Nach ihrem Einz... More

Ankunft in London
Gewรถhnung an den Wahnsinn
Mein erster Mord(fall!) (the blind banker)
gehe direkt ins Gefรคngnis, gehe nicht รผber Los (the blind banker)
Mรคrchenpalast (the blind banker)
Eine schrecklich nette Familie (the blind banker)
Date Night (the blind banker)
Meine Nahtoderfahrung No. 1 (the blind banker)
Babysitter
CSI: Baker Street (the great game)
Die Medikamente sprechen (the great game)
Janus (the great game)
Herzlos (the great game)
โ€ข [Extrakapitel Sherlock POV] (the great game)
Schlaflos in London
Warum sind die Guten immer vergeben... oder Soziopathen
Liliennรคchte
Bonnie und Clyde
Atemlos
Pretty Woman (a scandal in belgravia)
[Extrakapitel Merry Christmas โ™ฅ]
Harmlos, aber nervig (a scandal in belgravia)
And a happy new year (a scandal in belgravia)
Verwandte Gehirne (a scandal in belgravia)
I AM SHERLOCKED (a scandal in belgravia)
Die (un)gewรถhnlichen Fรคllen
Blaubeeren und Dunkelheit
09:16
โ— [Extrakapitel SHERLOCK]
Selbsterklรคrte Inseln (the hounds of baskerville)
ร„ngste (the hounds of baskerville)
Oxymoron (the hounds of baskerville)
Trugbilder (the hounds of baskerville)
Gewinnerseite (the hounds of baskerville)
โ— [Extrakapitel SHERLOCK] (the hounds of baskerville)
Zeitkapseln
Matthew
Theodore
Tommy I/II
Tommy II/II
Auftakt
Umbruch I/II
Umbruch II/II
Champagner fรผr den Pรถbel

Raubtiere

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By septemberdreaming

A/N: Bis zum nächsten Kapitel wird es dieses Mal ein wenig länger dauern!

Ihr könnt in der Zwischenzeit gerne bei meiner Halloween-Story (ja, die wird auch bald geupdatet😅) vorbeischauen, wenn ihr mehr von Louise&Sherlock lesen wollt :D

Ich hoffe, ein bestimmter Character in diesem Kapitel ist nicht allzu ooc 👀
Ist meine eigene Version der Figur 😁

Lasst mir gerne Feedback da!!🥰

Bis bald !!
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>>but love is a much more vicious motivator<<

Ich kann den genauen Moment, in dem ich das Bewusstsein wiedererlange, nicht festmachen.

Zu zäh ist der Übergang zwischen Schlaf und Wach-Sein.
Eine Welt aus dunklen, aber heller werdenden, Flecken, die vor meinen geschlossenen Augen vorbeiziehen und einem grellen Schmerz, der in unregelmäßigen Abständen durch meinen Kopf zu ziehen scheint wie ein einschlagender Blitz.

Danach - das erste, was ich dann wahrnehme sind Stimmen. Verschwommene Worte. Einen Augenblick - oder eine Ewigkeit? später verstummen sie wieder.

Dann die Kälte, die meine Beine hochkriecht, sich an meinem unteren Rücken zu intensivieren scheint - mein Pullover muss einige Zentimeter hochgerutscht sein und die empfindliche Haut der kalten Luft aussetzen.
Meine Wirbelsäule, die gegen etwas gedrückt wird.

Ich will meine Beine bewegen und Panik erfüllt mich, als ich feststellen muss, dass ich mich nicht rühren kann.

,,Hey, aufwachen", sagt eine Stimme.

Noch immer undeutlich, als wäre ich Unterwasser und jemand würde mir etwas vom Ufer aus zurufen. Ich fühle mich, als würde ich mit den Armen schlagen, um wieder an die Oberfläche zu kommen, aber ich weiß kaum noch, wo oben und unten ist.

Was ist passiert? Verworrene Bilder schwimmen an mir vorbei, aber ich kann mich kaum länger als ein paar Sekunden auf eine Erinnerung konzentrieren und bevor ich mich wirklich erinnern kann, entgleiten sie mir bereits wieder.

Meine Augenlider sind schwer, als ich blinzle. Es ist, als würde sich mein Körper an den Schlaf klammern.

Es ist dunkel. Ich erhasche einen kurzen Blick auf hohe Fenster, die von Vorhängen bedeckt sind. Der graue Stoff bewegt sich leicht im Wind. Ich sitze auf dem Boden, realisiere ich.
Einer der Vorhänge ist einen Spalt breit geöffnet. Es ist Nacht. Der Mond ist hell und ich kann ein paar Sträucher ausmachen, aber viel mehr auch nicht.

Erneut versuche ich mich zu bewegen. Diesmal rutscht mein linker Fuß ein paar Zentimeter über den Boden und wirbelt ein wenig Staub auf.

,,Ich weiß, dass Sie wach sind", trällert die Stimme amüsiert.

Ich zwinge mich dazu erneut die Augen zu öffnen und blicke auf ein paar Lederschuhe. Jemand kniet sich neben mich.

Meine Augen weiten sich vor Entsetzen.

,,Sie haben ziemlich lange geschlafen", sagt James Moriarty und streicht eine Falte aus seinem dunklen Anzug. ,,Musste zwischenzeitlich wirklich nachsehen, ob Sie noch atmen."

Trotz seines milden Tonfalles stoße ich einen entsetzten Laut aus und mache eine ruckartige Bewegung nach hinten.
Aber ich kann nicht vor ihm zurückweichen, denn mein Rücken trifft schmerzhaft gegen die Säule hinter mir. Ich spanne die Hände an, aber Metall bohrt sich in meine Haut. Handschellen. Ich bin an die schmale Säule gekettet.

Moriarty grinst breit und entblößt eine Reihe gerader, weißer Zähne. ,,Willkommen zurück unter den Lebenden", sagt er und richtet sich auf. Nachdenklich sieht er auf mich herab. ,,Naja, wer weiß für wie lange, aber...", fügt er hinzu und zuckt nonchalant mit den Schultern.

,,Das kann nicht wahr sein", keuche ich und winde mich erneut, aber ich habe noch nicht die volle Kontrolle über meinen Körper zurück und mit mehr Kraft als erwartet schlägt mein Hinterkopf gegen die Säule.

,,Na na", macht Moriarty und beugt sich vor, um eine Hand an meinen Hinterkopf zu legen.
Ich halte den Atem an.
Sein Gesichtsausdruck ist beinah.. besorgt.
Sanft streichen seine Finger über meinen Nacken.

Dann schließt er die Hand zu einer Faust und zieht heftig an meinen Haaren.

Ich schreie vor Schmerz auf.
Moriartys dunkle Augen funkeln, als er sich dicht zu mir lehnt.

Die Finger seiner anderen Hand streichen über meine linke Schläfe und ich atme scharf ein. Erst jetzt bemerke ich das Brennen und die Nässe an der Stelle. Ich blute.
Nicht von eben, das ist schon älter. Erst jetzt kommt die Erinnerung langsam wieder.
Als ich vor dem Motel angegriffen wurde. Sherlock, Tommy, der Ring.
Ich wollte zu John... Ich schließe die Augen. Ich habe keine Vorstellung, wieviel Zeit vergangen ist. Es ist noch dunkel. Möglicherweise... Nein, wahrscheinlich haben John und Sherlock noch nicht einmal bemerkt, dass ich weg bin.

Tränen prickeln hinter meinen geschlossenen Lidern, als ich realisiere, wie hoffnungslos meine Lage gerade ist.

,,Ich könnte Sie sich den Kopf an der Säule aufschlagen lassen und mir die Arbeit ersparen", zischt Moriarty.

Angst legt sich wie eine eiserne Faust um meinen Magen. Mir wird übel.

Denn da ist keine Sorge mehr in seinen Augen, keine Wut oder Hass, nur Leere. Und der Ausdruck ängstigt mich mehr als alles andere.

,,Aber ich habe noch viel vor mit Ihnen."

Warum? Was noch? Warum ausgerechnet ich? will ich fragen. Aber mein Mund ist staubtrocken.

Mein Blick huscht durch den Raum. Es ist vielmehr ein Saal, als ein Raum. Und das Gebäude scheint verlassen zu sein. Der Stoff der Vorhänge wirkt neu, aber die kunstvollen Deckenverzierungen darüber bröseln an manchen Stellen ab. Der teuer wirkende Holzboden ist von einer dünnen Staubschicht überzogen.
Wir sind im Erdgeschoss, durch den kleinen Spalt kann ich Gras und Büsche sehen.

,,Boss?", ertönt eine andere Stimme und ein Mann mit kurzen, blonden Haaren betritt den Raum. Etwas an ihm wirkt vertraut, aber...

Er ist dunkel gekleidet, schwarze Hose, schwarzer Pullover. Ein Waffenholster an seiner Hüfte und an seiner rechten Fußfessel. Sein Blick ist ruhig, konzentriert, während er die Arme vor der Brust verschränkt.
Seiner Haltung nach hat er irgendeine Art militärische Ausbildung gehabt.

Kurz gesagt: Shit.

,,Unser Gast ist aufgewacht", sagt Moriarty, ohne den Blick von mir abzuwenden.

Ich kneife die Augen zusammen und versuche das Pochen in meiner Schläfe zu ignorieren.

,,Ich kenne Sie", sage ich undeutlich und allmählich kommen auch diese Erinnerungen zurück. ,,Sie! Sie waren..." Ich versuche mich zu konzentrieren. ,,Sie waren in dem Supermarkt! Der Motorradfahrer."
Mein kleiner Flirt an der Kühltheke wie John ihn genannt hat. ,,Sie haben mich verfolgt, oder? Waren Sie das auch am Motel?"

,,Ja. Entschuldigung für- naja " Er deutet auf seine Stirn. ,,Ich war wohl etwas zu grob."

Ganz automatisch ahme ich ihn nach und meine Hand wandert zu meiner Schläfe. Als ich meine Hand vor mein Gesicht halte, klebt Blut an den Fingerkuppen.

Moriarty seufzt. ,,Sie haben lange gebraucht, um 1 und 1 zusammenzuzählen. Dabei sind Sie doch wegen mir eigentlich hier - Haben Sie mich etwa vergessen?"

Ja. Irgendwie schon.

Irgendwie ist James Moriarty tatsächlich in weite Ferne gerückt, in die hintere Ecke meiner Gedanken. Seit wir in Bridlington sind, habe ich nicht mehr an ihn und an seine Drohungen gedacht. Dumm. Ausgesprochen dumm.

Ich ziehe die Beine an und versuche mich aufzurichten, aber ich sacke zur linken Seite weg.

,,Ich war ein bisschen beschäftigt", murmle ich und versuche mich nicht zu übergeben.
Und trotz des Umstands, dass mir James Moriarty gegenüber steht, macht das Rasen meines eigenen Herzens mir gerade mehr Sorgen. Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht mit mir.

Moriarty lächelt nur.
,,Ist er wach?", fragt er dann und sieht zu dem anderen Mann.

Verwirrt hebe ich den Kopf. Wer?

,,Noch nicht."

,,Wer?", frage ich heiser. Wer ist noch hier?

,,Shh", macht Moriarty und legt einen Finger an seine Lippen. Seine Augen funkeln amüsiert.

,,Bitte-"  Bitte. Bitte, lass es nicht Sherlock sein.

,,Das werden Sie noch früh genug sehen. Ich habe eine hübsche, kleine Überraschung für Sie."

Ich schließe die Augen. ,,Danke, aber ich verzichte", presse ich heraus.

Ich meine kurz zu sehen, wie sich sein Gesicht verärgert verzieht. Aber nur eine Sekunde später ist seine Mimik wieder neutral.

,,Adler hatte recht. Sie wissen wirklich nie, wann Sie besser die Klappe halten, oder?", fragt er gespielt amüsiert. ,,Und ich dachte, meine letzte Nachricht wäre deutlich genug gewesen."

Ich schlucke. ,,Sie blieb in Erinnerung."

,,Sherlock war im St.Bart, um die Leiche zu sehen. Hat er Ihnen davon erzählt?"

Verstört schüttle ich den Kopf. ,,Nein. Hat er nicht."

,,Oh, es war kein schöner Anblick. Nicht wahr, Moran?"

Ich brauche einen Moment um zu realisieren, dass er den anderen Mann angesprochen hat.

,,Sie hat gelebt, als Sie das Herz entfernt haben?"

Während Moriarty bei den Worten beinah vergnügt aussieht, rollt Moran nur die Schultern und meint nüchtern: ,,So wie Sie es wollten, Boss."

Übelkeit überkommt mich erneut und ich spüre, wie Magensäure durch meine Speiseröhre brennt und sich der bittere Geschmack in meinem Mund ausbreitet.

,,Er hat sich wirklich Zeit für sie genommen. Aber ihr Gesicht sollte unverletzt bleiben. Man sollte doch schließlich die Ähnlichkeit auch nach dem Tod noch sehen können."

,,Hören Sie auf", sage ich leise. Dumm, dumm, dumm. Sherlock würde nicht betteln.
Er würde beobachten und hätte schon längst eine Lösung gefunden, um hier raus zu kommen.

,,Oh, und der liebe Sherlock...ich war überrascht. Er sah wirklich entsetzt aus. Stellen Sie sich das vor! All das, was meine Bomben und Countdowns nicht geschafft haben. Nur Sie. Und nachdem er gegangen ist, hat er sich die ganze Zeit gefragt, ob Sie irgendwann genauso enden werden wie die kleine Holly Milton."

,,Heather", korrigiert der andere Mann ihn.

,,Moran!", brüllt Moriarty plötzlich und ich schrecke zusammen. ,,Wenn du nicht der beste Scharfschütze Englands wärst, hätte ich dich schon längst getötet."

Moran zuckt nur mit den Achseln. ,,Klar, Boss", sagt er.

Moriartys dunkle Augen wandern über mein Gesicht. ,,Sie sehen etwas blass aus, Louise."

Es ist das erste Mal, dass er mich bei meinen Vornamen nennt. Und ich hasse die Selbstverständlichkeit in seiner Stimme. Die Vertrautheit, mit der er ihn ausspricht. ,,Geht es Ihnen gut?"

Zitternd lehne ich den Kopf wieder gegen die Säule. Die Wunde an meiner Schläfe scheint inzwischen aufgehört haben zu bluten.

,,Ging mir nie besser, Sie Mistkerl", spucke ich ihm entgegen.

Diesmal kann er seine Verärgerung nicht mehr so gut verstecken. Er weicht einen Schritt zurück.

,,Moran", sagt er knapp und macht eine Handbewegung.

,,Was machen Sie?", frage ich schrill, während Moran den Raum durchquert und sich hinter mich stellt.

Panisch versuche ich den Kopf weiter zudrehen, aber ich kann ihn nicht mehr sehen.
Mein Blick huscht zu Moriarty.

,,Es tut mir leid, okay? Bitte-" Ich drücke wieder gegen die Handschellen und fühle mich wie ein Tier, das in einer aufgestellte Falle gefangen ist. ,,Nein!"

,,Halten Sie still", sagt Moran leise. Seine Stimme ist warm und ich spüre seinen Atem an meiner Schultern.

Ich halte nicht still. Stattdessen versuche ich weiterhin verzweifelt mich weiter von ihm weg zu drehen und mein Herz pocht wild in meiner Brust.

Dann ist das Gegengewicht plötzlich fort und ich kann mich gerade noch mit den - jetzt freien- Händen auf dem Boden abfangen, als ich nach vorne falle.
,,Sie machen mich los?" murmle ich verwirrt und fahre über die roten Abdrücke an meinen Handgelenken.

Mit bebenden Knien richte ich mich gerade auf, als Moriarty mich abrupt zurück gegen die Säule stößt.
Seine Hand umschließt meinen Hals, drückt schmerzhaft gegen meinen Kehlkopf.

Meine Augen weiten sich erschrocken und ich versuche nach ihm zu treten, aber mein Knie stößt nur schwach gegen seinen Oberschenkel.

,,Stellen wir eines klar: Ich habe langsam wirklich genug von Ihrer Widerspenstigkeit", sagt er dunkel.

Ich versuche nach Luft zu schnappen, aber er drückt mir die Luftröhre ab.

,,Sparen Sie sich Ihre patzigen Antworten, die mutig klingen sollen. Versuchen Sie nicht mutig zu sein, Louise. Das könnte Sie umbringen."

Ich spüre, wie mir allmählich der Sauerstoff ausgeht und die Panik macht jegliches logisches Denken schwer.

,,Haben Sie verstanden?"

Ein röchelndes Geräusch dringt aus meiner Kehle. Ich nicke hektisch.

Moriartys Hand bleibt an meinem Hals, aber er weicht ein paar Zentimeter zurück. Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Aber es erinnert mich viel mehr an ein Zähnefletschen.
,,Gut!", sagt er erfreut und lässt mich los.

Endlich strömt wieder Sauerstoff in meine Lungen und ich sinke hustend zu Boden.

Heiße Tränen laufen über meine Wangen, während ich immer noch noch Luft schnappe.

,,Was soll das alles?", frage ich schließlich verzweifelt und stütze den Kopf auf den Händen ab.
,,Was haben Sie vor?"

Moriarty schweigt nur und wippt auf den Fußballen hin und her.

Wut durchströmt mich bei seiner zur Schau gestellten Gleichgültigkeit.

,,Verdammt, was soll das!", schreie ich und kämpfe mich auf die Beine. Ich muss mich mit einer Hand an der Säule abstützen, als die Welt sich kurz zu drehen scheint.

,,Das hält ganz schön lange an", bemerkt Moriarty nachdenklich.

Ich verenge die Augen. ,,Was haben Sie mit mir gemacht?", keuche ich. ,,Was haben Sie mir gegeben?"

Moriarty steckt die Hände in die Hosentaschen. ,,Oh ein bisschen dies, ein bisschen das. Wie fühlen Sie sich?"

,,Als könnte ich jeden Moment einen Herzinfarkt bekommen", erwidere ich.

,,War vielleicht doch ein wenig viel."

Erschrocken blicke ich hoch.
,,Ach kommen Sie schon", sagt Moriarty gedehnt und wedelt mir der Hand. ,,Es wird Sie schon nicht umbringen. Naja, wahrscheinlich nicht."

Sehr beruhigend.
,,Wo ist der andere?", frage ich, als ich mit einem Mal bemerke, dass wir alleine sind.

,,Bringt Ihre Überraschung her", sagt Moriarty nonchalant.

Ich nicke nur. Ich verbiete mir an Heather Milton zu denken und daran, was Moran mit ihr gemacht hat, denn dann würde ich vollends in Panik verfallen.

Ich brauche einen Plan. Schließlich kann ich nicht einfach so kampflos aufgeben, oder?

Meine Waden fühlen sich noch immer leicht taub an, aber langsam kehrt die Kraft in meine Beine wieder zurück. Meine Bluse ist nass geschwitzt und der dünne Stoff klebt unangenehm auf meinem Schlüsselbein und an meinen Rücken. Denk wie Sherlock...
Also - Was weiß ich? Das Gebäude ist verlassen und ich habe vom Fenster aus keine Straße gesehen.
Die Chancen, dass hier nachts jemand zufällig vorbeikommt und mir helfen könnte... noch geringer, als eine Alieninvasion nächste Woche.
Außer mir ist noch jemand hier.
Also müssen Moriarty und Moran zwei Menschen in Schach halten, das ist ein Risiko.
Beide bewaffnet. Moran scheint das hier bloß als Job anzusehen, ein Söldner?
Moriarty ist... absolut verrückt hingegen. Und er will Sherlocks Aufmerksamkeit.
Mich unbemerkt hier zu behalten, würde für ihn keinen Sinn ergeben. Er muss Sherlock bereits wissen gelassen haben, dass er mich hat. Und er will mit ihm spielen.
Er wird ihm also die Chance lassen, mich zu finden. So wie bei den Bomben.
Das bedeutet.... abwarten und hoffen, dass Sherlock gewinnt?

,,Ich hoffe, Sie denken nicht darüber nach, wie Sie fliehen könnten", flüstert eine Stimme hinter mir und ich zucke heftig zusammen.

Ich habe nicht einmal bemerkt, dass Moriarty
sich bewegt hat.
Stocksteif bleibe ich stehen und versuche das Zittern aus meiner Stimme zu verbannen. ,,...nein?"

,,Sie sind eine schlechte Lügnerin, Louise." Diesmal höre ich seine Schritte auf dem Holzboden, als er näher tritt.

,,Wo sind wir hier überhaupt?"

Moriarty lacht leise und das Geräusch jagt mir einen Schauder über den Rücken. ,,Denken Sie wirklich, ich würde es Ihnen so leicht machen? Einer meiner Klienten war so freundlich, sein leer stehendes Anwesen zur Verfügung zu stellen."

Ich schlucke. ,,Was haben Sie für diesen Klienten getan?"

,,Unwichtig. Aber es erinnert mich an früher. Wir haben auch außerhalb der Stadt gelebt", sagt Moriarty. ,,Daddy hat mich mit zum Jagen genommen, als ich klein war. Und, verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe durchaus Gefallen daran gefunden."

Er senkt die Stimme, als würden wir ein Geheimnis austauschen.

,,Die Stille im Wald, während man wartet. Die Angst in den Augen des Tieres, wenn es realisiert, dass es in Gefahr ist, aber es ist bereits zu spät ist. Der Moment, wenn man zum ersten Mal den Abzug drückt... Wissen Sie, wie sich das angefühlt hat?"

Ich schließe die Augen und atme zitternd ein. ,,Nein. Wie?"

,,Mächtig", haucht Moriarty und dieses Mal klingt seine Stimme nicht so, als würde er sich verstellen oder eine Rolle spielen. Er klingt... ehrlich.

,,Wie die mächtigste Sache in der Welt. Aber dann war es vorbei. Das war der Nachteil daran: Es war immer zu schnell vorbei."

Bevor ich etwas erwidern kann, wird die Doppeltür aufgestoßen und Moriarty weicht zurück.

,,Endlich", ruft er und klatscht in die Hände, als Moran einen weiteren gefesselten Mann auf die Knie drückt.
Er zieht ihm den schwarzen Sack vom Kopf  und weit aufgerissene, grauen Augen blicken mich von der anderen Seite des Saales an.

,,Matthew", wispere ich.

,,Wo bin ich?", will Matthew wissen und sein Blick wandert von mir zu Moriarty. ,,Wer sind Sie? Machen Sie mich los!"
Seine Stimme hallt laut an den kahlen Wänden des Raumes wieder.

Ich schließe die Augen.

,,Louise, warum sagst du nichts?", schreit Matthew mich wütend an. ,,Wir müssen hier raus. Und Sie - die Polizei wird bereits nach uns suchen, lassen Sie uns gehen!"

Ich schlage die Augen auf und für einen Moment verdrängt Wut meine Angst.

,,Oh, dich sucht die Polizei auf jeden Fall!", sage ich leise.

Matthew hält inne. ,,Wovon redest du?"

,,Deshalb warst du nicht da...", murmle ich.

,,Wo? Was geht hier vor sich? Louise!"

,,Matthew, wir kommen hier nicht raus", fahre ich ihn zornig an.

Moriarty macht einen Schritt auf Matthew zu. ,,Wissen Sie, Louise und ich kenne uns schon eine Weile."

,,Sie haben sich als Mollys Freund ausgeben und das andere Mal haben sich mich bedroht", sage ich matt.
,,Sag ich doch, wir sind quasi alte Freunde."

Matthew Blick flackert zu mir. ,,Wer zur Hölle ist das?"

,,Sherlock Holmes Erzfeind? Lange Geschichte."

,,Erzfeind? Ich fühle mich geschmeichelt."

,,Sie sind wahnsinnig", keucht Matthew fassungslos. ,,Lassen Sie uns gehen!"

Moriarty seufzt.
,,Ihre Stimme geht mir langsam auf die Nerven. Wenn Sie noch einmal unaufgefordert sprechen, schneide ich Ihnen die Zunge heraus."

Matthews Augen weiten sich. ,,Sie-"

,,Ah ah ah", macht Moriarty und hält eine Hand hoch. ,,Letzte Warnung."

,,Warum ist er hier?", frage ich schließlich. ,,Er hat nichts mit Sherlock zu tun."

Moriarty dreht sich zu mir um und seine Mundwinkel zucken nach oben. ,,Und...? Wollen Sie deshalb, dass ich ihn gehen lassen und Sie hierbehalte? Haben Sie sich den Kopf doch ein wenig zu fest angestoßen oder sind Sie dümmer als ich dachte? Sie können sich noch an gestern erinnern?"

,,Ich kann mich erinnern", sage ich knapp. 

,,Er ist hier, damit Sie sehen, dass wir beide gar nicht so verschieden sind", sagt Moriarty leise.

Matthew öffnet den Mund.

,,Ich weiß es", komme ich ihm zuvor. ,,Alles."

,,Sie dürfen sprechen, Matthew."

,,Ich weiß nicht wovon du redest, Louise."

,,Tommy."

,,Ich verstehe nicht-"

,,Hör auf mit dem Scheiß, Matthew", sage ich scharf.

,,Louise, lass uns- Ich meine-" Er macht eine Handbewegung in Richtung Moran und Moriarty. ,,Ist das denn gerade wichtig-"

,,Der Tod meines kleinen Bruders ist also nicht so wichtig, ja?"

Moriarty klatscht einmal in die Hände und bewegt sich in die Mitte des Raumes. ,,Also, so unterhaltsam ihr Wiedersehen auch ist - kommen wir zum Punkt."

Er greift nach hinten und zieht etwas unter seines Jacketts hervor.

Metall blitzt in dem schwachen Licht auf und er legt einer der beiden Pistole auf dem Boden ab. Mit gleichen Abstand zu Matthew und zu mir. Die andere behält er selbst.

,,Die Regeln sind einfach. Zwei gehen rein, nur einer kommt wieder raus. Wenn sich einer für den anderen opfern möchte - Nur zu. Aber einer von Ihnen wird hier sterben."

,,Sie sind wahnsinnig", wiederholt Matthew entsetzt.

Moriarty ignoriert ihn. ,,Der Andere wird leben. Moran ist auf dem Dach des Gebäudes, also wenn Sie denken Sie sind clever und versuchen sich hier beide raus zu schleichen, haben Sie nach zwei Schritten beide eine Kugeln im Kopf. Da ist nur eine Patrone drinne, also zielen Sie besser gut. Sie haben 15 Minuten. Viel Glück. Und ich wollte unparteiisch bleiben - Aber ich setzte auf Sie, Louise. Scheint so, als wäre der Moment für Ihre Rache gekommen. Und lügen Sie nicht, Sie wollen Rache."

Ich raufe mir die Haare. ,,Warum machen Sie das?"

,,Das sagte ich bereits, oder?", sagt Moriarty nur. ,,Dieses Mal holt Sherlock Sie hier nicht raus. Wenn Sie leben wollen, müssen Sie das schon selber tun."

Dumpf höre ich das Klacken seiner Schuhe auf dem Holz, dann das Knarren der Tür
und dann
sind wir alleine.

Wir rühren uns beide nicht von der Stelle.

,,Was hat das alles zu bedeuten?", fragt Matthew schließlich und wirft die Kabelbinder, mit denen seinen Hände zusammen gebunden waren, zur Seite. Moran hat sie ihm durchgeschnitten. Natürlich - Damit es fair ist.

,,Schwer zu erklären. Er ist so etwas wie... ein Auftrags... krimineller? Er besitzt ein kriminelles Netzwerk in England, vielleicht auch international."

Matthew rollt die Schultern. ,,Und wie sind wir hier geendet?"

,,Du bist wegen mir hier gelandet." Ich fahre mir über die Unterlippe und mein Blick huscht kurz wieder zu der Waffe auf dem Boden. ,,Und ich... naja wegen Sherlock letztendlich. Moriarty und er haben da so einen Wettkampf laufen."

,,Einen Wettkampf?", wiederholt Matthew dumpf.

,,Blödes Wort, okay?!", sage ich gereizt. ,,Klingt zu harmlos. Das letzte Mal hat es mit Bomben und unschuldigen Geiseln geendet. Wichtiger ist, was wir jetzt machen?"

,,Die werden schon nach uns suchen", sagt er und macht einen Schritt auf mich zu.

Instinktiv weiche ich zurück.

,,Louise", sagt Matthew angestrengt.

Und obwohl wir darüber nachdenken sollten, wie wir hier rauskommen könnten, verschleiern Tränen mir plötzlich die Sicht.

,,Wie konntest du das tun, Matthew?", frage ich verletzt. ,,Du hast mich jahrelang belogen ohne mit der Wimper zu zucken."

Matthew senkt den Blick. ,,Ich wollte das nicht. Es war doch ein Unfall."

,,Du hast mich angelogen!", wiederhole ich.

,,Ich- ich habe mich in dich verliebt."

Ich schnaube und wende mich ab. ,,Das kann nicht dein Ernst sein."

,,Das ist die Wahrheit, Louise", beteuert er. ,,Und ich wusste, wenn ich es dir irgendwann sagen würde, würde ich dich verlieren."

,,Du hast mich auch so verloren", sage ich hart.

,,Ja. Habe ich", sagt Matthew und fährt sich durch die Haare. Ganz kurz huscht sein Blick ebenfalls zu der Pistole. ,,Ich wollte nicht ins Gefängnis gehen, für einen dummen Unfall, okay?!"

Mir ist sein Blick nicht entgangen.
Ich gehe nach vorne, bis ich in der Mitte des Raumes stehe.

,,Und jetzt?", frage ich zynisch und stoße mit dem Fuß gegen die Pistole. ,,Erschießt du mich jetzt, damit ich niemanden davon erzählen kann. Schlechte Nachrichten - Spencer und Theo haben schon gestanden."

Matthew schüttelt ungläubig den Kopf. ,,Das- das hätten sie niemals."

,,Was? Überrascht von der Vorstellung, dass deine Freunde doch noch den Hauch eines Gewissens haben?"

Matthews Kopf schnellt hoch und seine grauen Augen funkeln mich wütend an. ,,Du weißt nicht, wie das ist, okay! Wir waren 18. Wir haben einen Fehler gemacht, über den wir mit niemanden reden konnten. Ich musste jeden Tag an diese Nacht denken, Lu."

Ich verschränke die Arme vor der Brust. ,,Mein Mitleid hält sich in Grenzen."

Er zieht den Ärmel seines Hemdes hoch. ,,Wir haben noch 8 Minuten. Denkst du- denkst du, die meinen das wirklich ernst?"

,,Oh, todernst."

Matthews Augen verengen sich. ,,Was meinte er vorhin... mit dir und Rache?", fragt er nervös.
,,Was willst du damit sagen?"

,,Ich - ich meine nur. Warum sollte uns ein Wildfremder entführen? Wegen dem, was ich damals getan habe?"

,,Ich habe dir doch gesagt-"

,,Ja, aber... es hat nicht viel Sinn ergeben."

,,Sag das unseren Entführern."

Er kratzt sich am Hinterkopf und ich spüre, dass das noch nicht alles ist.
,,Matthew?", frage ich langsam. ,,Willst du... mir gerade unterstellen, das ich mit dem hier etwas zu tun hätte?"
Ausgesprochen klingt es noch absurder.
Aber Matthew blickt mich nicht verwirrt an, oder fragt mich wovon ich da denn plötzlich spreche.
Stattdessen sehe ich Zweifel in seinen Augen.

,,Matthew?", sage ich leise, während Angst mir die Kehle zuschnürt.

,,Natürlich nicht", sagt er dann. ,,Aber etwas ist seltsam. Du hast mir gesimst, bevor ich entführt wurde."

Ich lasse die Arme sinken. ,,Ja", sage ich verwirrt und ziehe die Augenbrauen zusammen.
,,Habe ich. Ich meine, Sherlock hat das von meinem Handy aus. Du solltest zum Hafen kommen."

,,Nein. Ich sollte zur Bucht kommen. Da wo wir uns früher immer getroffen haben. Stattdessen hat dieser andere Typ da gewartet und mich niedergeschlagen. Danach wurde ich ohnmächtig."

,,Das stimmt nicht. Du solltest zum Hafen kommen, genau wie Spencer und Theo. Das muss Moriarty gewesen sein."
,,Ja", sagt Matthew nachdenklich. ,,Die Sache ist nur - Niemand sonst wusste, das wir uns da früher nach der Schule getroffen haben."

Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu, dann schnelle ich nach vorne und hebe die Waffe auf.
Matthew erstarrt.

,,Das ist nur zur Sicherheit", sage ich. ,,Du drehst nämlich gerade durch."

Er lacht hart auf. ,,Ich drehe durch? Entschuldigung, ich wurde gekidnappt und irgendein Irrer droht uns beide umzubringen. Tut mir leid, wenn ich etwas aufgebracht bin."

,,Du verdächtigst gerade mich, das Ganze insziniert zu haben."

,,Das habe ich nie gesagt! Natürlich glaube ich das nicht!", ruft Matthew aufgebracht und durchquert den Raum.

,,Hat sich aber so angehört", sage ich verstört und das Metall der Pistole ist kalt und schwer in meiner Hand.

Matthew atmet tief ein und streckt eine Hand aus. ,,Louise, gib mir die Waffe."
,,Komm schon", sagt er erneut, als ich nicht reagiere. ,,Wir brauchen die, wenn wir hier raus wollen. Wir schaffen das. Sie sind nur zu zweit, oder?"

,,...Matthew", sage ich irritiert und versuche zurückzuweichen aber seine Hand legt sich um meinen Unterarm. ,,Lass mich los!"

,,Louise, wir verlieren hier nur Zeit", ruft Matthew und versucht mir die Waffe abzunehmen. ,,Lass mich das machen, wir-"

Dann ertönt ein lautes Knallen.

Ich hebe den Kopf und erstarre, als ich den entsetzten Ausdruck in Matthews Augen sehe.
Er schwankt, dann geben seine Beine unter ihm nach. Er hält sich die Hände vor den Bauch und sein Pullover verfärbt sich dunkel.

,,Nein, nein, nein", wispere ich und sinke neben ihm zu Boden.

Die Waffe war bereits entsichert.

,,Das wollte ich nicht", sage ich entsetzt. Meine Gedanken rasen. Was soll ich machen? Die Blutlache um uns herum wird schnell größer. Dunkel schimmert der nasse Holzboden.
Einer von uns muss an den Abzug gekommen sein.
Ich presse eine Hand fest auf die Einschussstelle und Matthew gibt einen schmerzerfüllten Laut von sich.
,,Du wirst wieder okay, ja?", meine ich mit bebender Stimme und blinzle gegen die Tränen an. Alles wirkt unecht, wie in einem Traum. Blut quillt zwischen meinen Fingern hervor. Ich drücke noch fester. ,,Das wird wieder. Halt durch. Alles okay. Nicht so schlimm", wiederhole ich immer wieder, wie ein Mantra. 

Matthew schnappt nach Luft und seine Augen sind weit aufgerissen.
,,Louise", keucht er.

,,Shh", mache ich und sehe mich panisch im Raum um. ,,Sherlock hat uns bestimmt schon fast gefunden. Und die Polizei, und die bringen dich ins Krankenhaus, und-"

,,Louise", sagt Matthew erneut und er spuckt Blut beim Sprechen aus. Er verzieht das Gesicht, als den Arm leicht anhebt. Seine linke Hand findet meine. ,,E- es tut mir leid. Alles." Kaum merklich drückt er meine Hand.

Ich verschränke meine Finger mit seinen.
,,Ich weiß", krächze ich. ,,Ich weiß, es ist in Ordnung. Du musst jetzt nur durchhalten."
Sein Atem geht röchelnd. Noch immer drücke ich mit der anderen Hand auf seine Wunde, aber da ist so viel Blut...
,,Matthew?"
Er reagiert nicht.
,,Matthew!", schreie ich und lege die Hände an seine Wangen. ,,Komm schon!"
Zitternde Finger wandern zu seiner Halsschlagader.
,,Bitte", flüstere ich, während ich vergeblich versuche einen Pulsschlag zu finden.  ,,Bitte." Meine Hände haben blutige Abdrücke auf seinem Gesicht hinterlassen.
Es ist heller geworden. Vögel schreien vor den Fenster, aus denen warmes Licht hereinfällt.
,,Sie werden uns finden", sage ich und umfasse wieder seine Hand.
Ich weiß nicht, wie lange ich noch so neben ihm sitze, während die Morgendämmerung langsam näher rückt.

*

Die Eingangstür ist nicht verschlossen.

Ich öffne sie und trete schwankend heraus. Die Morgenluft muss eiskalt sein, aber ich spüre sie kaum. Tau zieht sich noch über die Gräser und Sträucher.
Gerade als ich los laufen will, legt sich ein Arm um meine Mitte und hält mich fest. Moran.
Für einen Moment wehre ich mich schwach, dann gebe ich auf. Ich spüre, wie er meine Hände festhält und mit etwas zusammenbindet.
Moriarty tritt vor mich.

Meine Augen sind geschwollen vom Weinen. ,,Was haben Sie getan?", sage ich leise.

,,Oh. Nein, nein. Die Frage ist doch, was haben Sie getan?", sagt Moriarty genüßlich.

Er hat recht flüstert eine kleine Stimme in meinem Kopf, während das Blut in meinen Ohren rauscht. Was habe ich nur getan?

,,Wie hat es sich angefühlt?"

Ich senke den Blick. ,,Warum haben Sie mich nicht einfach getötet? Wenn es hier um Sherlock geht? Warum haben Sie mich nicht schon längst umgebracht, wenn Sie Sherlock quälen wollen?"

Sanft legt Moriarty zwei Finger unter mein Kinn und hebt meinen Kopf an.

,,Weil es so mehr Spaß macht", sagt er ernst, als unsere Blicke sich treffen. ,,Ich habe darüber nachgedacht, als ich Sie das erste Mal mit Sherlock und der guten Molly im St. Barts getroffen habe. Aber Sie zu töten, das hätte Sherlock... langweilig gemacht. Trauer lähmt, Liebe ist ein sehr viel besserer Motivator."

Verzweifelt verziehe ich das Gesicht. ,,Wofür?"

,,Für das Spiel, Louise. Das letzte Spiel. Sehen Sie das hier als Auftakt an. Der Anfang des großen Finales."

,,Sie sagten... Sie lassen mich gehen."

,,Ah ah, davon war keine Rede. Ich sagte nur, dass der Gewinner überlebt. Und auch nicht für wie lange."

,,Setzen Sie sich hin", raunt Moran mir zu und drückt mich ins nasse Gras. ,,Ich gehe nachsehen", sagt er zu Moriarty.

Mit tränenverschleierter Sicht betrachte ich Moriarty, der mir den Rücken zu gekehrt hat, als ich etwas realisiere.

Die Kabelbinder, mit denen meine Hände gefesselt sind, sind locker. Vielleicht sogar locker genug, dass ich mich aus ihnen befreien kann.

Moriarty hat deutlich gemacht, dass er mich wegen Sherlock noch am Leben lässt. Aber wie lange wird diese Laune noch anhalten? Was, wenn er seine Meinung plötzlich ändert?

Ein Teil von mir würde am liebsten aufgeben. Der Teil von mir wäre am liebsten neben Matthew sitzen geblieben.

Der andere Teil von mir will leben.
Und wenn ich dem Teil von mir nachgeben will, kann ich nicht mehr länger warten.
Sonst ende ich vielleicht so wie Matthew.

Wahrscheinlich wäre das nicht mal die schlechteste Option. Wenn ich Pech habe, ende ich so wie Heather Milton.

Beide achten gerade nicht auf mich. Ich hätte einen Vorsprung. Einen kleinen... Aber vielleicht könnte das genug sein. Die Sonne geht gerade auf.
Auch wenn die Gegend hier einsam ist - Irgendwo muss auch hier in der Nähe eine Straße sein. Oder ich kann mich irgendwo verstecken.

Angespannt sehe ich nach vorne, während ich versuche eine Hand zu befreien. Moriarty hat sich noch immer nicht umgedreht.
Die Kabelbinder fallen zu Boden.

Ich springe auf und laufe los.

Der Boden ist hart unter meinen Sohlen und mein ausgestoßener Atem verwandelt sich in weiße Wolken.

Hinter mir höre ich Stimmen, aber ich drehe mich nicht um. Ich darf nicht zurück sehen.
Einen Moment der Unachtsamkeit, ein Stolpern und alles war umsonst.

Meine Lungen brennen, als ich so schnell wie noch nie zuvor laufe.

Es ist noch dunkel. Aber das Adrenalin, das  durch meine Adern pumpt, scheint meine Sinne zu schärfen und ich bahne mir einen Weg zwischen Baumstämmen und Wurzeln.
Jetzt höre ich keine Stimmen mehr, nur meinen eigenen, keuchenden Atem.

Ein lautes Geräusch zerreißt die Stille und ich schrecke zusammen. Einige Krähen schrecken in den Baumkronen über mir auf und fliegen nach oben.

Eine Kugel ist in die gefrorenen Erde getroffen. Dort, wo vor zwei Sekunde noch mein Fuß war.

Kein Zögern wiederhole ich und laufe weiter.

Ich muss an die Wälder von Dartmoor denken. An Dewer's Hollow.

Aber ich glaube, dieses Mal jagt mich ein schlimmeres Raubtier.

Die Bäume werden spärlicher und das Geländer flacher. In der Ferne kann ich kleine Lichter sehen.

Ich muss für einen Moment anhalten und lehne mich mit dem Rücken gegen einen der dicken Baumstämme. Schnell hebt und senkt sich meine Brust, während ich nach Luft ringe. Meine Seiten stechen und ich beginne zu zittern, als ich langsam immer mehr die beißende Kälte spüre. Ich höre ein Rascheln hinter mir und fahre herum.
Hastig wandert mein Blick die Dunkelheit zwischen den Bäumen ab, aber ich kann niemanden erkennen.

Ich ignoriere das Brennen in meinen Beinen und zwinge mich dazu schneller zu laufen.

Mit einem Mal blendet mich ein helles Licht und ich halte inne.

Die Scheinwerfer eines Wagens. Noch ein ganzes Stück entfernt, aber ich kann es schaffen.

Hoffnung durchströmt mich.

Das Auto kommt näher und jetzt kann ich auch den Kurvenverlauf der Straße sehen.

,,Ja, ja!", wispere ich triumphierend. ,,Hier! Hilfe!" Ich hebe die Hände hoch.

Ich kann es schaffen. Es ist nicht mehr weit. Ich renne weiter auf die Straße zu. Ich komme hier weg, es ist vorbei.

Plötzlich bleibe ich mit dem Fuß hängen und schlage heftig auf den Boden auf.

Schmerz explodiert in meinem linken Knie.
Ich muss aufstehen. Die rauen Steine haben die Haut an meinen Handinnenflächen aufgeschürft. Ich muss weiter.

Ich hebe den Kopf an. Die Scheinwerfer entfernen sich.

,,Nein, nein!", stöhne ich verzweifelt.

Als ich mich auf den Rücken drehe und zurückblicke, glänzt etwas silbernes im schwachen Licht auf.

Stolperdraht.

Jagdtechnik. ,,Nein", hauche ich entsetzt. Ich ziehe die Beine an und versuche aufzustehen, aber ich kann mein linkes Bein kaum bewegen ohne dass der Schmerz mir den Atem raubt.

Mir wird übel, als ich den Oberkörper aufrichte und sehe, dass das Schienbein in einem unnatürlichem Winkel absteht.

Ich wende den Blick ab und lege den Kopf in den Nacken. Jeder Muskel meines Körpers ist erschöpft.
Rot und pink gefärbte Wolken ziehen über den Himmel und das Licht der aufgehenden Sonne blendet mich. Es ist ein schöner Morgen.

,,Dachten Sie wirklich Sie könnten einfach so entkommen?", ruft jemand hinter mir.

Moriarty lacht und steigt über den Stolperdraht.
Ich fühle mich, als wäre ich in einem Alptraum gefangen.

,,Nein", wiederhole ich wieder und ziehe mich mit den Händen über den Erdboden.

,,Sie dachten, dass ich Sie einfach gehen lassen und Moran auf 200 Meter Entfernung daneben schießt? Dass Ihre Fesseln zufällig locker waren?"

Er wendet den Blick nicht von mir ab, als er langsam auf mich zu geht. Drei Schritte und er hat mich bereits eingeholt.

Heiße Tränen laufen mir über die Wangen. Ich hätte es fast geschafft, ich war so nah dran!  

,,Das war alles geplant", begreife ich langsam.

,,Dumme, dumme Louise", sagt er und sein Schuh stößt gegen mein Knie.

Ich keuche auf und presse die Zähne aufeinander, um den Schmerz zu ertragen.

,,Sie haben nicht richtig zugehört", sagt er und dann tritt er zu.
Es fühlt sich an, als würde mein Gelenk zersplittern und dieses Mal ich schreie auf, bis meine Stimme heiser ist.

Moriarty beugt sich über mich und sein Gesicht verdeckt den Himmel.

,,Natürlich war es geplant", raunt er. ,,Haben Sie schon vergessen, was ich über die Jagd gesagt habe?"

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