„Okay, ich muss hier weg", verkündete ich „Am besten sogar so, dass mich niemand sieht." Ich kickte die hohen Schuhe beiseite und schlüpfte wieder in meine Chucks. 

„Ähm, falls ich mich am Fluchtversuch beteiligen darf, ich habe auf meiner Seite ein Fenster", sprach das Mädchen neben mir und ich schlüpfte aus meiner Kabine, stopfte meine Klamotten in eine Tasche und als die Tür zur Nebenkabine aufging, schnappte ich nach Luft. 

Vor mir stand Taylor Swift im Marilyn Monroe Kostüm. Sie öffnete schon das Fenster und warf ihre Schuhe und Tasche voran.

„Hallo Elsa, ich bin Anna", stellte ich mich geistig- und gehirnabwesend vor. Taylor starrte mich erst an, als hätte ich nicht mehr alle Murmeln zusammen, dann zuckten ihre Mundwinkel: „Hey Anna, ich kenne nicht weit von hier einen kleinen Laden, der tolles Bier ausschenkt und gutes Essen hat. Lust mit zu fliehen?"

Ich bekam fast Schluckauf: „Ob ich Lust habe? So lange ich von hier weg komme, mache ich alles!" Ich hatte gerade festgestellt, dass ich vor ein paar Wochen nicht im Bett eines netten Jungen von Nebenan gelandet war, sondern bei einem weltberühmten Boybandmitglied. 

Keine zehn Pferd hielten mich noch hier. Mir hätte nach dem Hotelzimmer sowieso klar sein müssen, dass er nicht irgendwer war, aber in manchen Situationen hieß die Taktik Verdrängung. Mehr oder weniger erfolgreich.

Taylor zog sich voran durch das Fenster und als wir zusammen von einem Container runter kletterten, war das der Beginn einer Freundschaft, die auch auf unterschiedlichen Kontinenten funktionierte. 



J a n e │18.06. 2016 │London



Als mir Gisele zum ersten Mal von der Idee eines Fake-Freundes erzählt hatte, hatte ich sie nur ausgelacht. Ich meinte, dass das doch absoluter Unsinn wäre, wer würde sich schon auf so einen Blödsinn einlassen?

Die Antwort war einfach: Ich.

Nachdem ich allerdings ganze vier Monate verbissen daran gearbeitet hatte von Victoria's Secret wahrgenommen zu werden und 2015 Weihnachten die Ernüchterung kam, dass ich nicht beachtet wurde, änderte sich meine Ansicht. 

Ich konnte so viele Jobs annehmen, wie ich wollte, es blieb die große Aufmerksamkeit aus. Der Pirelli-Kalender, Victoria's Secret, Dolce & Gabbana, Sports Illustrated, das waren all so große Nummern und Sahnehäubchen, die sich einfach nicht erobern ließen. 

Vivienne Westwood, meine Lieblingsmodezarin, dessen Ideen nicht meinen privaten Vorlieben entsprachen, aber durch ihren respektvollen Umgang mit Mitarbeiter und Models punktete, hatte mich einmal darauf hingewiesen, dass die Fashion-Branche immer damit prallte außergewöhnlich zu sein, aber sie sich nicht traute Hemmungen abzulegen.

In diesem Fall hatte sie auf meine ganzen Sommersprossen und hässlichen Haare gezeigt. Aktuell waren dunkle Haare, strahlend blaue Augen oder hellblondes Haar inklusive Haut, so weiß wie Schnee, absolut angesagt. Ich kannte so einige Kolleginnen, die diesen Trend verwünschten. Ebenso einen kleinen Modelord, der meinte, die Menschen neu erfinden zu müssen.

Für Lagerfeld war ich sowieso zu dick. Er hatte mir ins Gesicht gesagt dass ich auf Kohlenhydrate verzichten sollte. Danach könnte ich mich ja wieder melden. Zugegeben, mein Verlangen mich zu melden, hielt sich in Grenzen.  Aber Lagerfeld war leider im Moment derjenige, der bestimmte, wer der Masse die neusten Trends vorführte.

Aber zurück zum eigentlich, den Fake-Freund. 

Ich hatte Gisele erst im Mai gesagt, dass ich mir solch ein Szenario sehr gut vorstellen könnte, wenn es nicht total irrsinnig war. Zum Glück hatte sie sofort begriffen, was ich ihr damit sagen wollte. So unvoreingenommen ich auch war, aber niemand, selbst das dreckigste Käseblatt würde es mir niemals abkaufen, wenn ich die neue Liebste eines 70Jährigen Altrockers spielen würde. 

Twisted perfection ✓Where stories live. Discover now