36 Lynette.

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J a n e │18.04.2017 │Colorado Springs



Mein Kopf explodierte, meine Glieder schmerzten und ich hatte einen ekelhaften Geschmack im Mund. Regungslos blieb ich einfach liegen und hoffte, dass ich wieder in erlösender Dunkelheit fallen würde. Ich drehte mich auf die andere Seite. 

Zumindest befand ich mich in irgendeinem Bett. Halbherzig zog ich die Decke bis zu den Ohren und wollte wieder, dass alles verschwand. Doch je mehr ich versuchte mich selbst auszuklinken, umso deutlicher hörte ich eine weibliche Stimme. Jemand hatte das Radio, die Anlage oder irgendetwas angemacht. Ich knurrte und wollte die Musik ignorieren. 

Es dauerte, bis ich 'Tell me if you wanna go home' erkannte und eine Stimme, die es sanft sang. Kendall sollte verschwinden, ich wollte sie nicht sehen. Immerhin hatte sie mich am Abend wieder auf der Party stehen gelassen. Oder ich sie aus den Augen verloren. Wen interessierte es? 

Niemanden.

Moment, Kendall konnte nicht wirklich singen. Nun stöhnte ich, hatte sie wirklich Taylor angerufen? Mir war nicht danach mit der Blondine zu sprechen, denn ich wusste jetzt schon, was sie zu sagen hatte. Nämlich das... nein, ich wusste nicht was Taylor mir sagen würde. Oder warum sie überhaupt nach Colorado kommen sollte. Immerhin hatte sie ein paar Tourdaten. 

Das Lied ging weiter. Es erinnerte mich an zu Hause. An den Ort, wo es immer warm war, wo man immer willkommen war und wo es immer einen Platz gab, an den man zurückkehren konnte. In diesem Moment wurde mir klar, dass es nicht Taylors Stimme war, die das Lied mitsang, sondern eine Stimme, die ich viel zu lange nicht gehört hatte. Wenn, dann nur am Telefon.

Ich drehte mich um und zwang mich die Augen zu öffnen. Leichtes Sonnenlicht blendete mich, ich hatte die Gardinen nicht zugezogen. Völlig gerädert rieb ich mir über die Augen. Mist, ich hatte vergessen mich abzuschminken und wie es aussah trug ich noch das dunkelblaue Partykleid vom Vorabend. Ich wollte gar nicht wissen, wie meine Haare aussahen. Viel wichtiger war es, dass ich meinen Kopf mit der Hand stützte, denn jeder Schritt tat weh. 

Die Stimme summte weiter das Lied mit und dann stieg mir ein würziger Geruch in die Nase. Als ich mit wackeligen Beinen in der Terrassentür stand, blendete die Sonne mich brutal und ich stolperte zurück. Dabei riss ich halb die Lampe auf einer Kommode um. Beim zweiten Versuch die Terrasse zu betreten, wandte ich mich schließlich nach rechts und sah eine junge Frau in einem der Korbsessel sitzen. 

Ihr schwarzes schnittlauchglattes Haar reichte ihr bis zu den Schultern und helle Augen sahen mich über den Rand der Kaffeetasse an. Die Nägel waren passend zum rotweiß gestreiften Kleid lackiert und die langen weißen Beine elegant übereinander geschlagen. 

Auf ihren linken Unterarm konnte ich ein neues Tattoo erkennen. Langsam wanderten meine Augen zu dem kleinen Tisch, wo sich ein benutzter Aschenbecher befand. Ich sah zurück und dann blinzelte ich.

„Lynette?"

Meine beste Freundin aus Moncks Corner konnte hier nicht sitzen. Sie würde nicht bis Colorado fahren, nur um einfach da zu sein. 

Ich.... ich hatte sie seit fast einem Jahr nicht mehr getroffen. Der Joint, den ich gestern geraucht hatte, brachte mir wirklich außergewöhnliche Halluzinationen mit sich. 

„Guten morgen, Janie", sprach die Einbildung. „Du siehst scheiße aus." Okay, doch keine Einbildung. Das Lächeln auf den roten Lippen meiner besten Freundin wurde feiner. „Setzt dich doch zu mir. Ich war so frei und habe Kaffee bestellt."

Ganz langsam ließ ich mich auf den Korbsessel ihr gegenüber nieder. Noch immer dröhnte mir der Kopf. Lynette sagte kein Wort, sondern musterte mich, ich umschloss mit beiden Händen die Kaffeetasse. Schließlich nahm sie den Blick von mir und sagte: „Hübsch ist es hier."

Twisted perfection ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt