Wüstenblau Teil 3

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Wenn man bedenkt, dass "Wüstenblau" eigentlich auch nur ein Oneshot werden sollte, hat das Ding ein ganz schönes Eigenleben entwickelt. Hier nun also Teil 3, und einen vierten wird es auch noch geben. Früher oder später.

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Als Jako-Re am nächsten Morgen erwachte, lag der Mann mit den Himmelsaugen, Mar-Ti, nicht mehr zu seinen Füßen.
Nein, er hatte sich fest an seine Seite geschmiegt und den Arm beinahe besitzergreifend um seinen Körper gelegt.
Jako-Re musste schmunzeln. Dieser kleine Sklave nahm sich ganz schon was heraus. Wenn er das hier als Beleidigung, als mangelnde Respeskterweisung empfände - ein Wort von ihm hätte genügt, und das hier wäre der Tod des Mannes.
Doch ...
Auch wenn er nach gesellschaftlichen Erwartungen vermutlich genau so reagieren sollte. Nein, er empfand etwas ganz anderes.

Der Kleinere an seiner Seite schlief friedlich, offenbar sich all der Fallstricke des Systems auch Macht und Unterwerfung in des Pharaos Reich nicht in ausreichendem Maße bewusst.
Nichts von alle dem schien ihn zu belasten.
Er lächelte in seinem Schlaf.

Was geschähe, wenn er ihn dem Pharao schenkte?
Mal abgesehen davon, dass er ihn schrecklich vermissen würde. Aber dieser Gedanke huschte nur kurz durch Jako-Res Kopf. Er wollte ihn nicht zulassen.
Und so suchte sein Hirn andere Gründe, den Kleinen bei sich zu behalten.
Nun, früher oder später würde Mar-Ti sicherlich über einen dieser Fallstricke stolpern. Aus purer Unwissenheit. Und nicht jeder war so entspannt und nachsichtig wie Jako-Re.
Mar-Ti würde den Stock, die Peitsche eines strengeren Herren zu spüren bekommen. Wenn er Glück hatte.
Möglicherweise aber würde er einen Lapsus mit dem Leben bezahlen.
Nein.
Das wollte, das konnte Jako_Re nicht zulassen, und so beschloss er, dass die Götter ihm den Rat, den er von ihnen zu suchen gewillt war, offenbar schon gegeben hatten:
Er würde alles daran setzen, den Mann mit dem himmelblauen Blick zu behalten.

Und als die Karawane einige Tage später wieder aufbrach, um zurück zum Herrschersitz des Pharao zu reisen, war Mar-Ti dabei.
Er saß auf einem der Kamele und hatte den Blick sorgenvoll gesenkt.

Jako-Re hatte ihm nichts von seinen Plänen gesagt.

* * *

Der Palast des Pharao war prachtvoll und lichtdurchflutet.
Doch Jako-Re beachtete all die kunstfertigen Stelen, die respekteinflößenden Statuen, die mit Karneol und Lapislazuli ausgelegten Ornamente im edlen Granitboden nicht.
Er hatte auch kein Auge für die schöne junge Sklavin, die ihn in eines der privateren Gemächer des Herrschers führte, vorbei an den Wachen des Palastregimentes, vorbei an nubischen Dienern in pfauenfedergeschmücktem Kopfschmuck und Schurzen aus Gazellenleder.

Er hatte seine Gedanken einzig und allein bei Mar-Ti, der hinter ihm her trottete, die Augen auf den Boden gereichtet, demütig, und offenbar zutiefst unglücklich.
Sicher war der junge Mann überzeugt, nun dem Pharao übergeben zu werden.

Jako-Re betrat den Raum, in dem große, mit Nilwasser gefüllte Becken für ein wenig Feuchtigkeit und daher Kühlung sorgten.
Der Herrscher saß auf einem mit Leopardenfellen ausgelegten und aus Akazienholz geschnitzten, prachtvoll verzierten Stuhle. Ein weiterer Nubier fächerte ihm Luft zu.

Jako-Re ging auf die Knie und bedeutete Mar-Ti, es ebenso zu tun.

„Oh edler Pharao Amunramesse. Starker Stier, willkommen an Wiedergeburten. Der mit vollkommenen Gesetzen die beiden Länder befriedet. Der die Kronen hebt, der die Götter zufrieden stellt. Lebendes Abbild des Amun. Der zur Biene und zur Binse gehört. Ewiger Dank sei Euch, dass Ihr euren einfachen Diener Jako-Re empfangt und ihm voll Güte Euer Gehör schenkt."

Der Pharao hob die Brauen.
Es war ungewöhnlich, dass Jako-Re, der einer der wenigen Menschen war, die er als persönliche Freunde betrachtete, sich so förmlich an ihn wandte. Zwischen ihnen herrschte ein wesentlich warmherzigeres Verhältnis, das sie sich seit Kindertagen kannten. Jako-Re war im Palast aufgezogen worden, als noch sein, Amunramesses, Vater geherrscht hatte. Sie hatten gemeinsam unter dem strengen Blick des Oberpriesters ihre Lektionen gelernt und dem ernsten, grimmigen Mann so manchen Streich gespielt, wenn gleich nur Jako-Re den strafenden Stock ihres Lehrmeisters zu spüren bekommen hatte, den den Sohn des Pharaos wagte niemand zu beschuldigen oder gar zu strafen. Jako-Re hatte das stets gleichmütig hingenommen, und sie waren zusammen durch dick und dünn gegangen.
Kein Grund also, ihn, den Pharao, mit solch förmlicher Unterwerfung zu begrüßen.

„Steh auf, mein Freund", sagte Amunramesse daher.
JAko-Re erhob sich und setzte sich auf einen kleinen hölzernen Schemel zur Seite des Pharao.
Der klatschte in die Hände. Ein Sklave erschien mit einem kleinen hölzernen Tischchen und zwei Sklavinnen, von denen eine ein kupfernes Tablett mit allerlei Speisen trug, die andere einen Krug Wein und zwei edle Becher.

Sie speisten.
Während des Essens plauderten sie, und Jako-Re erzählte von seiner letzten Reise durch die Wüste, zum Tempel des Ammun.
Natürlich waren die offiziellen Berichte bereits zu Papyrus gebracht worden und alles beachtenswerte dem Pharao bereits mitgeteilt worden.
Doch er mochte es, wenn sein Freund die kleinen Anekdoten und Unwichtigkeiten der Reise auf seine ganz eigene Weise erzählte.
Den Sklaven, der dort neben seinem Freund am Boden kniete und den Blick nicht hob, erwähnte sein Freund mit keinem Wort.

Bis er schließlich ein Stück von dem weichen Brotfladen ab riss, es in den Wein tauchte und dem Sklaven vor die Lippen hielt.
Der Mann nahm es und sein Blick glitt, beinahe aus Versehen, zu seinem Herrn und zum Pharao.
Amunramesses Atem stockte.
Diese Augen!

Er hatte schon davon gehört, dass es weit im Norden Menschen mit solchen Augen gab, aber er hatte noch nie so jemanden gesehen.
„Woher hast du diesen Mann mit den Augen wie aus Lapislazuli?"
„Ich habe bereits von ihm gesprochen", sagte Jako-Re mit angstvoll klopfendem Herzen. Und dann erzählte er ausführlich, wie er Mar-Ti gefunden hatte und was er von ihm wusste.

Schließlich schwieg er.
Der Pharao sah ihn lange an.
„Ich spüre, mein Freund, dass du etwas auf dem Herzen hast."

Jako-Re glitt erneut auf die Knie vor seinem Herrscher und Freund.
„Ich bitte dich, oh Amunramesse, mir diesen Sklaven zu lassen. Ich weiß, das es der Anstand gebietet, ihn dir zum Geschenk zu machen. Und ich bin bereit dazu, wie auch ich dir gehöre und alles was ich habe. Doch ..., er, dessen Name Mar-Ti ist, bedeutet mir mehr als irgendein Sklave, mehr als irgendeines meiner wertvollsten Besitztümer. Ich weiß, ich bin nur ein Insekt im Staub zu deinen Füßen, oh Herrscher über das Bienen- und das Binsenland, dennoch bitte ich dich um diese Gnade. Doch falls du sie mir nicht gewähren möchtest, bitte ich dich, mir eine andere Gnade zu schenken: nimm ihn, aber dann bitte nimm auch mein Leben, da es mir ohne ihn nichts mehr bedeutet."

Berliner SammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt