Arbeitszimmer

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Dieses Kapitel widme ich Martjana, die mir die Stichworte "Globus, Kiwi, Farbe" gegeben hat.



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Professor Jakob von Joiko saß in seinem Arbeitszimmer, hatte das Gesicht auf die Hände gestützt und dachte nach.


Das Arbeitszimmer machte einen altehrwürdigen, gediegen Eindruck, und der Computer, dessen Bildschirm vor dem jüngsten Mathematikprofessor Deutschlands flackerte, schien neben Jakob selber das einzige moderne in diesem Raume zu sein.
Ein schwerer Schreibtisch und lederne Sessel, ein Vitrinenschrank und Wandregale, alles Antiquitäten aus wilhelminischer Zeit. Erbstücke der von Joikos, einem alten Adelsgeschlecht, das schon seit Jahrhunderten helle Köpfe hervorbrachte. Ebenso die vielen Bücher in den Regalen, viele davon Erstausgaben, die meisten wissenschaftliche Werke, ledergebunden, edel und alt.


Dennoch machte das ganze keinen verstaubten, musealen Eindruck, was daran lag, das Jakob, dessen Reich dieses Zimmer war, kleine Zeichen seiner Anwesenheit hier verteilt hatte. Nun, der Computer natürlich.
Ein kleines Gestell mit CD, ein paar an den PC angeschlossene Bluetooth Boxen.
Eine achtlos über den Besuchersessel geworfene Jacke
Ein Strauss Blumen.
Eine Schale mit Obst.
Eingerahmte Fotos.


Bein Anblick der Obstschale musste Jakob lächeln, denn sie ließ ihn an den denken, der sie hier hingestellt hatte.
Fischer.
Fischer war sein, nun, in früheren Zeiten hatte man ihn Maior Domus genannt. Er sorgte dafür, dass der Haushalt funktionierte, dass alle Hausangestellten ihre Arbeit machten und alles wie mit Zahnrädchen in einander übergriff. Der Stammsitz der von Joikos war immerhin ein altes, aus spätgotischer Zeit stammendes Schlösschen und auch wenn Jakob selber dieses ganze Adelsgetue auf die Nerven ging, schmiss man den Haushalt in einem solchen Anwesen nun mal nicht alleine.


Fischer hatte das alles im Griff und machte diesen Job mit Freude und Verve und schien völlig darin aufzugehen. Wann immer Jakob mit ihm zu tun hatte, schätze er ebenso Fischers offenen und doch dezenten Humor, der irgendwie Farbe in Jakobs nicht immer ganz einfaches Leben brachte.


Fischer war auch der Grund dafür, dass von Joiko jetzt hier saß und grübelte.
Denn... es hatte sich kürzlich eine eher unangenehme Situation ergeben, die darin bestand, dass seine Mutter, eine konservative Frau, beschlossen hatte, ihn zu verheiraten. Mit einer Frau von Stand natürlich. Pah, als ob das heute noch eine Rolle spielte!
Aber die Mutter bestand darauf, und sie hatte ihm in den vergangen Wochen immer mal wieder junge Damen vorgestellt, die eine standesgemäße Partie abgeben würde.


Gott, wie sehr Jakob das hasste. Töchter irgendwelcher Adelshäuser, die entweder von der ganzen Aktion genauso genervt waren wie er selber, oder die, obwohl noch jung, selbst stockkonservativ auf dem Erhalt des Blutes Wert legten und sonst nicht viel im Kopf hatte...
Oder bestenfalls noch Töchter irgendwelcher reichen industriellen; die hätten zwar keinen edlen Namen, aber eine Menge Geld in die Ehe zu bringen...
Grauenhaft.


Hinzu kam der Umstand, dass Jako, wenn er schön überhaupt würde heiraten wollen, nicht irgendjemandes Tochter, sondern eher einen Sohn wählen würde.
Aber damit brauchte er der Mutter gar nicht kommen. Sie kriegte Atemnotanfälle und lieferte eine oskarreife Vorstellung ab,
Er seufzte und ließ ganz in Gedanken den Globus, der vor ihm auf dem Schreibtisch stand, kreisen.
Einfach die Koffer packen,und verreisen. Irgendwohin, wo es all diese Sorgen nicht gab. Weit weit weg, vielleicht zu den Kängurus in Australien oder den Kiwis in Neuseeland... den Elefanten in Afrika...
Er schüttelte den Kopf.
Alles Schwachsinn. Er war ein erwachsener Mann, er müsste sich einfach gerade machen und zu dem stehen, was ihm wichtig war. Gegen die Mutter durchsetzen.


Sie würde ausflippen, keine Frage. Sie würde ihm drohen, ihn zu enterben. Nun, er hatte seine Mathematikprofessur und hatte schon einige Bücher verlegt... er verdiente selbst genug, um darauf nicht angewiesen zu sein. Den Adelstitel konnte sie ihm nicht entziehen, aber selbst wenn – er legte keinen Wert darauf.


Ein leises Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.
„Herein," sagte er und schaute auf den eintretenden.
Fischer.
„Professor von Joiko, ihr Mutter lässt ausrichten, dass die Gäste da sind und das Essen in wenigen Minuten aufgetragen wird."
Gäste. Pah, wieder Leute mit einer potentiellen Kreistagskandidatin im Schlepptau.
Nein, er hatte endgültig genug.


„Fischer," sagte er leise, „sagen Sie, wie heißen Sie eigentlich mit Vornamen?"
Der andere sah ihn erstaunt an.
„Ähm... Marti."
Jakob grinste. „Darf ich Sie so nennen?"
„Ja... gerne..." Die Wangen des kleineren wurde rot.
„Gut, vielen Dank, Marti. Nennen Sie mich im Gegenzug Jakob, einverstanden?"
Die blauen Augen Martis funkelten, als er erfreut nickte.


„Und jetzt, Marti, habe ich eine große Bitte an Sie. Wären Sie bereut, gemeinsam mit mir der ganzen Scharade ein Ende zu setzen und meiner Mutter eins auszuwischen?"
Der andere Grinste. Er mochte Frau von Joiko nicht besonders, besonders nicht wie die mit ihrem Sohn umging. Den er im übrigen äußerst gutaussehend und charmant fand...
Er nickte also und sagte:
„Was soll ich tun?"


Und so kam es, dass kurze Zeit später Professor Jakob von Joiko Marti Fischer den Arm reichte und ihn, nun in Anzug und Krawatte steckend, in das Esszimmer geleitet und ihn dort innerlich grinsend als seine Verlobten vorstellte.
Die Mutter kriegte eine hysterischen Anfall und drohte mit allem möglichen.
Die potentielle Heiratskandidatin verließ mit den sie begleitenden Eltern beleidigt das Anwesen.
Jakobs Vater, der bisher zu allem geschwiegen hatten, schmunzelte und schenkte seinem Sohn ein amüsiertes und ein bisschen stolzes Schulterklopfen, was ihm zwar Ärger mit seiner Frau einbrachte, aber er ohnehin von stoischer Gelassenheit.


Die Presse griff die ganze Sache mit großem Vergnügen auf, und schon wurde Locations und Termine für ihre Hochzeit gehandelt.
Eigentlich hatten Jakob und Marti das ganze recht schnell wieder auflösen wollen.
Doch...
Sie bemerkten, das sie das eigentlich gar nicht wollten.. und so blieb die Verlobung bestehen, und ein halbes Jahr später gaben sich Jakob von Joiko und Marti von Joiko, geborener Fischer, das Jawort.
Die Trauungszeremonie fand im kleinsten Kreise im Arbeitszimmer statt, jenem Zimmer, indem aus einer Trotzidee heraus eine der glücklichsten Ehen entstanden ist, die man sich vorstellen kann.  


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