Wüstenblau Teil 4

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Lange schwieg der Pharao Amunramesse, der Herr des Bienen- und Binsenlandes, Herrscher über Ober- und Unterägypten, Liebling der Götter und Beschützer der Menschen.
Lange schwieg er und dachte nach.

Still war es im Palast. Der Wüstenwind, der durch die hohen, schmalen Lichtfenster des inneren Palastgebäudes vom Lustgarten diesseits der äußeren Mauern herein wehte, rauschte leise. Ein ferner Gong schlug, irgendwo in einem der ferneren Flügel verkündete sein Klang den Sonnenstand.
Das perlende Lachen eines jungen Mädchens, einer Sklavin vielleicht, wurde von den Lüften herüber getragen.
Aber sonst war es still.

Jako-Re glaubte, jedes Pochen seines Herzens müsse wie Donnerhall in den Palastmauern erklingen.

Mar-Ti wollte so gern etwas sagen, doch er konnte nicht: er sprach die Sprache nicht gut genug, um sich ausdrücken zu können; und er durfte nicht. Wie hätte er, ein einfacher Sklave, ein Fremdländer noch dazu, es wagen können, seine Stimme ungefragt in Gegenwart des Pharao zu erheben? Er wusste nicht viel über dieses Land, aber das wusste er: es wäre sein Tod gewesen.

Der Pharao jedoch schwieg.
Er dachte nach.

Die Himmelblauen Augen gefielen ihm, und auch sonst sah der junge Mann nicht schlecht aus. Er würde ihm sicher in schweren Nächten, wenn die Lasten der Herrschaft ihn drückten, die Sorgen ein wenig vertreiben können.
Es wäre ein leichtes, ihn zu beanspruchen, denn alles, was im Reiche Ägypten war, gehörte ihm, dem Pharao.
Einer Handbewegung nur würde es bedürfen, und schon kämen Diener und brächten den Himmelsaugen-Mann wohin auch immer er befahl: in den Kerker, in den Tempel, zu den Wohnräumen der Palastsklaven - oder in des Pharaos Bett.

Und doch.
Er wurde einen Sklaven gewinnen, ja. Einen besonderen noch dazu, denn solche Augen hatte er noch nicht in seinem Besitz.

Aber - er würde einen Freund verlieren.
Er sah das Verlangen, das Hoffen, das Bitten in Jako-Res Augen.

Jako- Re war ihm ein wahrer Freund. Einer, der ihn seit Kindertagen schon kannte. Der ihn um seiner selbst willen mochte, und dem es nicht um Macht oder Reichtum ging.
Sicher, man konnte nicht bestreiten, dass die Nähe zum Herrscher auch Jako-Re manchen Weg geebnet und manche Tür geöffnet hatte. Das war nun einmal der Lauf der Dinge, das ließ sich eben nicht ändern. Aber anders als andere in seinem Umkreis hatte Jako-Re es nie darauf angelegt, hatte sich das meiste, was er heute war und besaß, aus eigener Kraft geschaffen und hatte vor allem ihn, den Pharao, nie um etwas gebeten. Hatte nie etwas für sich selbst gewollt.
Hatte zu ihm gehalten, ihn unterstützt, loyal zu ihm gestanden ohne dafür Geschenke zu erwarten, wie es bei vielen anderen üblich war.

Sicher, der Pharao hatte ihn dennoch belohnt. Aber Jako-Re war nicht deshalb an seiner Seite. Er hatte selbst dann zu ihm gehalten, als die Krieger aus den nubischen Ländern im Süden so erfolgreich gegen Ägypten gewesen waren, dass Stimmen laut geworden waren, man würde ihnen wohl unterliegen.
Er war auch dann nicht von des Freundes Seite gewichen, als ein Attentäter den Pharao angegriffen hatte und es schien, als würde er es nicht überleben; sein Nachfolger hatte schon fast auf dem Thron gesessen und hatte alle, die zum Pharao hielten, mit dem Tode oder der Versklavung bedroht.
Jako-Re hatte nicht gewankt.

Und nun stand dieser Mann hier das erste Mal in ihrer beider Leben vor ihm, nein, er kniete vor ihm und bat um etwas für sich ganz persönlich. Und auch dabei ging es nicht um Reichtum oder Macht. Sondern um etwas so persönliches wie diesen Sklaven.

Der Pharao seufzte.
Er konnte es nicht.
Er würde diesem Manne, diesem Freund nicht das einzige verweigern, was der sich wünschte und was ihm offenbar so viel bedeutete, dass er bereit war, sein Leben dafür zu lassen.

Er winkte einer der nubischen Wachen zu.
„Ruft mir den Schreiber!"
Dann machte er eine Geste in Richtung Jako-Res.
„Erhebe dich, Freund."

Der Schreiber kam.
Jako-Re stand atemlos vor dem Pharao. Mar-Ti kniete noch immer und zitterte. Was geschah hier?

„Schreiber, halte fest: Ich, Pharao Amunramesse. Starker Stier, willkommen an Wiedergeburten. Der mit vollkommenen Gesetzen die beiden Länder befriedet. Der die Kronen hebt, der die Götter zufrieden stellt. Lebendes Abbild des Amun. Der zur Biene und zur Binse gehört.
Ich habe entschieden: Der Sklave Mar-Ti, auch genannt Mann mit den Himmelsaugen, gehört von heute an bis an das Ende der TAge meinem edlen Gefährten und Freund Jako-Re. Möge Ammun dem Herrn und dem Sklaven lächeln."

Jako-Re schluckte.
Und obwohl der Pharao ihm geboten hatte, sich zu erheben, sank er erneut auf die Knie.
„Ich danke Euch", sagte er. „Ich danke Euch, Oh großer Pharao. Ihr habt mir mein Leben geschenkt."

Der Herrscher lächelte.
„Nun geh, mein Freund. Zwar möchte ich mit dir deine erfolgreiche Rückkehr feiern und dazu einige Becher Wein leeren und Ammun danken. Aber das lass uns verschieben. Heute hast du andere Dinge zu tun. Bring deinen Himmelsmann in dein Stadthaus und nimm dir Zeit für ihn. Ich denke, er wird nicht lange mehr ein Sklave sein, nicht wahr?"

Jako-Re errötete.

* * *

Nun, es kam, wie der Pharao vermutet hatte.
Jako-Re schenkte Mar-Ti die Freiheit.
Die Freiheit, kein Sklave mehr zu sein, die Freiheit zu gehen oder zu bleiben.

Mar-Ti blieb.

In Jako-Res Haus, in seinem Bett und in seinem Herzen.

Sie wurden alt zusammen, und als sich viele viele Nilschwemmen später Jako-Res dunkles Augenpaar schloss, da schloss sich auch Mar-Tis blaues. Für immer.
Und daher schritten sie auch den Weg der Toten durch das Reich Amentet gemeinsam, Hand in Hand.

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