neunzehn

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Kaum das ich eingeschlafen bin, träume ich wirres Zeug. Von meinem ersten Freund, der nie zu mir stehen wollte und mich schließlich mit gebrochenem Herzen zurück gelassen hat, von Cat in einem Trenchcoat und Lupe in der Hand und von einem laufenden Magnus, der mit mir Hand in Hand am Strand entlang rennt.

Von einem lauten Klopfen werde ich schließlich schweißnass auf. Ich brauche einen Moment, um mich zu orientieren und krabbel dann aus dem Bett. Das kann nur Cat sein und ich habe keine Lust auf ihre bohrenden Fragen. Ich werde sie abwimmeln und mich dann wieder in mein Bett kuscheln, dieses Mal aber ohne Klamotten.

Ich reisse die Tür auf und will gerade etwas sagen, als ich Ragnor erkenne und mein Mund klappt wieder zu. Er grinst mich an. "Mensch Alec, Sie sehen völlig fertig aus. Haben Sie in Ihren Sachen gepennt oder was? Ich darf doch reinkommen oder?" Bevor ich antworten kann, hat er sich schon an mir vorbei geschoben und sich auf mein Sofa geschmissen. Etwas ratlos gehe ich ebenfalls ins Wohnzimmer und sehe ihn stumm an.

"Cat wollte, dass ich nach dir sehe. Ich darf doch du sagen oder?" Langsam nicke ich. "Wenn du dich morgen noch daran erinnerst, gerne." murmel ich und er zieht fragend die Augenbrauen hoch. "Was?" Ich winke ab. "Nichts, schon gut. Ich geh schnell duschen und mich umziehen. Schon wieder." erwidere ich. "Zieh dir was bequemes an, Magnus hat dir den Tag frei gegeben." Ich stutze einen Moment. "Okay. Wenn du was brauchst, bedien dich einfach. Scheinst dich ja hier auszukennen." sage ich noch und gehe ins Badezimmer.

Als ich frisch geduscht und mit Jogginghose und Shirt wieder herein komme, sitzt Ragnor mit einem Glas Wasser da und starrt aus dem Fenster. "Alles klar?" frage ich und sein Blick zuckt zu mir. "Mh, ja klar. Das ging schnell." Ich hole tief Luft, während ich mich setze. "Sag mal, hast du eigentlich eine Freundin?" frage ich und er starrt mich an. "Baggerst du mich gerade an, Alec?" Ich muss laut lachen. "Keine Sorge. Es war reines Interesse." antworte ich. Erleichtert atmet er auf. "Okay, Sorry. Es ist nur so, dass Cat mir gesagt hast, dass du, also du bevorzugst...ähm."

"Männer." falle ich ihm ins Wort und er nickt. "Ich hoffe, sie durfte mir das erzählen?" Ich nicke. "Natürlich. Ich stehe dazu. Es ist nichts schlimmes und es tut auch nicht weh, es auszusprechen. Ich bin schwul." Er betrachtet mich. "Gut, gut. Haben wir das auch geklärt. Zu deiner Frage, kann ich nein sagen. Ich habe keine Freundin. Wieso, weißt du eine?" Plötzlich klingt er aufgeregt und innerlich schlage ich ihm einen Zaunpfahl vor die Stirn.

"Was? Nein, wie gesagt, es war reines Interesse. Ich hab nicht sonderlich viele Freunde. Da bleibt die Auswahl für dich eher klein." Er nickt abwesend. "Nicht schlimm. Ich mag ja jemanden aber sie scheint da sehr blind zu sein. Wir sehen uns so oft, aber sie bekommt nicht mit, wie sehr ich sie mag. " Okay, ich schlage ihm lieber die ganze Zaunpfahlfirma an den Kopf, denn ich verstehe sofort, wen er meint.

"Lad sie ein, Ragnor. Sie wird nicht nein sagen." Erstaunt sieht er mich an. "Ich weiß gerade nicht, wovon du redest." stammelt er. "Ich hab doch auch gar nicht gesagt, wen ich meine. Woher willst du also wissen, dass sie ja sagen wird?" Er lacht nervös auf und ich rolle mit den Augen. "Sie mag dich auch, also lade sie ein. Vertrau mir einfach." Wieder starrt er mich an und strahlt plötzlich. "Okay, dann werde ich genau das tun. Gleich morgen." Ich nicke. "Wo ist sie eigentlich?"

"Sie hat einen Termin und hat mich deswegen gebeten nach dir zu sehen. Geht es dir gut?" Ich fahre mir durch mein Gesicht. "Ja, ich war wohl nur müde. War Magnus sauer?" Er schüttelt den Kopf. "Ich hab ehrlich gesagt mit einem Wutanfall gerechnet, aber er war ganz ruhig. Mal ehrlich Alec, hat er sich daneben benommen letzte Nacht?" Ich winke ab. "Nichts von Bedeutung. Ich denke, er ist manchmal mit seiner Situation völlig überfordert. Er hasst es so sehr auf andere angewiesen zu sein, da muss er wohl manchmal Dampf ablassen."

Langsam nickt Ragnor. "Ja, eben deswegen bin ich hier. Er ist schon so viele Jahre mein bester Freund und ich konnte ihn nicht hängen lassen. Anfangs hab ich sogar hier gewohnt, deswegen kenne ich mich hier in dieser Wohnung aus. Irgendwann musste ich allerdings wieder ausziehen, man kann meine Mutter wirklich nicht lange alleine lassen.
Seine anderen Freunde sind alle abgehauen, Cat und ich dagegen stehen zu ihm und versuchen zu helfen, wo es eben geht. Wir akzeptieren ja sogar seine Dickköpfigkeit und seine Entscheidung." Er verfällt ins Grübeln und dann fällt es mir auf.

"Moment mal, was meintest du mit seiner Entscheidung? Welche Entscheidung hat er denn getroffen mit der ihr nicht einverstanden seid?" Gequält sieht er mich an. "Ich hab nicht das Recht darüber zu reden, Alec. Das sollte er dir selbst irgendwann sagen. Ich weiß ja, dass ihr euch gut versteht und eines Tages wird er dir alles erzählen. Ganz sicher." versucht er abzuwiegeln und steht auf.

"Ich sollte auch mal langsam gehen. Meine Mutter braucht noch Brötchen und Käse. Diese verrückte Frau hat sich ja das Bein gebrochen und stell dir vor, sie hat tatsächlich einen Waschbären gejagt." Er geht zur Tür und ich springe ebenfalls auf. "Warte, Ragnor. Bitte sag mir die Wahrheit. Wir reden hier nicht von Selbstmord oder sowas oder?" Er wird blass. "Nein, natürlich nicht. Obwohl er auch diesen Gedanken mal hatte, aber das ist vorbei. Ich schwöre es. Es geht um seine Erfolgschancen."

Ich sehe ihn fragend an und er kneift die Augen zusammen. "Alec." jammert er. "Ich hab schon zu viel gesagt." Ich seufze laut. "Bitte Ragnor, sag es mir. Ich vergesse es auch sofort wieder." bettel ich und er scheint mit sich zu hadern. Dann fährt er sich durch die Haare.

"Okay. Die Ärzte haben ihm damals gesagt, dass seine Chance wieder laufen zu können ziemlich hoch ist. Er muss allerdings mitarbeiten und vorallem muss er eines machen: er muss es wollen. Magnus hat aufgegeben, als es nicht sofort funktioniert hat. Alec, verstehst du nicht? Mit viel Disziplin und mit genug Lebenswillen und Durchhaltevermögen könnte er wieder laufen."

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