Alarmglocken des Anstands

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Ella

In einer anderen Zeit, in einer anderen Welt...

»Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Sie werden mich in Herr Dirners Büro führen müssen.«

Herr Fuchs lehnt sich vor und sieht mich vielsagend an. Schnaubend verschränke ich die Arme. »Damit Sie in seinen Sachen herumwühlen können?«

»Ganz genau.« Ich rolle die Augen gen Himmel.

Mir war durchaus bewusst, dass ein Besuch in Jacks Büro mit diesem herzallerliebsten Detektiv hier unumgänglich war – dennoch behagt mir der Gedanke ganz und gar nicht, Fuchs an die privaten Unterlagen meines Verlobten zu lassen.

Ich sage mir, dass das nur daran liegt, dass ich Jack's Privatsphäre schützen will... aber ist das wirklich alles? Nein, ist es nicht, wie ich zugeben muss.  Die Wahrheit ist nämlich: Ich habe Angst. Angst vor den Dingen, die wir dort vorfinden könnten.

Im Moment kann ich mir noch vormachen, dass er vielleicht einfach nur zu einer überstürzten Geschäftsreise aufgebrochen ist und mich in Kürze ein Anruf oder wenigstens ein Telegramm erreichen wird. Aber sollten wir dort etwas finden, dass beweist, dass er in Gefahr ist, kann ich mich dieser Illusion nicht länger hingeben.

»Frau Donner?«

Ich schaue auf und begegne den schwarzen Mandelaugen meines Gegenübers. Das muss das erste Mal sein, dass seine Augen mich nicht durchbohren wie Pfeile, das erste Mal, dass mir mal kein unangenehmer Schauer das Rückgrat hinunterläuft. Die übliche Härte ist aus seinem Blick gewichen und er sieht fast schon... normal aus. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass in seinen Augen sowas wie Mitgefühl liegt.

»Ich... ich werde Sie zu seinem Büro geleiten«, gebe ich schließlich nach. Er wendet den Blick ab und nickt einmal knapp. »Nun, gut. Dann sollten wir keine Zeit verlieren.«

Verwundernd blinzelnd richte ich mich auf. »Moment, Sie wollen jetzt los?«

Fuchs verdreht die Augen. »Nein, natürlich nicht. Zuerst habe ich noch einige Fragen an Sie.«

»So, ich dachte sie sagten, das wäre nicht nötig?«, frage ich schnippisch. Mir ist durchaus bewusst, dass ich mich gerade wie eine Zicke anhöre, aber dieser Mann reizt mich nun mal bis aufs Äußerste – er bringt meine schlechtesten Seiten zum Vorschein.

Er schnaubt entnervt. »Jetzt hören Sie mal auf die Diva rauszukehren und kooperieren Sie!«
Entrüstet versteife ich mich. »Also, das ist ja wohl die Höhe! Wer hat sich denn eine schöne Zeit im Park mit einer Zigarre machen wollen, Sie oder ich?!«

Mit leicht geröteten Wangen erhebt er sich ruckartig und stützt sich auf dem Tisch ab. »Eine kubanische Zigarre, die Sie im Übrigen zu Schrott verarbeitet haben, vielen Dank dafür!«, ruft er mit angriffslustig blitzenden Augen.

Jetzt erhebe ich mich mit und bringe mein Gesicht nah an seins. »Sie haben es auch verdient, Sie, Sie... Schuft!« Uns trennen nur noch wenige Zentimeter und schon ärgere ich mich darüber, ihm so nahe gekommen zu sein. Zurückweichen ist allerdings auch keine Option – dann würde ich ja nachgeben und Schwäche zeigen!

Unsere Gesichter sind sich so nah, dass ich seinen holzig herben Geruch wahrnehmen kann. Merkwürdig, aus der Nähe sind seine Augen gar nicht so bodenlos schwarz... viel eher verbergen sich in ihnen rötliche Mahagoni-Noten, die sich in seinem rostroten Haar ebenfalls wiederfinden...

Schlagartig weicht die gewohnte Härte aus seinem Blick und ein belustigtes Funkeln tanzt über seine Iriden. »Haben Sie mich gerade wirklich ›Schuft‹ genannt?«, murmelt er. Ich blinzele verlegen. »Nun... ja. Das habe ich.«

Jetzt verzieht sich sein sommersprossiger Mund zu einem Halblächeln und er kommt sie so nahe, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüren kann.

Jegliche Alarmglocken des Anstands schrillen in meinem Kopf und ich weiß, dass ich sofort zurückweichen müsste – für eine Dame ziemt es sich nicht, einem Herren, mit dem sie nicht liiert ist, so nahe zu sein. Schon gar nicht, wenn besagte Dame eigentlich mit einem anderen verlobt ist!

Doch gerade, als ich mich abwenden will sehe ich, dass Detektiv Fuchs' Wangen wieder diese rosa Farbe angenommen haben.

Als ich mir selbst eine Hand ans Gesicht lege registriere ich, dass meine Wange ebenfalls warm ist. Das muss an meiner Verlegenheit liegen. Bei ihm ist es also auch so! Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass er zu solchartigen Gefühlen überhaupt imstande ist.

»Frau Donner?«, sagt er leise, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Ja?«, krächze ich.

»Warum starren Sie mich so an?«

»Warum starren Sie mich so an?«

Er schnaubt, was ich als leichtem Lufthauch an meinem Gesicht spüren kann. »Sie haben doch angefangen!«

»Sie haben weitergemacht!«

Er rollt die Augen zur Decke hoch. »Wollen wir uns darauf einigen, dass wir nun wieder einen gewissen Abstand zwischen uns bringen?«

»Ja, das halte ich für eine ausgezeichnete Idee«, stimme ich zu. Trotzdem passiert nichts.
Weder er, noch ich weicht zurück.

Das ist doch lächerlich! »Jetzt machen Sie schon!«, keife ich. »Machen Sie doch!«

»Auf drei?«, schlage ich vor. Er nickt.

»Okay... eins, zwei... drei!«

Synchron lösen wir uns wieder voneinander... leider hatte ich es damit etwas zu eilig, sodass ich mit den Kniekehlen gegen den Stuhl hinter mir pralle und gefährlich ins Straucheln gerate.

Im allerletzten Moment schließen sich zwei Hände fest um meine Oberarme. Mit rasendem Herzen stoße ich ein »Puh!« aus.

»Stehen Sie stabil?« Ich nicke peinlich berührt.

Eine Weile verweilen seine Hände noch auf meinen Armen, dann lässt er mich kopfschüttelnd los.

»Na, Sie sind meine bisweilen ungewöhnlichste Klientin, das können Sie mir glauben!«, grummelt er. ›Und Sie der verwirrendste Mann, der mir je untergekommen ist!‹, schießt mir durch den Kopf.

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