Kapitel 21 _ Nacht-und-Nebel-Aktion

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Es hatte geholfen einfach mal schweigend im Park zu liegen. Paddys Gesellschaft hatte ich auch kaum bemerkt, da er selbst völlig in Gedanken war. Aber der Aufenthalt hatte nicht nur einen positiven Effekt auf meine Emotionen, ich hatte auch einen Entschluss getroffen: Ich würde ausziehen. Dennis hatte mir ja schon oft das Angebott gemacht zu ihm zu kommen, aber bisher hatte ich immer gedacht, meine Mutter bräuchte mich. Doch im Park hatte ich nochmal ich Ruhe über alles nachgedacht und vermutlich wäre es besser, etwas Abstand zu gewinnen. Wie sollte sie meinen Vater vergessen, wenn ich ihm doch so ähnlich war? Es war eine verzwickte Situation. Aber völlig egal was ich glaubte tun zu müssen, Stephan hatte mich wach gerüttelt. Ich war bei Dennis besser aufgehoben. Für ihn waren meine Träume keine albernen Märchen oder Zeitverschwendung.

Als ich an dem Abend in mein Hotelzimmer kam, waren Smudo und Michi weg, aber das war mir nur recht. Ich packte meine Tasche und rief im gleichen Atemzug Dennis an. "Hey Süße, alles klar?" "Steht dein Angebot noch?" fragte ich ohne Umschweife. Dennis, dessen misstrauisches Stirnrunzeln ich buchstäblich vor mir sehen konnte, fragte was ich meinte. "Ich bleib wohl länger als ursprünglich geplant, wenn das okay ist." "Für meinen kleinen Engel hab ich immer Platz." Ich nickte. "Du bist meine Rettung. Ich hol morgen meine Sachen." "Willst du mir erzählen was passiert ist?" Ich schüttelte den Kopf, auch wenn er das nicht sah, gab es mir eine gewisse Sicherheit. "Nein, später irgendwann." Dennis seufzte. "Okay, dann lass mich dir helfen." "Dennis, ich brauch keine-" "Ich komm morgen mit meinem Transporter, Anny, dann geht es schneller, okay?" "Danke." gab ich mich geschlagen. Wir machten uns noch einen Treffpunkt aus, bevor wir auflegten.

Am nächsten Morgen holte ich mir nur schnell was Kleines vom Buffet, bevor ich nach draußen ging, um Dennis zu treffen. "Ist das von mir?" fragte ich als ich sein Tshirt genauer betrachtete. Er grinste stolz. "Hab es ein wenig abgeändert, sieht cool aus, oder?" Da musste ich zustimmen. Dennis hatte ein kleines Label gegründet und machte seine eigenen Tshirts und Pullis. Das Kings prinzess Shirt war auch von ihm. "Hattest du den Pulli schon an?" "Klar was denkst du denn?" "Und wie kam er an?" "Gut, kam gut an." sagte ich schlicht. Ich wollte ihm noch nicht verraten, dass er bald im Fernsehen zu sehen war. Das würde Dennis schon selbst herausfinden. Es war schon verrückt genug, dass Dennis dieses Label tatsächlich gegründet hatte. Als er damals die erste Idee dazu hatte, waren wir beide stockbesoffen und fanden diese Idee absolut genial. Unter dem Einfluss einer Menge Alkohl haben wir den Namen "MiDe's" erntwickelt, der schlicht und einfach aus den Anfangsbuchstaben unserer Vornamen besteht. Und Dennis bestand in seinem Zustand damals sogar darauf, dass wir meinen Zweitnamen und nicht meinen Erstnamen nehmen würden. Als wir dann festgestellt haben, das "mide" im spanischen "messen" bedeutet, da wir wir hin und weg. Mit dem Restalkohol im Blut, habe ich Dennis dann einige meiner Designs für und alte Kunstprojekte anvertraut. Ich hatte ja keine Ahnung, dass der das durchziehen würde...

Die Fahrt verlief über eine Stunde lang schweigend. "Du bist in letzter Zeit häufiger in Berlin, was?" Ich nickte stumm. "Dann hast du es also geschafft." sagte er schlicht. Stirnrunzeld sah ich ihn an. "Ich bitte dich, Anny", lachte Dennis, "Neulich am See warst du so fröhlich wie lange nicht mehr. Ich habs sofort gewusst." Sein Grinsen wurde noch breiter. "Wer ist denn der Glückliche?" Ich blinzelte einige Male bevor mir bewusst wurde, dass er die Situation völlig falsch einschätzte. "Da ist kein Kerl." sagte ich breit grinsend. "Was? Erzähl keinen Stuss!" Ich musste bei seinem entsetzten Gesicht lachen. "Dabei war ich mir so sicher." "Okay, erwischt." sagte ich noch immer Grinsend. "Da sind 4 Kerle." Verständnislos sah er mich an und ich musste nur noch heftiger lachen.

Sobald wir die Autobahn verließen, nahm meine gute Laune jedoch ein jähes Ende. "Hey, ich bin ja da. Alles wird gut, versprochen." versprach Dennis mir hoch und heilig. Ich gab mir Mühe ihm ein Lächeln zu schenken. Wir fuhren noch knapp 20 Minuten in denen keiner was sagte. Als wir dann auf dem Bürgersteig vor dem Einfamilienhaus stehen blieben, atmete ich tief durch. "Dann ziehen wir das mal durch. Weißt du schon was du alles mitnehmen willst?" Ich nickte. "Gut, Umzugskartons sind hinten." Umzugskartons! "Oh, du bist echt meine Rettung, daran hab ich echt gar nicht mehr gedacht." gab ich zu. Dennis grinnste. "Na da siehst du mal was für ein feiner Kerl ich bin." Da hatte er recht. Aber dass Dennis ein guter Kerl war, das konnte mir sowieso niemand streitig machen. "Ist denn jemand zuhause?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, eigentlich nicht. Meine Mutter ist bis 3 und Stephan bis 4 arbeiten." "Na dann legen wir mal los." Dennis stieg voller Tatendrang aus und ich folgte ihm.

Zu erst hatten wir meine Klamotten nach draußen befördert, danach mein Zeichenzeug, Elektronik und bei dem Rest haderte ich mit mir. Abgesehen von der zerbrochenen Gitarre hatte ich nicht mehr viele Habseeligkeiten. Vor zwei Jahren hatte ich eine sehr minimalistische Phase und da hatte ich auch vieles von meinem Zeug weg gegeben. Wir füllten schließlich noch vier Kisten mit Büchern, DVDs und CDs. "Brauchst du sonst noch was?" fragte Dennis. Ich nickte und griff unter mein Bett. "Das wichtigste hab ich beinahe vergessen." "Ist das ein Fotoalbum?" "Ja, da sind Bilder von allen Menschen die mir wichtig sind drin." "Von jedem nur ein Bild?" fragte Dennis während er durch blätterte. Wieder nickte ich. "Außer von meinen Eltern." "Wow, woher hast du die?" fragte er als er eine Seite mit alten Bildern entdeckt hatte. "Die hab ich mal auf dem Dachboden gefunden." sagte ich und betrachtete die alten Bilder. Neben meinen Eltern waren da noch andere Leute drauf, ich kannte sie, wusste aber nicht woher. Und wie bei so vielen Kinderfotos von mir vermutete ich, dass das irgendwelche entfernten Verwandten oder ehemalige Nachbarn oder Freunde meiner Eltern waren. Eigentlich kannte ich die Hälfte der Leute auf meinen Kinderfotos nicht.

"Und jetzt?" fragte Dennis. Wir hatten inzwischen alles im Transporter verstaut und saßen in meinem leer geräumten Zimmer auf dem Bett. Ich war heilfroh, dass ich meine Möbel nicht mitnehmen brauchte, denn dann hätten wir definitiv länger als 5 Stunden gebraucht. "Meine Mom kommt bald nach Hause." stellte ich fest. "Wilst du sie sehen?" Auch wenn weg laufen einfacher war, wollte ich sie nicht einfach so hier lassen ohne meine Entscheidung zu begründen. So eine Nacht-und-Nebel-Aktion wollte ich ihr nicht antun. Schlimm genug, dass ich ohne Vorwarnung ausziehen würde. "Ich muss noch schnell was fertig machen." sagte ich und sprang auf. "Was-" "Meine Kündigung." Ich lief in das Arbeitszimmer von Stephan und tippte meine fristlose Kündigung in seinen Rechner ein. Und ein bisschen verschaffte es mir Genugtuung, da ich dieses Dokument in seinem Zimmer, auf seinem Computer tippte. Ich druckte den Zettel aus zwei Mal aus und setzte meine Unterrschrift darunter bevor ich einen davon in einen Umschlag steckte.

Wie erwartet kam meine Mutter einige Zeit später. Sie fiel beinahe aus allen Wolken als ich ihr sagte, dass ich ausziehen würde. Ich gab mir natürlich Mühe sie zu beruhigen und versuchte ihr klar zu machen, dass es so einfach besser für alle Beteiligten war. Stephans Beitrag zu diesem Entschluss ließ ich aus. Ich wollte nicht, dass sie ihn verantwortlich dafür machte. Sie brauchte doch jetzt jemanden an dessen Schulter sie sich ausweinen konnte. Jemand der für sie stark sein konnte. Auch wenn das in Stephans Fall keine Stärke, sondern pures Desinteresse sein würde... Nachdem Dennis schließlich versprach gut auf mich auf zu passen und erklärte, dass ich ja bei ihm in der WG wohnen würde, war meine Mutter immerhin so weit beruhigt, dass sie mir, noch immer unter Tränen, versprach dem Ganzen eine Chance zu geben. Wir verabschiedeten uns von ihr und ich musste noch versprechen jeden Abend was von mir hören zu lassen.

Unser nächster Weg führte uns in das Büro von Stephan. "Aber du machst jetzt keine Szene, oder?" Ich sah Dennis an und antwortete ihm ehrlich. "Naja, ich weiß halt nicht wie er reagiert." "Soll ich vielleicht mit rein kommen?" "Na gut, kann ja nicht schaden." Gemeinsam gingen wir rein. Innen kam ich mir vor wie auf dem Weg zur Schlachtbank, denn der Flur war lang, schmal und ziemlich trostlos. Und es kam wie es kommen musste: Stephan machte einen Aufstand. Von wegen was mir einfallen würde und wie ich mir das vorstellen würde. Dann fiel noch die eine oder andere Beleidigung, die ich geduldig ertrug. "Fertig?" fragte ich als er sich ausgetobt hatte. "Du denkst doch nicht, dass du je wieder einen richtigen Job bekommen wirst!" ging es wieder los. "So einen Chef wie mich wirst du nie wieder finden!" "Na das hoffe ich doch." rutsche es mir heraus. "Du undankbares Balk!" "Kümmer dich gut um meine Mutter." sagte ich um das Ganze mal zu beenden und verließ das Büro. Dennis, der meinen Schreibtisch leer geräumt hatte, konnte sich offenbar nur mühsam ein Grinsen verkneifen als er die letzten Flüche von Stephan durch die offene Bürotür hörte.

In den folgenden Tagen richtete ich mich bei Dennis ein und kümmerte mich um die ganzen Behördengänge. Emily erklärte ich die Situation und versprach ihr, mir Gedanken zur Choreo zu machen. Sie war nicht glücklich darüber, verstand aber, dass ich unter diesen Umständen ersteinmal anderes im Kopf hatte. Meiner Mutter schrieb ich ab und zu Nachrichten und Dennis ließ mich offiziell als Geschäftspartner einschreiben. Ich hatte endlich das Gefühl, dass jetzt alles besser werden würde.


(K)ein StarWhere stories live. Discover now