Kapitel 4 _ Picknicker

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Wir saßen noch lange da und unterhielten uns über alles Mögliche. Das heißt: Die Coaches unterhielten sich, während ich daneben saß und aufmerksam zuhörte. Es kam nicht alle Tage vor, dass ich mit so bekannten Musikern an einem Tisch saß. Aber meine Gedanken schweiften immer mal wieder zu meinem Gefühlsausbruch ab. Ich dachte darüber nach Leonard an zu rufen. Normalerweise wäre das in so einer Situation nötig. Das war unsere Abmachung. Irgendetwas hielt mich zurück. Vielleicht war ich trotz des kurzen Kontrollverlustes zu glücklich, um mit Leo über all das zu philosophieren. Ich nahm mir vor Leonard in den nächsten Tagen mal zu kontaktieren, aber diesen Abend wollte ich genießen.

Einige Tage später wachte ich relativ früh auf. Da erst am Abend ein Treffen von Team Fanta geplant war, wollte ich die typischen Sightseeing Plätze in Berlin abklappern. Ich stand auf und streckte mich ausgiebig. Mit einem Blick aus dem Fenster änderte sich mein Tagesplan schlagartig. Die Sonne schien, der Himmel war blau, es herrschte das perfekte Badewetter. Insgeheim hatte ich sowieso schon nach einer Ausrede gesucht. Denn in all den Jahren in denen ich in Berlin bei meinem guten Freund Dennis zu Besuch gewesen war, hatte ich mir die bekannten Plätze noch nie angesehen. Jedenfalls nicht am Tag. Das nächtliche Berlin kannte ich hingegen sehr gut... Ich zog mir meinen Bikini an und kramte noch ein großes Badehandtuch heraus. Zum Glück hatte das Hotel einen Pool. Ich zögerte. Ein Hotelpool? Bei dem Wetter? Niemals! Der ist garantiert jetzt schon völlig überfüllt. Ich kramte meine Kenntnisse über die Hauptstadt aus. Wannsee? Nein. Nikolassee? Zu viele Menschen! Zu viel Tourismus! Schlachtensee? Ich lächelte. Schlachtensee war perfekt. Ich holte mein Handy raus und wählte Dennis Nummer. „Anny! Was geht?" „Dennis, ich bin zufällig in Berlin. Hast du Bock was zu machen?" „Du bist hier? Klar, Süße! Lass treffen! Woran hast du gedacht?" fragte er. „Schlachtensee. So in einer Stunde?" Ich hörte das Strahlen in seiner Stimme. „Perfekt. Soll ich den andern bescheid geben?" „Je mehr, desto lustiger." Lachte ich. Das würde garantiert im Chaos enden. „Treffen an der S-Bahn?" „Easy. 10.40Uhr an der S-Bahn. Bis dann." „Jo, bis später." Er legte auf.

Ich zog mir noch meinen kurzen Jumpsuit mit Jeansoptik an und verließ mit meinem Stoffbeutel das Hotelzimmer. Unten im Speisesaal besorgte ich mir etwas zum Frühstück und suchte nebenbei eine Bahnverbindung zum Schlachtensee heraus. Das hätte ich vermutlich eher machen sollen... Doch wie so häufig hatte ich mehr Glück als Verstand. Es gab eine Verbindung, die genau passte. „Perfekt." Sagte ich zu mir selbst. „Was ist perfekt?" Michi. „Eine Bahnverbindung." „Wannsee?" Offenbar hatte er die Träger meines Bikinis gesehen. „Nein, Schlachtensee." Er nickte. „Gute Wahl. Du kennst dich in Berlin wohl ein bisschen aus?" Michi stand immer noch mit seinem Tablett beladen am Tisch. „Willst du dich nicht setzen? Oder sitzen die anderen hier auch irgendwo?" Er grinste. „Smudo und Flo? Zu dieser Zeit? Eher schneit es im August." „Pass auf was du dir wünschst. Bei Nanny McPhee hat es auch funktioniert."

Michi setzte sich zu mir. Gemeinsam verspeisten wir unser Frühstück. „Was macht ihr heute?" „Wir? Vermutlich die Battles planen. Und heute Abend ist dann das Treffen." „Treffen?" Er sah mich an. „Ja, alle Kandidaten von Team Fanta kommen heute." Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. „Du wusstest das." Stellte Michi fest und brachte mich zum Lachen. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen." Bevor ich reagieren konnte kniff Michi mich kurz in die Seite. Ich quiekte überrascht auf. „Das ist nicht fair." sagte ich kichernd. „Verdient." War seine Antwort. Da hatte er vielleicht recht, aber er hätte wissen müssen, dass diese Info als Rundmail rum gegangen war. Mein Blick wanderte zur Uhr. „Oh, schon 50. Ich sollte langsam mal los, sonst verpass ich die Regio." Michi stand mit mir gemeinsam auf und brachte auch sein Tablett weg. „Also bis heute Abend?" „Ja und mach keinen Unfug." Ich grinste. „Unfug? Ich? Niemals." Er lachte und lief zum Fahrstuhl während ich zur Station ging.

Ich zog ein Tagesticket für die Zonen A und B und setzte mich schließlich in meine Bahn. Tagestickets fand ich generell besser als so Einzelfahrscheine, denn da hatte ich nie wirklich im Blick wie lange das nun gültig war. Und so oft wie ich mich schon in die falsche Bahn gesetzt hatte, war es einfach sinnvoller mal 2 Euro mehr zu bezahlen. Meine Kopfhörer hatte ich schon aufgesetzt als ich durch meine Musikbibliothek durch scrollte. Bei einem Song musste ich unwillkürlich schmunzeln. Ich drückte auf Play.

Während draußen Bäume, Mauern, Menschen und Stationen vorbeizogen, hörte ich Michi „Picknicker" rappen. Schmunzelnd ließ ich das kurze gemeinsame Frühstück nochmal Revue passieren. Michi war schon ein sehr spezieller Vogel. Aber nur im besten Sinne.

Unterwegs war ich nur einmal umgestiegen und erreichte Schlachtensee pünktlich. Dennis war außer Sichtweite. Na gut, drei Minuten hatte er ja noch. In der nächsten S-Bahn konnte ich ihn noch nicht ausfindig machen. Eine Minute noch. Ein weiterer Song war vorbei. Und dann, pünktlich wie die deutsche Bahn, kam Dennis zwei S-Bahnen und knapp eine viertel Stunde zu spät. „Du enttäuschst mich niemals." begrüßte ich Dennis. Er lachte auf und schloss mich in eine herzliche Umarmung. „Schön dich zu sehen, Engel. Wie lange ist es her? 3 Jahre?" „Drei Wochen und du sollst mich nicht Engel nennen." Er legte einen Arm um mich und schob mich Richtung Ausgang. „Aber du bist doch ein Engel. Warum darf ich dich nicht so nennen?" Den würde ich nicht so schnell überreden mich bei meinem Namen zu nennen. „Weil mein Name Anny ist." Ich gab mir natürlich trotzdem Mühe ihn von meinem echten Namen zu überzeugen. „Und weißt du was? Ich hab sogar einen Zweitnamen. Du darfst dir einen der beiden aussuchen. Ist das nicht großartig?" Er verzog das Gesicht und wir wechselten die Straßenseite. „Micah. Was ist das überhaupt für ein Name? Du bist doch kein Junge." Das hatte ich mir auch mal gedacht. „So schlimm ist er ja nun auch nicht." Dennis führte mich auf dem Kiesweg zu unserem gewohnten Platz. „Wäre es der Name von deinem Vater oder von irgendjemand sonst in der Familie würde ich das ja verstehen, aber dein Vater heißt John. Und sonst kenn ich auch keinen der Micah, Mike, Michael oder irgendwie so ähnlich heißt. Weißt du was ich meine?" Ich nickte. „Darüber hab ich auch schon nachgedacht." Genau genommen hieß mein Vater auch John, aber er war vor ein paar Jahren gestorben. Es hatte ewig gedauert bis meine Mutter wieder jemanden an sich heran ließ. Stephan, ihr neuer Lover, tat ihr gut. Ich hielt ihn jedoch für ein ausgeprägtes Arschloch. Ständig „wusste" der Typ was für MICH das Beste war. Als wäre er mein Vater oder so. Dementsprechend unterkühlt war unser Verhältnis. Doch ich wollte an so einem klasse Tag nicht an diesen Sack denken. Wir kamen an unserer Stelle an. „Aber deswegen sind wir ja nicht hier." Ich sah mich um. „Wo sind eigentlich die anderen?" „Die kommen nach." Er sah mich herausfordernd an. „Wer zuerst im Wasser ist?" In Rekord Geschwindigkeit ließ ich meinen Beutel fallen, warf das Handy und die Kopfhörer drauf und rannte mitsamt Klamotten in den See. „Das ist unfair!" protestierte Dennis. Ich ließ mich ins Wasser gleiten und lachte. „Du hast keine Regeln aufgestellt!"

Dennis und inzwischen auch meine Freunde kamen nicht viel später auch dazu. Als sie sahen, dass ich in Klamotten im See war, ahnten sie was geschehen sein musste. Da sie ungefähr genauso beschränkt waren wie ich, taten sie es mir gleich. Stunden später bereuten wir unsere Dummheit alle ein bisschen. Dank unseres schattigen Stammplatzes waren unsere Sachen nämlich nicht komplett getrocknet. War aber nicht das erste Mal. Mit unseren halb nassen Sachen und tropfenden Haaren stiegen wir gemeinsam in die S-Bahn. Dennis hatte beschlossen mich zum Hotel zu bringen. Die anderen hatten nichts besseres zu tun und kamen deshalb mit. Ein paar Leute in der Bahn sahen uns missmutig an, andere schmunzelten nur.

Am Alexanderplatz angekommen verließen wir die S-Bahn und gingen nach draußen. „Ich schaff es allein von hier aus." Sagte ich. „Willst du uns etwa los werden?" fragte Dennis. Ich grinste. „Ach Blödsinn, aber du fährst noch ne Stunde und Hannes wohnt in Potsdam. Das dauert doch ewig, wenn ihr die nächste Regio verpasst." Ich klopfte mir für die gelungene Ausrede selbst auf die Schulter. Die Regel von The Voice waren ziemlich klar in Bezug auf die Schweigepflicht und ich wollte mir das nicht versauen, nur weil ich zu inkompetent bin alleine ein Hotel zu betreten. Reihum verabschiedete ich mich von allen. Dennis war der Letzte. „Pass auf dich auf, Engelchen." Er würde es nie lernen. „Du auch, Sturkopf."

(K)ein StarWhere stories live. Discover now