„Okeeee.", stöhnte ich genervt, hatte aber alles andere vor, als mich geschlagen zu geben.

Ich hörte Nudel, der inzwischen wieder runtergelaufen war, aus der Küche miauen und lief die Treppe wieder runter. Im Flur hüpfte ich über die Maus, fütterte Nudel schnell und setzte mich dann alleine an den Esstisch. Ich dachte an Kai, den ich jetzt schon fast „200-mal-schlafen" nicht gesehen hatte. Heute würde ich ihn endlich wieder sehen, weil er endlich mal nach Hause zurückkommen würde. Ich musste grinsen, denn auch wenn ich anfangs tierisch sauer gewesen war, dass er wegen seinem blöden Fußball weggegangen war, war ich längst nicht mehr sauer auf ihn.

Ohne, dass ich es wollte, dachte ich darüber nach, was Kai wohl an meiner Stelle jetzt tun würde. Nein, das durfte ich nicht! Meine Masterpläne waren die Besten und nicht die von Kai. Und doch, dachte ich, würde Kai seinen Eltern vermutlich jetzt Frühstück machen und sie so aus dem Bett locken.

Voller Elan stand ich auf. Mein neuer Masterplan war entwickelt. Auch, wenn es vielleicht eine von Kais Ideen gewesen wäre, jetzt war es meine. Und das seine Ideen vielleicht doch manchmal besser waren als meine, dass durfte ich ihm auf keinen Fall sagen, sonst würde der zehnjährige mich für immer damit aufziehen.

So schnell wie ich konnte deckte ich den Tisch und tauschte meinen Schlafanzug gegen mein Lieblingssommerkleid, das mit den bunten Blumen. Als ich wieder nach unten kam, sah ich, dass Nudel gerade mit seiner Maus im Keller verschwand, wo er durch die Katzenklappe nach draußen gehen konnte und so wischte ich mit Küchenrolle und Wasser noch kurz den Boden sauber, auch wenn ich das ein bisschen eklig fand.

Jetzt wollte ich aber unbedingt wissen, ob mein Plan auch funktionierte. Ich schaute auf die Uhr. Es war kurz nach sieben.

„Frühstück!", rief ich durch das ganze Haus und wartete auf eine Reaktion.

Nichts. Im Haus blieb es still.

Gespannt wartete ich und gerade als ich schon verzweifelt aufgeben wollte, hörte ich oben doch noch Schritte und nur kurze Zeit später kam meine Mama die Treppe runter. Innerlich jubelte ich über meinen Plan und als mein Vater dann auch fünf Minuten später runter kam, konnten wir endlich frühstücken.

„Du weißt aber schon, dass du sowieso noch bis heute Mittag warten musst, bis du zu Kai kannst oder?" Meine Mama sah mich fragend an.

„Ja.", gab ich mit vollem Mund zu, „Aber er kommt eeendlich wieder und wir müssen doch auch noch den Schokokuchen fertig machen. Bis dahin ist es dann bestimmt schon Mittag!"

Lachend schüttelte meine Mama den Kopf. „Wenn du meinst..."

Ich verstand nicht so ganz, warum sie jetzt lachte, aber Erwachsene waren eben manchmal komisch und man musste sie auch nicht immer verstehen. Sie verstehen uns Kinder ja schließlich auch fast nie.

„Ich möchte ganz viele Smarties auf dem Kuchen für Kai und eine Ecke mit Gummibärchen für mich, weil Kai mag ja keine Gummibärchen auf Kuchen." Ich freute mich schon wie verrückt und grinste meine Eltern an.

„Ja das machen wir, aber jetzt lass uns doch erstmal zu Ende Frühstücken.", erinnerten mich meine Eltern und ich seufzte. Das ging mir heute definitiv alles vieeeeeel zu langsam!!!

Stuuuuunden später hatte ich meine Eltern lange genug genervt und auch wenn es in ihren Augen eigentlich noch zu früh war, durfte ich endlich zu Kai rüber gehen. Kai wohnte zum Glück nur eine Straße weiter und so schnappte ich mir vorsichtig die Kuchendose mit dem Schokokuchen und machte mich auf den Weg. Auch Kais Eltern, die ich echt gerne mochte, hatte ich ewig nicht mehr gesehen.

Aufgeregt und hibbelig von einem Fuß auf den anderen wippend, stellte ich die Kuchendose kurz auf der Fußmatte ab und drückte auf die Klingel. Im Haus hörte ich Paul, den Hund der Familie, bellen und irgendwelche Stimmen rufen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. So lange hatten wir uns noch nie nicht gesehen und ich hoffte einfach, dass alles wieder wie früher sein würde.

Ich wartete und es wurde wieder ruhig im Haus. Die Tür blieb allerdings zu und ich hörte auch nicht, wie Kai die Treppe runtergestürmt kam, so wie früher immer.

Ich klingelte verwirrt noch ein zweites und drittes Mal, doch nichts passierte. Ich verstand die Welt nicht mehr. Es war doch jemand zu Hause, warum machte mir denn jetzt keiner auf? Nachdem ich noch ein viertes Mal geklingelt hatte, hörte ich doch noch langsame Schritte, die die Treppe herunter kamen. Ich stellte mich auf Zehenspitzen und guckte durch das kleine Glasfenster in der Haustür.

Wenige Sekunden später tauchte Kais brauner Lockenkopf vor der Tür auf und erleichtert atmete ich auf. Vielleicht war er ja nur gerade zufällig auf Toilette gewesen. Doch alles was danach passierte, zeigte mir, dass Kai nicht gerade nur zufällig auf Toilette gewesen war.

Kurz war es still.

„Geh weg!", zischte Kai und sah mich mit seinen blauen Augen traurig an. Dann war sein Gesicht auch schon wieder verschwunden.

Für den Bruchteil einer Sekunde verstand ich Garnichts mehr. Nein, dachte ich verzweifelt, nein, nein, nein, nein, nein! Ich klopfte mit meiner Hand gegen die Tür.

„Kai! Mach die Tür auf. Kai bitte. Ich hab dir Kuchen mitgebracht. Kai... Wir haben uns doch so lange nicht gesehen..." Meine Stimme wurde zum Ende hin immer leiser und verstummte schließlich ganz. Ich spürte, dass er nicht zurückkommen würde und langsam begann ich erst zu realisieren, was hier gerade passiert war.

Er hatte mich weggeschickt.
Er hatte gesagt, ich sollte gehen.

Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Warum? Warum sollte ich gehen? Was hatte ich falsch gemacht? Tausende Fragen geisterten mir durch den Kopf, währen ich fassungslos auf den Kuchen vor mir auf der Fußmatte starrte.

Und dann lief ich. Ich rannte mit tränenüberströmten Gesicht, so schnell wie ich noch nie in meinem Leben gelaufen war. Zuhause schnappte ich mir im Vorbeilaufen das graue Wollknäul von der Treppe und verkroch mich zusammen mit Nudel unter meiner Bettdecke. Meine Mama und mein Papa blickten mir fragend und besorgt hinterher, doch ich schickte sie weg und fürs erste ließen sie mich in Ruhe. Ich wollte gerade niemanden mehr sehen und mit niemandem mehr reden. Die Hoffnung, meinen besten Freund wiederzubekommen, hatte sich gerade in Luft aufgelöst.

„Eigentlich sollte der Tag heute doch wunderschön werden.", schluchzte ich und drückte verzweifelt meine Nase in Nudels weiches Fell, der ausnahmsweise mal still hielt. Heute war meine kleine, perfekte Welt zerbrochen. Ich hatte ihn endgültig verloren. Für immer. Kai, meinen besten Freund, der nicht länger mein bester Freund war. Und ich würde wohl nie verstehen warum...

melody of memories | kai havertz Where stories live. Discover now