d r e i ß i g

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|Josefine|

„Erklärst du es mir irgendwann?"
„Nicht heute."
„Morgen?"
„Vielleicht..."

Mit leeren Augen starrte ich an die weiße Decke von Kais Schlafzimmer, die sich in der Dunkelheit allerdings wie ein schwarzes Loch vor mir auftat und jegliche positiven Gedanken aus meinem Kopf zu verschlucken schien. Zurück in meinem Kopf blieb nur eine dunkle Wolke aus unbeantworteten Fragen, Angst vor der Zukunft und unheimlichen Selbstzweifeln. Sie waberte in meinem Kopf und drückte schwer auf mein Herz, so schwer, dass sie mir den Schlaf raubte.

Ich drehte mich auf die andere Seite und mein Blick fiel auf Kai, der dem ersten Anschein nach tief und fest zu schlafen schien, aber wenn man schon mehrere Stunden wach neben ihm im Bett lag, wusste man, dass auch er sich im Schlaf unruhig von einer Seite auf die andere wälzte.

Immer noch spukten mir seine Worte von vorhin durch den Kopf und auch, wenn ich ihm glaubte, dass er mir irgendwann alles erzählen würde, war es doch unfassbar schwer zu akzeptieren, dass Kai noch Zeit brauchte. Ich wusste ehrlich nicht, wie viel Zeit ich ihm noch geben konnte, auch, wenn ich ihm gerne alle Zeit der Welt geben würde. Doch auch ich kam langsam durch diese ständige Ungewissheit und das Gefühl, Kai nicht helfen zu können, an meine Grenzen.

Vielleicht morgen, dachte ich an Kais Worte, doch tief in mir spürte ich, dass Kai noch Zeit brauchte und das nur gesagt hatte, weil ich ihn dazu gedrängt hatte. Er war noch nicht bereit dazu über seine Vergangenheit zu sprechen, doch leider betraf diese indirekt auch mich und unsere Beziehung, was die Situation um einiges erschwerte.

„Vielleicht morgen...", murmelte ich und gleichzeitig wusste ich, dass es falsch war, sich an diese erzwungene Aussage zu klammern. Auf der anderen Seite war sie wie ein Stück Holz, welches das Feuer in mir am Leben hielt und mich weiter an Kai und mich glauben ließ, während langsam auch ich in einen unruhigen Halbschlaf glitt.

Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich wieder wach und ein Blick auf mein Handy, das neben dem Bett auf meinem Nachttisch lag, zeigte mir, dass es kurz vor vier war.

Ich drehte mich wieder zu Kai um, der sich auch kurz bewegte und mit seinen Armen hin und her zuckte. Ich war schon halb wieder am Einschlafen, als ich plötzlich wieder etwas hörte.

„Wer seid ihr und was wollt ihr von mir?"

„Kai?", flüsterte ich und ich war mir jetzt sicher, dass Kais Stimme mich geweckt haben musste. „Bist du auch wach?"

Ich bekam keine Antwort und im fahlen Licht des Mondes, das durch die Spalten der Rollladen schien, konnte ich sehen, dass Kais Augen geschlossen waren. Er lag auf dem Rücken und seine Decke war ein Stück nach unten gerutscht, sodass sie seinen Oberkörper entblößte. Das fahle Mondlicht ließ seine Wimpern lange Schatten auf sein Gesicht werfen und betonte seine Wangenknochen. Seine Haare hingen ihm wirr in der Stirn, so als hätte er sich schon die ganze Nacht nur von einer Seite auf die andere gewälzt und sein Mund war leicht geöffnet.

Einmal mehr musste ich feststellen, wie gut er aussah und doch hinterließ der Anblick einen bitteren Beigeschmack, denn Kai wirkte erschöpft. Als würde er etwas schon viel zu lange alleine auf seinen Schultern tragen und das Gewicht schien ihn langsam aber sicher in die Knie zu zwingen.

„10 Jahre...", flüsterte ich und strich ihm sanft die braunen Locken aus der Stirn.

Seine Haare waren verschwitzt.

„Wann teilst du endlich diese Last mit mir?", murmelte ich, aber es war viel mehr ein verzweifeltes Flehen, welches meine Lippen verließ.

Doch Kai bewegte sich nicht mehr und ich redete mir ein, dass er bestimmt nur am träumen war und so legte ich mich wieder hin.

melody of memories | kai havertz Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt