a c h t u n d z w a n z i g

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| Josefine |

ERNEUTE TRIGGERWARNUNG: Warnung, falls euch das Thema Essen/ Essstörung belastet. In diesem Kapitel wird es besonders thematisiert also: Lesen auf eigene Gefahr.

Keuchend und völlig erschöpft sank ich neben der Kloschüssel in Kais Badezimmer auf den Boden und riss ein Stück Klopapier von der Rolle, um mir den Mund abzuwischen.

Mein Vater hatte mich heute beim gemeinsamen Frühstück zum Essen gezwungen und das war nun daraus geworden. Naja, was heißt gezwungen. Wir hatten einfach seit Ewigkeiten nicht mehr gemeinsam gefrühstückt und natürlich hatte ich gegessen, alles andere wäre viel zu auffällig gewesen. Und natürlich wollte ich verhindern, dass mein Vater mitbekam, wie schlecht es mir eigentlich ging.

Erneut beugte ich mich über die Kloschüssel und fing an zu würgen, bis sich auch der restliche Inhalt meines Magens in die Kloschüssel entleert hatte. Im selben Moment hörte ich ein Klopfen an der Badezimmertür, doch gerade, als ich antworten wollte, brach ich völlig erschöpft neben dem Klo auf dem Fußboden zusammen.

„Josy, alles okay?" Kais Stimme drang dumpf zu mir hindurch und ich wollte eine Antwort rufen, aber das einzige Geräusch, was meine Kehle verließ, war ein wimmern.

„Esel, wenn du nicht antwortest, komme ich jetzt rein." Erschöpft schüttelte ich den Kopf und wollte ein „Nein, es geht mir gut." rufen, aber ich brachte nicht ein Wort über die Lippen. Mein Atem ging flach und stoßweise, während ich versuchte, mich wieder vom Boden zu erheben, falls Kai das Badezimmer gleich ohne meine Zustimmung betreten würde.

Mühsam zog ich mich am Toilettendeckel hoch und blinzelte kurz, um den aufkommenden Schwindel zu bekämpfen. Doch ich war zu langsam, um ganz aufzustehen, denn schon im nächsten Augenblick öffnete Kai die Badezimmertür. In seinen Augen lag Besorgnis, während er auf mich zu kam, mich vom Boden hoch hob und mich ohne ein Wort zu sagen in seine Arme zog. Ich schämte mich, schämte mich für mich selbst, aber ich ließ es zu. Ich ließ es zu, dass Kai für mich da war und mich festhielt.

Ich ließ es zum ersten Mal in meinem Leben zu, dass mich jemand so sah und ich mich nicht versteckte. Ich brauchte mich nicht verstecken, weder vor meinen Gefühlen, noch vor etwas, was man mittlerweile nicht mehr nur als eine kurze Abnehmphase bezeichnen konnte. Es war so viel mehr als nur eine kurze Abnehmphase und vor allem so viel schlimmer. Man kann es sich nicht vorstellen, solange man nicht selber betroffen ist, aber eine Essstörung wird nicht um sonst als Krankheit bezeichnet. Es ist eine Krankheit, die von allen todgeschwiegen und vermieden wird, aber das macht sie nicht weniger zur Krankheit, im Gegenteil. Die Gesellschaft macht es nur schlimmer.

Langsam ließ ich Kai los und hob mein Gesicht an, welches ich zuvor in seinem T-Shirt vergraben hatte. „Besser?" Kais fragender Blick ruhte auf mir und ich nickte sofort. Mir ging es wirklich besser, dabei hatte Kai gar nichts gemacht. Vielleicht war es aber auch der Fakt, dass Kai einfach Kai war und mich so gut kannte, dass ich manchmal das Gefühl hatte, er kannte mich besser, als ich mich selber.

„Es tut mir so leid.", murmelte ich und drückte Kai erneut an mich, der ebenfalls sein Gesicht an meiner Schulter vergrub.

„Das muss es nicht, Josy." Er drückte mir sanft mehrere Küsse in meine Halsbeuge.

„Danke.", war das einzige, was ich flüsternd über die Lippen brachte, während ich hier in Kais Armen lag und mir wünschte, dass der Moment nie enden würde. Er könnte mich einfach für immer so festhalten und ich würde niemals gehen, egal welchen Grund es zum Gehen gäbe.

melody of memories | kai havertz Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt