#225 Auf den Spuren

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Jimin

Ein neues Tattoo zierte den Arm des Pathfinders. Eigentlich war es sogar sein Erstes und es war auch nicht besonders hübsch. Aber es war nützlich und das war alles was zählte. Jae hatte sich also schon als ziemlich nützlich erwiesen, damit dass er seinerzeit das Zeichen ausspioniert hatte. Jetzt lief eine Aktion, dass sich jeder dieses Zeichen kostenlos tätowieren lassen konnte, wenn er es denn wollte und für nötig hielt. Sie machten es publik und schon bald würden Odiomare weniger Auswahl an Wirten haben. So viel zur Theorie. 

Jimin versuchte nicht zu kratzen, denn seins war frisch und es juckte und überhaupt hatte der Pathfinder schlecht anmutende Laune aus mehreren Gründen. Er kramte in seinem Gedächtnis nach einem Aufspürzauber, den er erst einmal erfolgreich angewendet hatte. Das Problem war nicht, dass er zu schwer wäre, nein... er hatte Hoseok damals mit diesem Zauber getrackt, da kannte er ihn noch nicht mal. Das Problem ist, dass er vergessen hatte, wie der Spell funktionierte und was er genau dafür brauchte. Es war einfach zu lange her. Jimin wusste, dass er Aufzeichnungen darüber hatte, doch er fand sie einfach nicht wieder. 

Es nutzte auch nicht, einfach in ein Buch zu gucken, denn er war selbst drauf gekommen. Also entweder fand er das zugekrakelte Notizbuch seines dreizehnjährigen Ichs, oder er kam noch mal drauf, was nicht so einfach war, wie es klang. Er war mit dreizehn drauf gekommen, er sollte mit 24 noch mal genug Grips dazu haben. Ja. Aber jetzt stand er unter Druck. Viel hing daran, dass er Namjoon getrackt bekam.

Jimin, der in seinem Zimmer auf und ab getigert war, blieb stehen. Denn ihm fiel auf, dass es noch ein Problem gab, was er immer wieder vergaß, weil es nicht wichtig war: Namjoon war kein Landare. Also ... nebenbei ... wie trackte man einen Menschen? Selbst wenn er sich erinnerte, das hieß nicht, dass er einen Menschen damit tracken konnte. Jimin kaute seinen Daumennagel ab, bemerkte es und spuckte den Nagel unwillig aus dem Fenster. Er hatte echt lange nicht mehr Nägel gekaut und dass er es gerade gemacht hatte, ohne es zu merken, vermieste ihm die Laune nur noch mehr.

Er brauchte Hoseok. 
Aber alle brauchten Hoseok. 

Hobi und er hatten die letzten Tage genug aneinander geklebt und sie würden es auch weiter tun, wenn sie nicht wüssten, dass sie dabei übertrieben, doch man möge es ihnen auch nachsehen: Jimin war tot gewesen und Hoseok durch die Loss Intoxication gegangen, da konnte es schon mal sein, dass man vier Tage durchweg Händchen hielt.

Doch Jimin hatte einen Riegel vorgeschoben, denn er hatte immer noch eine wichtige Aufgabe in ihrer Beziehung: Energieregulation. Wenn sie nicht wollten, dass Jimin sich zu sehr an den seichten Strom gewöhnte, dann mussten sie mal ein paar Stunden ohne den anderen auskommen. Das gab immerhin beiden Zeit sich ihrer Arbeit zuzuwenden, wenn diese wenigstens nicht so frustrierend wäre. 

Jimin schnappte schnell seinen Pieper. Eine Sache konnte er immer machen. Der Lotus schrieb seinen Mate eine kurze Message, nur bestehend aus drei Wörtern: Ich liebe dich. 

Das war cringy, aber nun fühlte er sich besser. 

Jimins Gedanken glitten zurück zu der Ratssitzung und er war sauer. Er wusste, dass Jae vielleicht recht hatte, aber er war trotzdem sauer und er sah nicht ein, dass sie Lilly und Namjoon opferten. Nicht, wenn sie sich so leicht vor dem Odiomare schützen konnten. Es brauchte nur dieses Tattoo. Yoongi schien es auch nicht einzusehen, denn er hatte angewiesen, ein Gefängnis herzurichten, aus dem man nicht herauskam. Nicht als Mensch, nicht als Landare, Butterfly oder Odiomare. 

Seine Aufgabe war es nun, den Gefangen zu finden und zu fangen. 

Jimin beschloss eine Runde frische Luft zu schnappen und machte sich auf den Weg zum Dach der Festung. Man konnte da oben eine Runde herumgehen, wenn man wollte und man hatte einen tollen Blick über Vicarli. Vielleicht bekam er dann eine Idee. Er erklomm die Treppen und ging direkt zu einer der Hüfthohen Abgrenzungen, die eigentlich dazu dienten, dass keiner runter viel, aber zeitgleich breit genug waren, um bequem drauf zu sitzen. Die Sonne stand schon recht tief und Jimin genoss die warme Brise, die sein Gesicht ein wenig kühlte. Wind in den Haaren war immer was Besonderes in Vicarli, denn es war schließlich immer warm und ein bisschen Wind linderte das warmfeuchte Klima für wenigstens ein paar Sekunden. 

Mit dem Blick über der Stadt ließ Jimin die Gedanken um den Tag kreisen, als er Hoseok das erste Mal ertrackt hatte. Yoongi hatte ihn angeschleift, ihm irgendwas ziemlich Verwirrendes gesagt, was der Energizer in den falschen Hals bekommen hatte und Hoseok hatte sich nach einem warmen Essen direkt wieder aus dem Staub gemacht. Natürlich hätte Yoongi sich auch selbst drum kümmern können, doch wozu hatte man einen kleinen Bruder, dessen Hobby tracken war und der verdammt schnell damit ans Ziel kam?

Die Herausforderung war gewesen, jemanden zu tracken, den er zuvor noch nie getrackt, ja noch nicht mal gesehen hatte. Doch jeder hinterließ Spuren. Körperliche, interpersönliche und energetische Spuren, DNS, Echos... irgendwas. 

"JIMIN HERRGOTT, WO BIST DU?!!"

Das war Jungkook. Jimin hatte seine Stimme noch nie so lauf gesehen. "HIER OBEN", brüllte der Lotus zurück, denn er war der Stimme gefolgt und beim Innenhofscannen hatte er den Schwarzhaarigen entdeckt. Auch er schien dem Klang Jimins lieblichen Geschreis zu folgen und sah nach oben. Gestresst schob er sich die Brille höher auf die Nase. "Ja großartig. Ich hasse es da oben." Jimin verdrehte die Augen. Jungkook war eine kleine Kackbratze und eigentlich zu niemanden wirklich freundlich außer zu seinen Mitmenschen, Tae und Lilly. Dennoch hatte der Pathfinder einen soften Spot für diese Plage, die der Mate seines besten Freundes war. Also wollte er mal nicht so sein. Er nahm etwas Anlauf, sprang sie gut zwölf Meter nach unten und rollte ab. 

Jungkook betrachtete ihn mit einem befremdeten Blick. "Daran werde ich mich nicht nie gewöhnen", murrte er und richtete seine Brille noch mal. "Bist du die Hell Gates runter gesprungen?", fragte Jimin und Jungkook zog die Augenbrauen zusammen. "Woher weißt du das?", stellte er eine Gegenfrage und Jimin neigte den Kopf. "Deine Klamotten waren nasse und sind am Körper wieder getrocknet, deine Brille hat ein bisschen was abbekommen beim Aufprall aufs Wasser, weswegen sie nicht so sitzt wie sonst, das richtest du aber sicher wieder selbst. Du hast ein wenig Kristallstaub in den Haaren, die auch nur ein bisschen aussehen, als sei Tae mir den Fingern drin gewesen - sag ihm Glückwunsch zur Erfüllung seines alten Traumes -  und außerdem-" 

"Jajaja, schon gut. Himmel. Halt die Klappe. Ich richte es ihm aus, wir haben Wichtigeres zu besprechen", fuhr Jungkook dazwischen und warf eine Phiole in Jimins Richtung, die dieser aus der Luft fing. In ihr befand sich eine Art blauer Schleim. Jimin konnte sich denken, was das war, doch um sicherzugehen, entkorkte er die Phiole und schnupperte vorsichtig an ihr. Goldblüten. 

Shit Shit Shit Shit.

Warum waren sie da nicht drauf gekommen? Wahrscheinlich, weil sie so böse gar nicht denken konnten. Jimin wollte gar nicht wissen, wie lange schon Golfblütensirup im Wasser war, doch wenn er daran dachte, wie lange die Monster am ausrasten waren und wie sie sich bereits veränderten, konnte er es sich denken. 

Das musste der Odiomare gewesen sein. Die Veränderung der Tiere im Norden... solange er noch in Calver gewesen war. Dann hier, als er Ferrys besetzt hatte. Die Wanderung von Norden nach Süden. Plötzlich ergab alles Sinn. Aggressivere Monster... Auch Landare waren dagegen nicht hundertprozentig immun. Die meisten ja, aber auch unter ihnen gab es welche, die darauf reagierten, wenn sie zum Beispiel verdorbenes Fleisch zu sich nahmen. 

Jimin atmete tief durch. 

"Ist Lilly schon unterwegs?", fragte er und der junge Mann nickte. "Sie ist mit einem ganzen Team anderer Voyager losgezogen, damit Gegenmittel in die Flüsse gelangen können." Jimin nickte. Eigentlich wäre es ihm lieber, dass sich Lilly verstecken würde, nur für den Fall, doch er kannte seine Schwester. Es brachte nichts, wenn sie depressiv wurde. Er war froh, dass sie sich halbwegs aufraffte, versuchte Hoffnung zu schöpfen und normal weiterzumachen, um sich halbwegs abzulenken, indem sie was sinnvolles tat. 

"Ich werde auch losfliegen", sagte er und steckte das Fläschchen ein. Jungkook musterte ihn kurz fragend, doch dann hellte sich sein Blick auf. "Halte ich für eine gute Idee", stimmte er zu, "ich sage bescheid, dass du an der Quelle tracken gehst, du kannst also gleich los."

Jimin nickte. Es gab keine Zeit zu verlieren. Wo würde man einen Fluss vergiften, wenn nicht an der Quelle? 

Man hinterließ immer Spuren. 

Curare - Teil IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt