Kapitel 8

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Als ich am nächsten Tag in meine WG zurückkehrte, fühlte ich mich wie nach einem langen Urlaub. Als wäre ich Monate lang im Ausland gewesen und wäre plötzlich fremd in meinen eigenen Vierwänden. Als wüsste ich nicht mehr genau wer ich gewesen war, bevor ich los zog und als ob ich nicht mehr genau wüsste, wie ich meinen Alltag normalerweise füllte.
Die Wohnung war still und stickig. Raphis Sneaker standen unordentlich vor dem Schuhregal, daneben ein Paar Birkenstock. Ich stolperte fast darüber. Er hatte offensichtlich Besuch. Ich ging in mein Zimmer und riss die Fenster auf, doch auch von draußen strömte nur warme Luft herein und so schloss ich das Fenster wieder und zog die Vorhänge zu, obwohl ich das eigentlich nie tat. Ich warf meine Tasche auf mein Bett, zog meine Schuhe aus und lief unschlüssig in die Küche.

Ich füllte mir ein Glas mit kaltem Leitungswasser und setzte mich auf einen der Stühle. Der uralte CD-Player, der auf einem der hohen Küchenschränke stand, war noch an und ich wippte mit dem Bein im Takt.
Ich starrte gelangweilt auf meine Hände. Der dunkelrote Nagellack, der so gut wie immer meine Fingernägel zierte, blätterte an einigen Stellen ab und ich seufzte. Fuhr mit dem Daumen darüber, als könnte ich den Schaden so beheben.
Ich könnte sie neu lackieren, dann hätte ich wenigstens irgendetwas zu tun.
Ich seufzte erneut, wandte den Blick von meinen Händen ab und ließ ihn durch die von der Mittagssonne durchflutete Küche gleiten. Das Geschirr stapelte sich auf der Ablage und eine halb volle Kaffeetasse stand daneben. Ein Einkaufszettel pinnte am Kühlschrank, Henry hatte „Olivenöl, Klopapier, Hafermilch" darauf geschrieben und Platz für weitere Ideen gelassen.

Ich entschied an Henrys Tür zu klopfen. Raphi wollte ich nicht stören, vielleicht hatte er ja Besuch von der Person zu seinem Knutschfleck. Also klopfte ich, klopfte noch einmal und öffnete dann, nur um festzustellen, dass er nicht da war. Ich seufzte. Ich spürte eine unbeschreibliche Langeweile und mit ihr den unerträglichen Drang etwas zu erleben. Als würde ich jede Sekunde, in der ich nichts tat, verschwenden. Also zog ich meine Schuhe wieder an und verließ die Wohnung. Ich holte mir eine Limo beim Späti und ging zum Skatepark, weil ich ziemlich sicher war, dass ich dort meinen Mitbewohner finden würde und rief auf dem Weg Mel an. Sie ging nach einmal Klingeln direkt ran. Sie sagte, dass sie im Park in der Sonne lag und ich doch dazu kommen sollte. Ich änderte also die Richtung und ging direkt zu Mel. 

Als ich sie auf der Wiese endlich fand, bemerkte sie mich nicht. Sie lag ausgestreckt da und hatte das Gesicht der Sonne zugewandt. Ihr rotbraunes, kinnlanges Haar glänzte im Licht. Erst vor kurzem hatte ich ihr die Haare wieder mit Henna gefärbt. Ich blieb stehen, ehe ich mich bemerkbar machte und dachte wie froh ich war, dass ich Mel in meinem Leben hatte. Sie und ich hatten uns in meinem ersten Semester in einem Club kennengelernt. Wir waren beide viel zu betrunken gewesen und auf der Damentoilette gegeneinander getorkelt. Im Gegensatz zu den meisten freundschaftlichen Begegnungen, die Frauen an jedem guten Abend auf dem Klo eines Clubs machen, wurde aus dieser eine wirkliche Freundschaft. Seitdem waren wir unzertrennlich.
  
„Hey Sexy, ist neben dir noch frei?", sagte ich grinsend und ließ mich neben sie auf die Wiese fallen. Sie zuckte erschrocken zusammen, schob sich ihre Sonnenbrille ins Haar und setzte sich auf. „Verdammt Skara", sie lachte, „ich hab noch nicht mit dir gerechnet. Du, ich erreich Ferdi schon den ganzen Tag nicht. Ich werd noch verrückt, wenn ich mir vorstelle, dass er vielleicht bei ihr ist. Also los, lenk mich ab - Wie war deine Zeit mit Jelto? Erzähl, ich will alles wissen". Sie verlor wie immer keine Zeit. Ich überlegte kurz, ob ich ihr etwas Tröstendes sagen sollte, wegen Ferdi und ihrem Verdacht, dass er verliebt in eine andere war, doch ich entschied mich dagegen. Sie wollte Ablenkung, das respektierte ich. Neugierig sah sie mich an. Ich nahm einen Schluck von meiner Limo und reichte sie an Mel weiter. Und dann erzählte ich ihr, was sie wissen wollte. Ich hatte übrigens herausgefunden, dass Mel Jelto aus einer kleinen Kunstgalerie in Neukölln kannte. Sie hatte ihn dort am Tag ihrer Einweihungsparty getroffen und prompt für abends eingeladen, mit dem festen Plan ihn mir vorzustellen. Selbstredend also, dass sie sich bei jedem Wort, dass ich jetzt sagte, stolz auf die Schulter klopfte.

„Na das hört sich ja so an, als solltest du jetzt ganz lieb danke Mel sagen". Sie zwinkerte, wurde aber dann ernst: „Aber Skara, bitte pass auf. Mach nicht mehr daraus, als es ist". Ich rollte die Augen und wollte ihr irgendetwas entgegnen, am besten schnippisch. Aber ich wusste, dass sie recht hatte und so blieb ich still. Da blieb allerdings eine Frage, die ich mir stellte. Was genau war es und was war ich im Begriff daraus zu machen?

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