Kapitel 61

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Meine Eltern hatten beschlossen den Geburtstag meines Vaters bei ihrem Lieblingsitaliener zu feiern. Sie hatten den gesamten Gastraum gemietet und ein Buffet anrichten lassen. Geschlossene Gesellschaft. Wie passend.
Henry und ich sollten etwas früher da sein, um bei den letzten Vorbereitungen zu helfen. Wir waren wie immer nicht sonderlich gut in der Zeit.
Henry stand im Flur und wartete auf mich. Er trug ein schwarzes Shirt zu einer schwarzen Anzughose. Die silberne Kette, die immer um seinen Hals hing, baumelte auch jetzt dort. Er hatte zwei, drei Ringe angezogen, seine dunkelblonden Haare waren noch immer raspelkurz. Er sah gut aus. So gut, dass ich am liebsten mit ihm zuhause geblieben wäre.
Naja, das war nicht der einzige Grund, warum ich gerne hierbleiben würde.
Seit dem Zusammentreffen am Theater hatten wir uns alle nicht mehr gesehen.
„Können wir los?", fragte er und lehnte am Türrahmen zu meinem Zimmer.
Ich warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel und nickte.

In der Bahn saßen wir nebeneinander. „Bist du gar nicht nervös?", fragte ich Henry. Denn er hatte lässig sein rechtes Bein auf dem Linken abgelegt und sah munter aus dem Fenster. Jetzt schaute er zu mir und lächelte. „Sollte ich?". Ich schüttelte den Kopf.
Henry legte eine Hand auf mein Bein und zwinkerte mir zu. Ich wurde automatisch ruhiger. Ich war mir sicher, dass ich mittlerweile verstanden hatte, was mich so ängstigte. Was mich so hatte zögern lassen Henry meiner Familie vorzustellen. Ich mochte den Schluss nicht zu dem ich gekommen war. Ich glaubte, ich wollte nicht erneut versagen. Ich wollte meine Beziehung nicht mit meiner Familie teilen und mich automatisch mit ihren Vorstellungen und Erwartungen daran konfrontieren lassen. Denn ich würde sie wohl nicht erfüllen, also würde ich versagen. Ich lief in mein Versagen, aber ich tat es mit Henry und ich merkte, wie egal mir es deswegen war. Ich beugte mich rüber zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, hinterließ ein wenig Lippenstift und wischte es zärtlich weg.
„Ach, ich hab dich echt gern", sagte ich dann und lehnte mich wieder in meinem Sitz zurück.
„Mhm", machte Henry. „Ebenso".

Wir kamen an und waren tatsächlich rechtzeitig. Mein Bruder und Charlotte parkten in dem Moment, als wir um die Ecke bogen.
Mein Bruder trug den Maxicosi, in dem Ella lag und seelig schlief.
„Wir dachten schon wir kommen zu spät. Aber Familie Pünktlich trifft ja auch gerade erst ein", witzelte ich ein wenig nervös und begrüßte die drei.
Henry stellte sich vor, denn Charlotte und er kannten sich nicht. Meinen Bruder hatte er seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Mit einer Leichtigkeit, die ich liebte, lächelte er und machte eins, zwei nette Sprüche. Dann gingen wir rein.
Meine Eltern wirkten gestresst. Irgendwas war falsch kommuniziert worden und nun gab es zur Vorspeise zwei anstatt drei Wahlmöglichkeiten. Ich fand es albern sich davon stressen zu lassen, ärgerte mich aber, denn ich hatte mich bereits auf den Burrata gefreut, der nun nicht mehr Teil des Buffets war.
„Henry wie schön", sagte meine Mutter dann, als sie uns endlich begrüßte. Sie umarmte ihn, als hätte sie das immer schon so gemacht und ich unterdrückte ein genervtes Stöhnen, weil es eigentlich sehr nett war und ich einfach mies gelaunt. Die Nervosität trübte noch etwas meine Laune.
Mein Vater tauchte auf und wir gratulierten ihm alle überschwänglich, was ihn sicherlich freute, er aber wenig zeigen konnte.
Alles wie immer.
Toni und ich organisierten ein paar Gläser Sekt, dann trafen wir die letzten Vorbereitungen. Bis alle Gäste eingetroffen waren und wir am Tisch saßen hatte ich schon drei davon getrunken.

„Woher kennt ihr Beiden euch?", fragte meine Cousine Melissa und sah Henry und mich neugierig an. Sie saß mir am Tisch gegenüber, ich hatte sie bestimmt seit zwei Jahren nicht gesehen.
Ich sah zu Henry und überlegte, wie wir uns ursprünglich kennen gelernt hatten.
„Wir kennen uns schon seit der Schulzeit", antwortete er und schien ebenfalls darüber nachzudenken, wann wir uns das erste mal getroffen hatten.
Henry, Raphi und ich kannten uns über gemeinsame Freunde. Meine frühere Freundin Lana war mit Jassin zusammen gewesen. Jassin skatete mit Henry und tut es tatsächlich noch immer. Lana und ich gingen in eine Klasse und die anderen Jungs auf unterschiedliche Schulen. Wir hingen eine Zeit lang beinahe jeden Tag miteinander ab.
Jassin und Lana waren auf Wolke 7 für fast zwei Jahre. Ungewöhnlich lang für unser Alter damals. Bis dahin hatte sich allerdings ohnehin schon vielverändert bei uns im Freundeskreis.
Und plötzlich fiel mir ein, wann ich Henry das erste Mal getroffen hatten.
„Seid ihr schon so lange ein Paar?", fragte Melissa weiter und ich lachte kurz auf. „Nein, erst seit Kurzem".
Ich schielte zu Toni. Er hatte einen kritischen Blick aufgesetzt, doch Charlotte beugte sich verzückt vor.
„Ich wusste ja gar nicht, dass ihr zwei euch schon so lange kennt", stellte sie fest. „Wie süß, dass ihr euch nach so langer Zeit verliebt habt".
Ich schielte erneut zu meinem Bruder rüber. Er hatte Charlotte nichts über Henry und mich erzählt. Wie seltsam.
„Aber was ich nicht verstehe", sagte sie dann und legte eine Hand auf die meines Bruders. „Ich dachte ihr lebt zusammen?".
Melissa schaute überrascht.
Meine Geduld war langsam beendet. Henry nahm einen Schluck Wein, er hatte auch keine Lust mehr.
„Genau, wir leben in einer Wohnung", sagte ich deshalb nur, lächelte freundlich und stand auf. Dann legte ich Henry eine Hand auf die Schulter „Zigarette, mein Schatz?". 


Ein eher ereignisloses Kapitel - Ich hoffe es gefällt dennoch :)

TrifoliumWhere stories live. Discover now