Kapitel 24

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Es war Nacht und ich hellwach. Ich saß auf meiner Fensterbank und las. Zumindest versuchte ich es. Mein Blick glitt über die Wörter, mein Verstand nahm sie auf und doch hatte ich absolut keine Ahnung, was auf den Seiten vor mir passierte. Meine Gedanken wanderten umher, ich ließ es zu, es tat mir gut. Draußen regnete es mal wieder. Durch das gekippte Fenster kroch die feuchte Nachtluft herein, doch ich hatte mich eng in meine Decke eingewickelt und so genoss ich es, anstatt zu frieren. Ich dachte an mein Gespräch mit Leo und ich dachte an das wohl ausstehende Gespräch mit Henry. Leo hatte mir ein wenig die Illusion genommen, dass sich alles von selbst geben würde. Er kannte unsere Geschichte und hatte mir klar gemacht, dass egal wie eng das Band zwischen Henry und mir war – wir waren schnell aus dem Gleichgewicht zu bringen. Seit Henry und ich Freunde waren, sind wir vieles gewesen. Es gab eine Zeit, da war ich Hals über Kopf in ihn verliebt gewesen und er schief mit jedem Mädchen, außer mit mir. Dann gab es eine Zeit, da waren wir Freunde, aber ziemlich unsicher dabei. Dann gab es eine Zeit, da schliefen wir miteinander und meine Gefühle waren mal hier mal dort. Dann gab es eine Zeit, da waren wir wohl beide verleibt in einander gewesen, aber unser Kontakt leider sehr rar und unser Band ziemlich instabil. Und dann, ja dann hatte die Zeit angefangen, in der wir nicht verliebt waren, aber uns liebten – als Freunde und das war die beste aller Zeiten. Ich hatte Angst, dass sie nun enden würde und scheute mich etwas das Gespräch zu suchen. Ich beschloss, dass ich mich zu allererst um einen Job bemühen würde.

Am nächsten Morgen rief ich Lothar an. Er freute sich von mir zu hören und sagte, dass sie im Theater jemanden für die Garderobe und dein Einlass bräuchten. Ich könnte ab morgen anfangen, wenn ich wollte und so holte ich mir eine Stunde nach dem Telefonat meinen Arbeitsvertrag ab und hatte schneller als gedacht einen Job. Das Theater war in der Nähe vom Volkspark Hasenheide, nicht weit von der U-Bahnstation Hermannplatz – mein Arbeitsweg war also entspannt und Mel wohnte gar nicht so weit entfernt. Also entscheid ich mich ihr auf dem Rückweg einen Überraschungsbesuch abzustatten. Es dauerte ein Weilchen, bis sie mir die Tür aufdrückte und ich eilte das Treppenhaus bis zu ihrer Wohnung hoch. „Was machst du denn hier?", war ihre Begrüßung und sie blinzelte mich verschlafen an. „Stör ich?", fragte ich und ging an ihr vorbei in die Wohnung. Um sicherzugehen schielte ich kurz in ihr Schlafzimmer, doch das Bett war leer. In der Küche begann ich Kaffee zu kochen, während Mel sich müde an die Arbeitsplatte lehnte und mich noch immer fragend ansah. „Ich hab nen Job!", Ich grinste breit und zeigte mit dem Finger auf den Arbeitsvertrag, den ich auf ihren Küchentisch gelegt hatte. Mel sah auf den Vertrag. „Bei Henrys Dad?". „Nein, im Theater". „Im Theater von Henrys Dad?". Ich verdrehte die Augen. „Es ist nicht sein Theater". Mel grunzte. Ich schenkte ihr und mir jeweils einen Kaffee ein und lente mich ebenfalls an die Arbeitsplatte. „Was ist?", fragte ich, weil ich ansah, dass sie etwas sagen wollte. „Findest du, dass das eine gute Idee ist?". Ich sah sie verständnislos an. „Warum denn nicht. Ich reiße da die Eintrittskarten ab und nehme Mäntel entgegen, das hat doch gar nichts mit Lothar zu tun". Mel zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck Kaffee. „Wie du meinst. Henry und du habt ja mittlerweile eh in jedem Lebensbereich etwas miteinander zu tun, da macht das wohl keinen Unterscheid mehr". Ich verdrehte nochmal die Augen. Mel hatte mir davon abgeraten mit Henry zu schlafen, sie hatte mir davon abgeraten mit ihm befreundet zu sein, sie hatte mir davon abgeraten mit ihm zusammen zu wohnen – und ich hatte auf nichts davon bisher gehört. Unwillkürlich musste ich schmunzeln. Oh man.
„Ich zieh mir eben mal nen Pulli drüber", sagte Mel dann und ging in ihr Zimmer. Ihr Handy lag auf der Arbeitsplatte und piepste, als sie eine Nachricht bekam. Automatisch sah ich hin und wünschte ich hätte es nicht getan. Ein Name blinkte auf dem Display auf, den ich am liebsten nirgendwo lesen würde. Und schon gar nicht auf dem Handy meiner besten Freundin.
Jelto.

TrifoliumWhere stories live. Discover now