22 | It's the unexpected that changes our lives.

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Die Mittagspause war wie im Rausch an unseren Köpfen vorbeigezogen und so befanden wir uns gefühlte fünf Minuten, nachdem ich Alaia abgeholt hatte, wieder in einem der Klassenräume im zweiten Stock. Gelangweilt warteten die meisten von uns darauf, dass die Lehrkraft in den Raum treten und den Unterricht starten würde.

Alaia und ich hatten uns mit Absicht früher von der Cafeteria auf den Weg zu unserem Raum gemacht, um uns wie im letzten Jahr die Plätze in der ersten Reihe zu sichern. Keiner von uns war sonst scharf auf diese Plätze, die eine direkte Nähe zum Lehrer bedeuteten. Aber in den zwei Jahren Unterricht bei Mister Dunkan hatten wir erkannt, dass es mehr Vorteile hatte, sich dort einen Platz zu suchen als sich in der letzten Reihen zu verstecken.

Ich trommelte mit meinem Kugelschreiber pausenlos auf den Tisch, während ich Alaias Stimme lauschte. Die Worte, die sie dabei von sich gab, nahm ich nicht auf, sie dienten mir nur als Ablenkung und in gewisser Weise hielten sie mich davon ab, meinen Blick durch den Raum schweifen zu lassen.

Geschichte war der einzige Kurs, den ich mit Lennox teilte.

Lennox.

Das Wochenende hatte ich überstanden, ohne mir Gedanken über sein Auftreten und seine Worte zu machen, die mich wie ein Hammer den Nagel getroffen hatten. Die Vorstellung davon, mit ihm in einem Raum zu sein, brachte alle Erinnerungen wieder zurück. Es war unglaublich dumm, dass er so eine Wirkung auf mich hatte, wo nichts nennenswertes zwischen uns geschehen war. Nichts, auf das man sich hätte etwas einbilden können. Aber trotz der Standpauke, die er mir erteilt hatte, sorgte die Erinnerung an das sanfte Flüstern meines Namens für eine Gänsehaut auf meinem gesamten Körper.

Noch nie zuvor war ich eine Beziehung mit einem Jungen eingegangen. Hatte nun ein einziges Essen und eine zweistündige Unterhaltung dazu geführt, dass ich mich jemandem öffnen wollte, der nur zu gerne alleine war?

Verdammt. Warum konnte ich mir keinen Reim auf diese verzwickte Situation machen, die normalerweise klarer als alles andere erscheinen sollte?

Ruckartig stoppte ich die Bewegung mit meinem Kugelschreiber und legte ihn auf dem bemalten Tisch ab. Das Zucken meiner Freundin verriet mir, dass diese Tat lauter als beabsichtigt von statten gegangen war. Ich warf ihr ein entschuldigendes Lächeln zu, woraufhin sie wortlos den Kopf schüttelte.

Dass sie an manchen Punkten nicht nachfragte, war einer der Gründe, wegen denen wir Freunde geworden waren. Im Gegensatz zu meinem Cousin besaß sie einen Hauch von Feingefühl, der ihr in manchen Situationen den richtigen Weg wies.

Mehrmals hatte ich schon versucht aus ihr herauszukitzeln, an welchen Punkten sie festmachte, ob es ungefährlich war, nachzuhaken. Jedes Mal aufs Neue hatte sie alle Möglichkeiten, die ich ihr aufgezählt hatte, verneint, sodass ich mich entmutigt zurückgezogen hatte. Die Frustration über das Unwissen hielt mich nicht davon ab, ihren sechsten Sinn zu schätzen.

Ein leises Raunen ging durch das Klassenzimmer und das Zuschlagen der Tür kündigte mir an, dass unser Lehrer im Anmarsch war, ohne dass ich den Blick heben musste.

Wenn Lennox an diesem Tag nicht aus reinem Zufall wegen Übelkeit zuhause in seinem Bett lag, musste er inzwischen auch Platz genommen haben. Irgendwo in der letzten Reihe.

Meinen Verstand hatte ihn ausgeblendet, aber mein Herz und meine Seele wussten, dass er hier war. Dass er nur unweit von mir entfernt saß.

„Guten Morgen, Klasse", begrüßte uns Mister Dunkan, gleich bevor er sich grinsend die Hand vor die Lippen legte. „Guten Mittag, meine ich natürlich", fügte er leise lachend hinzu. Vereinzelt hörte man ähnliche Begrüßungen, während sich unser Lehrer seiner Jacke entledigte und die Tasche vom Pult auf den Boden hievte, um sich selbst auf diesem zu platzieren.

Paralyzed | ✓Where stories live. Discover now