4 | Unexpected reactions.

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Vorsichtig, um mir selbst die Chance zu geben, frei zu handeln, schob ich Alaia von mir.

Noch vor wenigen Sekunden hatte ich das Gefühl gehabt, sie würde alles in mir zusammenhalten, so fühlte ich mich nun, als schnürte man mir die Luft ab. Vielleicht lag das aber auch an der Tatsache, dass noch immer eine Traube Jugendlicher um mich herumstand und mich mit ihren gierigen Blicken bedrängten.

Die Stimmung in der Gruppe wechselte und ich glaubte, sogar den genauen Zeitpunkt des Wechsels ausmachen zu können.

Kaum jemand jubelte mehr. Sie alle waren ruhig geworden, bissen sich auf die Unterlippe oder hielten sich im Hintergrund, sodass mein zittriges Ein- und Ausatmen das Einzige war, das man hören konnte.

Nach dem Tod meiner Mutter hatte stundenlanges Weinen meinen Tag begleitet. Tränen waren rastlos über meine Wangen geströmt, bis beide gleichermaßen gerötet waren. In jenen Momenten hatte ich mir geschworen, stark zu bleiben. Nicht mehr alles an mich heranzulassen und mich selbst abzuhärten.

„Ist das dein Ernst, Keane? Was hast du dir bitte bei dieser scheiß Aktion gedacht? Was hast du dir verdammt nochmal dabei erhofft?" Wie ein Unwetter rollte Lennox Stimme über die Lichtung. Der breit gebaute junge Mann löste sich von der äußeren Bande der Menge und steuerte auf den Angesprochenen zu, der fest schluckte und sich leicht aufzurichten versuchte.

Die beiden waren fast gleich groß und dennoch wirkte der Schwimmer in diesem Moment bedrohlicher und aufbrausender als sein Gegner, dem wohl langsam klar wurde, was er getan hatte.

„Es war eine Wette. Ein Spiel unter Freunden, mein Gott. Konnte doch keiner ahnen, dass sie so empfindlich ist." Ich wünschte mir so sehr, dass er aufhörte zu reden. Dass er den Mund hielt und den Finger nicht noch weiter in die brennenden Wunden steckte.

„Alter, hörst du dir selbst eigentlich zu?" Ein Knurren wie das eines Tieres war zu hören. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten und tigerte weiter auf seinen Gegenüber zu, als sähe er in diesem neue Beute.

Immer wieder trafen seine Zähne dabei aufeinander, verliehen seinem Gesicht noch feinere Konturen.

Alaia legte eine Hand vorsichtig auf meinen Rücken, als könne sie mir ein wenig ihrer Stärke geben. Allerdings konnte ich mich nicht auf diese Berührung konzentrieren. Stattdessen hatte ich Probleme damit, meine inneren Schmerzen damit zu betäuben, dass Lennox, ein Einzelgänger, mit dem ich noch nie zuvor ein Wort gewechselt hatte, sich auf meine Seite schlug.

Lautstark und ohne Scheu.

„Hörst du dir noch zu? Warum ergreifst du Partei für ein Mädchen, mit dem du nie etwas zu tun hattest? Ich kenne sie schon so lange", erwiderte Keane drauf hin. Er streckte seinen Rücken durch und verschränkte die Arme locker vor der Brust.

Seine Worte verfehlten ihre Wirkung und Keane bekam binnen weniger Sekunden die Folgen zu spüren. Es folgten keine weiteren, versöhnlichen oder anstachelnden Worte, sondern knallharte Taten.

Lennox holte aus, seine Faust schnellte nach oben und mein ehemals bester Freund zuckte bei dem Schlag auf die Nase heftig zusammen.

Ein ätzendes, leises Knacken war zu hören und wenige Sekunden später tropfte das Blut aus Keanes Nase wie zäher Honig. Eine dicke, dunkle Flüssigkeit, die an seinen Händen und seinem Oberteil hängenblieb. Tränen schossen unwiderruflich in die Augen des Verletzten.

Alle Anwesenden, Alaia und ich eingeschlossen, schnappten erschrocken nach Luft.

Die Reaktion traf mich vollkommen unvorbereitet und ich taumelte nach hinten, um mit dem Rücken gegen Alaias Brust zu stoßen.

Lennox biss die Zähne zusammen, doch die Kälte, in die seine Augen getränkt waren, ließen ihn äußerlich keine Schmerzen zeigen. Unbeeindruckt schüttelte er seine rechte Hand und nahm sich verstohlen einen Moment, um die verfärbten Knöchel zu betrachten.

Paralyzed | ✓Where stories live. Discover now