29.

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Im Innern des Hauses empfängt mich nicht die gewohnte Stille.
Ich höre die fremden Stimmen und quietschenden Schuhsohlen schon, als ich die Haustür erreiche.
Der Kies rutscht unter meinen schnellen Schritten weg wie Sand.
Ich ringe nach Atem und will gerade über die Türschwelle treten, da entdecke ich zwei Rettungssanitäter, die eine Trage durch die Eingangshalle schieben.

Ich kann nichts von der Gestalt erkennen, die auf ihr liegt. Doch ich weiß, dass sie es ist.
Als Mom immer Näher kommen, erkenne ich ihre kurzen blonden Haare.
Ich strecke die Hand nach ihr aus, obwohl sie noch viel zu weit von mir entfernt ist. Es fühlt sich an, als liegen Meilen zwischen uns.

"Was ist mit ihr?", rufe ich den Sanitätern zu.
Ein junger Mann mit braunen Haaren sieht auf.
Seine Augen verengen sich, als er mich mustert. Seine Lippen sind zu einem verdammten Strich zusammengepresst.

In diesem Moment verliere ich jede Hoffnung darauf, dass jemals wieder etwas gut wird.
Nicht in diesem Leben. Nicht in dieser Familie.
"Sie sind?"
Der barsche Ton des Sanitäters zeugt von Stress und Missbilligung mir gegenüber - einem Mädchen, das ihm den Weg versperrt.

Eilig mache ich einen Schritt zur Seite, gebe die Tür frei.
"Ich bin ihre Tochter."
Die Worte fühlen sich falsch in meinem Hals an. Ich schlucke.
Die Trage wird an mir vorbeigerollt und ich erhasche einen Blick auf meine Mutter.

Ihre braunen Augen sind nur halb geöffnet.
Aber sie sind geöffnet! Sie ist bei Bewusstsein.
"Mom."
Ich versuche ihre Hand zu greifen, ich will sie wissen lassen, dass ich da bin, auch wenn sie mich wahrscheinlich gar nicht hier haben will.

Wie ich sie kenne, wünscht sie sich in diesem Augenblick, dass wir alle verschwinden würden, damit niemand Zeuge ihres Zustands wird.
Ich werde beiseite geschoben und kollidiere mit der Wand.

"Ophelia. Komm rein und lass die Männer ihre Arbeit machen."
Mein Vater taucht neben mir auf und legt mir eine Hand an den Arm.
Sein Schlips ist gelockert, hängt schief um seinen Hals. Seine markanten Gesichtszüge sind angespannter als sonst.

Seine Hemdsärmel sind nach oben gerollt und er wischt sich über die Stirn, fast so als hätte er bis eben noch schwere körperliche Arbeit betrieben.
Aber das hier ist Arbeit. Gottverdammte Arbeit. Und man beginnt sie jeden Tag von vorn, ohne je für den vergangenen Tag entlohnt zu werden.

Ich blicke über meine Schulter.
Unserer Auffahrt hat eindeutig zu viele Krankenwagen erdulden müssen.
Dad lässt meinen Arm los und folgt den Sanitätern.
Der Braunhaarige hat mir nicht geantwortet. Ich weiß immer noch nicht, was mit meiner Mutter ist.

Mein Vater geht mit steifen Schritten hinter der Trage her.
Als Mom in den Krankenwagen soll, nimmt er ihre Hand.
Ich kann sehen, wie er sie an seine Brust presst.
"Georgia, wir kommen gleich nach. Ganz ruhig."

Er streicht über ihren Kopf.
Ich schließe die Augen. So habe ich die Zwei schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.
Und es tut unglaublich weh, dass mein Vater erst jetzt in der Lage ist, Zärtlichkeiten auszutauschen, wo Mom an eine Krankentrage gegurtet ist.

Ich wende den Blick ab und gehe ins Haus.
Ben steht mit verschränkten Armen in der Küchentür.
Wir wechseln einen kurzen Blick.
"Sie lag einfach so in der Küche. Alkoholvergiftung."

Meine Hände beginnen zu zittern und ich lasse meine Tasche fallen.
"Das kann nicht wahr sein."
"Wundert's dich?"
Ben lehnt sich gegen den Türrahmen, die Arme immer noch demonstrativ vor der Brust verschränkt. Das Ganze scheint ihn keine bisschen mitzunehmen. Er grinst sogar ein bisschen.

Die Haustür fällt zu.
Ich höre Dads eilige Schritte und rieche sein teures Parfum, bevor ich ihn sehe.
"Wir können gleich nachfahren. Es geht ihr den Umständen entsprechend ... Ophelia, hör auf zu weinen."
Seine warme Hand legt sich um meinen Nacken.

Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich angefangen habe, zu weinen.
Hastig wische ich mir über das Gesicht.
Er konnte mich noch nie weinen sehen.
"Was ist mit ihr?", frage ich erneut und kratze an meinem Nagellack herum.
Dieses Mal hat meine Stimme alle Kraft verloren.

"Deine Mutter hat eine Alkoholvergiftung."
Dad streicht mir einmal über den Nacken, dann lässt er mich los.
Ich suche Bens Blick, doch dieser funkelt nur unseren Vater an.
"Habe ich ihr schon gesagt. Aber das Prinzesschen will mir nicht glauben, dass ich eine Alkoholvergiftung erkenne, wenn ich eine sehe."

Ich schnappe nach Luft.
Die Spannung zwischen den Beiden lässt sich beinahe greifen.
Ben lehnt immer noch entspannt im Türrahmen, als Dad auf ihn zu stürzt.
Drohend hält er ihm einen Finger unter die Nase.

"So redest du nicht! Nicht in meinem Haus!"
Ben gibt ein beeindrucktes Geräusch von sich und kichert dann amüsiert.
Wieso konnte er ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Dieses ständige Provozieren hat ihn noch nie weitergebracht.

Ich spüre, wie sich mein Hals mehr und mehr zusammenschnürt und sich der Raum plötzlich anfängt zu drehen.
"Du warst doch gar nicht hier, in deinem Haus!"
Ben streckt seine Brust heraus und wirft sich das schwarze Haar aus dem Gesicht.

"Ich habe sie gefunden! Ich! Und ich habe dich angerufen. Und Ophelia! Du hättest ihr doch gar nicht Bescheid gegeben! Sie wäre ahnungslos hierhergekommen und hätte ein leeres Haus vorgefunden. Sie hätte vielleicht noch nicht mal erfahren, dass Mom im Krankenhaus ist! Du kotzt mich so an!"

Alle Luft entweicht aus meinen Lungen und ich schaue zwischen den beiden Männern hin und her.
Wem kann ich hier noch glauben?
"Benedikt! So redest du nicht mit mir! Ich hätte dich auf die Straße werfen sollen, so etwas Undankbares wie du will sich mein Sohn nennen!", brüllt mein Vater zurück.

Aber Ben ist schneller.
Er bekommt wahrscheinlich nur noch die Hälfte seiner Worte mit, denn er stürmt bereits die Treppe hoch und wir hören lediglich das Knallen seiner Zimmertür, das durch das ganze Haus schallt.
Dad kneift sich in die Nase und dreht sich langsam zu mir.

Zwischen seine buschigen Augenbrauen hat sich eine tiefe Furche gebildet.
"Gut ... soviel dazu."
Er seufzt.
Ich kann an nichts anderes denken, als daran wie Mom auf dieser Trage festgeschnallt war.

Sie konnte sich überhaupt nicht bewegen. Sie sah so leblos aus.
"Schätzchen, ich hätte dir natürlich Bescheid gegeben, aber in der Eile hier ist es im ersten Moment untergegangen."
Ich schaue zu ihm auf.

Seine Stimme erreicht mich, aber ich schenke seinen Worten keinen Gehalt.
Er versucht ein Lächeln.
Ich weiß in diesem Moment, dass Ben mit dem, was er gesagt hat, recht hat.
Dad hätte mich nicht angerufen.

Ich hätte höchstwahrscheinlich ein leeres Haus vorgefunden.
Mir ist allerdings auch klar, dass Ben mich nur angerufen hat, damit er Dad eins auswischen und seine Pläne durchkreuzen kann.
Ich bin lediglich eine Figur in ihrem Spiel.

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Song: Wildfire (alternate Version) - SYML

Helloooo,

Ich hab keine Zeit xD what's new xD

Heute 2 h Gartenarbeit, Französisch nur halb überlebt xD but I'm fineee

See ya, sending u love!!
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt