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Margret sinkt gegen den Kühlschrank. Es wirkt, als hätte jemand das Blut aus ihren Wangen gesaugt.
Eine Hilflosigkeit baut sich in mir auf, die ich zuvor nicht gekannt habe.
Ich hafte meinen Blick auf ihre Hände, die sie flach gegen das graue Metall presst.
Ich wünschte, der starke Geruch von Kräutern und Kaffee könnte seine gewöhnliche beruhigende Wirkung in mir entfalten.

Aber es kostet mich alles, meine Tränen im Zaum zu halten und mich nicht zu übergeben.
Isabell geht auf Jace zu und schaut hoch in sein Gesicht. Aus nächster Nähe scheint sie keine Anzeichen für seine schlimme Krankheit zu finden.
Ich wende den Blick von dieser innigen und persönlichen Szene ab.

Margret atmet tief durch und ihr Gesicht klärt sich von dem Unverständnis, das zuvor ihre Haut ergrauen ließ.
In diesem Moment scheint sie so viel mehr zu begreifen, als dass Jace krank ist, todkrank. Jetzt hat sie eine Erklärung, die schon lange zu ihren Füßen lag und das Verhalten von ihrem Sohn erklärte. Sie hat nur bis jetzt nicht zu Boden blicken wollen.

Als ihre Augen auf mich treffen, ist ihr Grün nicht halb so erzürnt wie das ihrer Tochter.
"Warum habt ihr es uns nicht früher gesagt?", fragt sie mich.
Ich senke den Kopf, zu beschämt über mein Verhalten und die Lügen.
"Sie wollte, dass ich es euch sage", meldet sich Jace wieder mit normaler Stimme zu Wort.

Er hat sich wieder gefasst, mag auf einen Außenstehenden einen völlig normalen Eindruck machen. Nichts erinnerte daran, dass er eben noch auf dem Küchenboden lag - abgesehen von den Katzenhaaren an seinen Knien vielleicht.
Aber ich kann sehen, wie er sich zusammenreißt, aufrecht zu stehen und seinen Atem kontrolliert durch seine Nase ein- und ausspeist.

Auch Margret scheint jetzt hinter Jaces Tarnung schauen zu können. Natürlich. Sie ist seine Mutter. Sie kennt ihn besser als ich.
Und der Ausdruck auf ihren Zügen ist schrecklich mitzuerleben. Es ist der Ausdruck puren Mitleids und Bedauern.

Ein Blick, den Jace nie für sich wollte, schon gar nicht von seiner Mutter.
Und jetzt, wo ich das unausweichliche Ende kenne, fühle ich mich um so schuldiger, denn nur wegen mir und meinem ständigen Drängen, wird ihn dieser Blick jetzt auf seinem letzten Weg begleiten.
Ich lege verstohlen die Hand über meinen Mund, aus Angst jeden Moment würde ein Schrei meine Lungen zerreißen.

"Seit wann weißt du es?"
"Seit ein paar Jahren."
Margret nickt und schiebt ihr Stirnband zurück, kämmt flüchtig durch ihre langen Haare.
Ich kann sehen, wie ihre Finger dabei beben.

Isabell wirbelt zu ihrer Mutter herum.
"Ist das wirklich alles, was du dazu sagen willst, Mom? Ich kann es nicht glauben! Ich -"
"Es ist gut, Issi."
Margrets Stimme ist beschwichtigend, ruhig, aber von Authentizität durchdrungen.

Isabell schluckt herunter, was auch immer ihr noch auf der Zunge lag und visiert dann mich an.
"Und du wusstest es, sobald du ihn kennengelernt hast?"
Ich schaue Jace an, nicht sicher, was ich antworten soll.
"Schau nicht ihn an! Ich rede mit dir", befiehlt sie verbissen.

"Nein", antworte ich ehrlich. "Ich bin erst nach einiger Zeit dahinter gekommen."
Von den Drogen werde ich auf keinen Fall erzählen. Es gibt Dinge, die die beiden nicht wissen müssen. Zumal es nur noch mehr Sorgen über sie bringen würde.
"Und du hast ihn tatsächlich dazu überredet, wieder mit uns Kontakt aufzunehmen?", will sie weiter wissen.

"Isabell."
Ich winke ab.
"Ist schon gut", sage ich leise zu ihrer Mutter.
Ich möchte sie anlächeln, aber mein Gesicht ist wie gelähmt.

Ich begegne Isabells in Flammen stehenden Augen und sage: "Ja. Ich wollte, dass er wieder mit den Menschen zusammen ist, die er am meisten liebt. Und außerdem ... wollte ich diese Menschen kennenlernen."
Isabell wendet ihren bohrenden Blick von mir ab und ich spüre eine unweigerliche Erleichterung über mich schwappen.
Sie hat sichtlich genug gehört und entfernt sich von Jace. Allerdings nicht ohne ihn vorher in die Arme zu schließen.

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt