Kapitel 68

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Sezuna erschauderte innerlich, zeigte aber nach außen nicht, wie sehr sie dieses Geständnis überraschte. Sie hatte es geahnt, doch jetzt wusste sie es genau. Das war also der Grund, warum er nicht mehr intim werden wollte und konnte. Selbst wenn er es wollte, hatte er zu viel Angst, dass er sie dabei tötete. Ein Problem, dass ihm sicherlich schwer auf dem Herzen lag. Eine weitere Narbe, die er mit sich herumtrug.

Haru wurde wütender und wütender auf sich selbst, sodass er plötzlich Magie auf sich selbst anwandte. Gleich darauf schien, es als würde er all seinen Zorn herausbrüllen, doch es verließ kein Laut seine Lippen. Haru hatte sich selbst einen Zauber auferlegt, der ihn für einige Sekunden zumindest schweigsam sein ließ. So konnte er schreien, so viel er wollte, ohne dass es jemand hörte.

Sezuna blieb die ganze Zeit bei ihm und hielt ihn einfach nur fest. Hier konnte sie nichts anderes tun, als warten, dass er seiner Wut Luft machte.

Schon nach einer halben Sekunde war seine Stimme wieder da und sein Schluchzen wurde wieder lauter. Sein Schmerz saß zu tief, wenn er daran dachte. „Und gerade heute, an ihrem Todestag musste es natürlich wieder erst recht hochkommen", weinte er bitterlich.

Sezuna schloss die Arme fester um ihn. Heute war ihr Todestag. Das hatte sie nicht gewusst, doch das erklärte, warum Haru heute so schlecht gelaunt war.

Sanft fuhr sie ihm durch die Haare, bevor sie einen flüchtigen Kuss darauf hauchte.

Der Junge war über ihre Geste überrascht, denn das hatte er von Sezuna nicht erwartet. Kurz hielt er inne, doch dann schüttelte er den Kopf. Das war nie gut ... obwohl er nicht wollte, legte er seine Hände auf ihre Arme und drückte sie fest an sich, als würde er jemanden brauchen, der für ihn da war. Dabei würde Haru das niemals zugeben.

Es vergingen lange Minuten, bis er sich ein wenig beruhigte. Den ganzen Tag hatte er versucht, sich abzulenken, mit einkaufen, Sport, gutem Essen und Sezuna. Und trotzdem, steckte die ganze Zeit in seinem Hinterkopf Sarah, wie sie unter ihm gelegen hatte. Mit weit aufgerissenen Augen und blutend.

Ein Anblick, dem er niemand wünschen würde. Nicht einmal seinem schlimmsten Feind. Das Bild hatte sich in seinen Kopf gebrannt und wollte einfach nicht schwächer werden.

Noch immer hielt Sezuna ihn fest, sodass er nicht einfach zusammensinken konnte. Deshalb lehnte er sich gegen das Bett und ließ die Manschette, die er bearbeiten wollte, einfach fallen, was einen lauten dumpfen Aufschlag erzeugte. „Danke ... dass du da bist ...", flüsterte er heiser und erschöpft. Nie konnte er normal sein, das wusste er. Nicht nach allem, was geschehen war. Dennoch war er froh, dass es zumindest eine Person zur Zeit gab, die ihm Beistand, auch wenn sie es vielleicht nicht immer verstehen konnte, warum Haru so war, wie er eben war.

Sezuna strich ihm weiter beruhigend durch die Haare. „Du musst dich nicht bei mir bedanken", flüsterte sie gegen seine Haare und streichelte ihn weiter.

„Verstehst du endlich, warum ich dir nichts geben kann ...? Warum du nur unglücklich sein wirst ...?", fragte er nach ein paar Minuten, in denen er einfach ihre streicheleinheiten genoss. Sie war die erste, der er erzählte hatte, was passiert war. Außer Sarahs Bruder und sie wusste es keiner. All die Jahre über hatte Haru das mit sich herumgetragen und alles tief in sich gefressen und vergraben, weil er nicht wollte, dass Leute ihn noch mehr als eine Art Dämon und Monster sahen.

„Nur, weil ich nicht mit dir schlafen kann, heißt das nicht, dass ich deshalb unglücklich sein werde", murmelte sie. „Liebe dreht sich nicht immer nur um Sex."

„Es ist ein Teil davon ... es ist nicht alles, aber ein Teil davon ... und es wirst eines Tages kommen. Dieses Verlangen, welches stärker als die Angst ist ... ich will dich doch nur beschützen ...", sagte Haru heiser und eine weitere Träne lief an seiner Wange herab.

„Ich weiß, auf was ich mich einlasse, Haru", sagte sie leise und strich ihm die Tränen von der Wange. „Wenn es passieren sollte, dann werden wir beide damit fertig und wir werden beide überleben."

„Es darf nicht passieren ...", beharrte er erschöpft. „Deshalb will ich dich auf Abstand halten. Dass wir uns nicht zu sehr aneinander gewöhnen ... und weitergehen ...", presste er hervor, denn er wusste, dass es ihr gegenüber unfair war. Es war nicht Sezunas Schuld, sondern seine.

„Davor wegzurennen, wird dir nicht helfen", meinte sie und klang fest und entschlossen. „Du kannst nicht ewig vor dir selbst wegrennen."

„Aber vor dir ...", entgegnete er. „Und vor den Situationen ... es ist besser ... wenn ich endlich weg bin ..."

Sezuna hielt ihn fester. „Und mich zurücklassen?", fragte sie voll Trauer. „Ich mag dich. Sehr sogar und du würdest mir damit sehr weh tun."

„Besser dir weh tun ... als zu töten ... vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir uns nie getroffen hätten", klang Haru mehr als erschöpft. Sie würde eines Tages darüber hinwegkommen, wenn er weg war und sich einem neuen Leben widmen.

Sezuna, die nicht wusste, was sie darauf sagen sollte, hielt ihn einfach nur fest im Arm. Die Vorstellung ihn nie getroffen zu haben, war nicht schön. Wahrscheinlich wären sie dann beide noch immer in ihrer eigenen Dunkelheit gefangen.

Haru war noch immer rot im Gesicht, vor Scham, Erschöpfung und weinen. Sein Kopf hatte er an die Bettkante gelehnt, doch Sezuna hatte ihren Kopf noch immer auf seinem. „Du ... solltest schlafen gehen ...", flüsterte er nach einer Weile, in der sie geschwiegen hatten.

„Erst, wenn du dich wieder ein wenig beruhigt hast", meinte sie unnachgiebig und blieb, wo sie war.

„Es geht schon ...", gab er zurück, aber er bewegte sich keinen Zentimeter. Auch seine Hände blieben da, wo sie waren, nämlich auf Sezunas Armen, die ihn umarmten.

„Wenn es dir besser geht, kommst du dann ins Bett uns nimmst mich in den Arm?", wollte sie leise wissen, denn sie hoffte, dass das Haru beruhigen würde. Und da sie fragte, konnte er sich selbst einreden, dass er es für sie tat.

„Ich ... muss erst noch die Dinger fertig machen ...", wich er ihrer Frage aus. Nicht nur, weil es die Wahrheit wahr und er ungern die Manschetten nicht fertig liegen lassen wollte. Aber auch, weil er sich nicht sicher war, ob es gut war, neben Sezuna zu liegen und sie in den Armen zu halten.

Diese seufzte schwer und löste sich widerwillig von ihm. Sie wollte ihn immerhin auch nicht drängen. Das Angebot war gemacht und ob er es annahm, war seine Entscheidung. „Na gut."

Sobald sie ihn losließ, fuhr er mit seiner Arbeit fort, aber sie wollte nicht so funktionieren, wie er es wollte, was ihr frustriert aufstöhnen ließ. Doch endlich konnte er sich die Gewichte wieder anziehen und schließlich stand er auf. Er warf einen Blick auf Sezuna und war unschlüssig, was er tun sollte. Irgendwie konnte er sich nicht dazu durchringen, sich neben sie zu legen und so tun, als wäre nichts gewesen.

Sezuna erhob sich leicht und streckte einladend die Arme aus, während sie ihn abwartend anblickte.

Sie konnte sein Zögern sehr wohl sehen und auch spüren, denn plötzlich stand Haru, der sonst immer kalt und abweisend wirkte, wie ein kleines Kind im Zimmer, das sich zierte, ins Bett zu gehen. Nach einigem Hin und Her in seinem Kopf zog er schließlich seine Kleidung aus und holte seine Decke aus ihrem Rucksack hervor, bevor er auf sie zukam, und sich zu ihr legte.

Zufrieden damit nahm Sezuna ihn in den Arm. Sie wusste, dass er nicht wirklich wollte und gleichzeitig doch und manchmal musste man ihm eben zu seinem Glück zwingen.

Sobald er von ihr in den Arm genommen wurde, schloss er die Augen und atmete tief durch. Nur zögernd legte er seinen Arm um Sezuna, nachdem er die Decke über sich gezogen hatte. Dann erst sah er das blonde Mädchen, welches so dicht neben ihm lag, wieder an. Ein schimmernder Film lag in seinen Augen, als er das tat.

Sie hatte sich vertrauensvoll an ihn geschmiegt und die Augen geschlossen, hielt ihn aber fest umarmt, als würde sie ihn nicht so schnell wieder loslassen wollen.

Deshalb schloss auch Haru die Augen und versuchte sich nur auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Er konnte Sezunas angenehmen Duft riechen, der ihn manchmal um den Verstand brachte. Auch ihr gleichmäßiger Atmen half ihm, sich zu beruhigen. „Wenn du nur wüsstest, wie sehr ich dich mag ...", sagte er so leise, dass es fast nicht verständlich war.

Galdur - Fenua (Band 2)Where stories live. Discover now