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Sage
Ich versuche ihn nun zum dritten mal anzurufen, aber er geht einfach nicht an sein Handy. Verwirrt laufe ich im Zimmer auf und ab und male mir Dinge aus, die ihm zugestoßen sein könnten. Ich schüttele die Bedenken aus dem Kopf, als ich ein Auto vor dem Haus anhalten sehe. Es ist Taylan, der grade mit einer Sporttasche Heim geht. Er war also beim Training, deshalb hat er meine Anrufe nicht beantworten können. Ich könnte grade wirklich jemanden zum reden gebrauchen. Es will einfach kein Frieden in meinem Kopf geben, als würde sie jemand kontrollieren können. Seitdem ich hier bin, hatte ich mehr schlaflose Nächte, als Schlaf. Und trotzdem war es ausreichend genug, um den ganzen Tag motiviert zu sein. Ist der Urlaub hier hin ein Wellness oder eher ein Albtraum? Ich bleibe optimistisch und nehme es als ein Wellness wahr. Schließlich habe ich mir immer gesagt, dass ich keine unnötigen negativen Gedanken an mich ranlasse. Ich nehme die paar wichtigsten Sachen mit und gehe aus dem Haus. Schnell überquere ich noch die Straße und stehe schon vor der Tür, die mir grade geöffnet wird.
"Hey, was machst du denn hier?", kratzt er sich verwirrt am Kopf. Ruft mich dann aber anschließend rein. Ich setze mich in die Küche und schaue ihm zu, wie er grade eine Art Shake zubereitet.
"Willst du auch?", fragt er und mixt die dickflüssige Mischung.
"Was ist das?", nähere ich dem Mixer und siehe rein. Es sieht aus wie Vanille. Lecker.
"Eiweißshake.", sagt er und umfüllt das Shake in ein großes Glas.
"Nein danke.", schüttele ich lachend den Kopf und Folge ihm ins Wohnzimmer. Er nimmt einen großen Schluck und leckt sich dann über die Lippen. Ich beobachte ihn dabei, wie er alles so schnell runterkriegt und muss schon fast würgen.
Nach einem Rülpsen stellt er das Glas wieder auf den Tisch und schenkt mir nun seine volle Aufmerksamkeit.
"Was bedrückt dein kleines Herz?", fragt er, als wäre er mein Therapeut. Ich verschränke meine Finger ineinander und atme tief ein.
"Ich weiß auch nicht.", sage ich traurig. Er sieht mich ernst an, jeden Moment etwas sagen wollend. Wir starren uns nun eine Weile lang an, bis er endlich das Wort ergreift.
"Geht es um ihn?" Ich seufze.
"Ich glaube schon.", murmle ich leicht abwesend. Er nickt verstehend. Egal wie still es grade ist, mit ihm ist es nie merkwürdig. Ich genieße seine tickende Uhr an der Wand, als er seinen Arm um mich legt. Genau das ist es, was ich grade gut gebraucht habe. Er ist ein besserer Freund für mich, als die meisten Mädchen in Raleigh. Nach einer kurzen Zeitspanne lässt er von mir ab und räuspert sich.
"Du bist eine bad Bitch. Du darfst dir keinen Kopf wegen einem Jungen machen."
"Was?", lache ich beinahe. " Ich mache mir keinen Kopf. Es sind einfach nur seine Taten.", füge ich ehrlich hinzu. Er lehnt sich etwas zurück, als würde er über etwas nachdenken.
"Was für Taten?", fragt er nun mit dem selbem skeptischen Blick. Irgendwie lässt mich seine Haltung auch Misstrauen gegen ihn hegen. Ich halte inne und überlege mir, ob es wirklich wert ist, es ihm zu erzählen. Ich weiß, dass mir der Gedanke daran sowieso keine Ruhe mehr geben will, also was bringt es, wenn ich es noch weiter in mich hineinfresse.
"Naja, er hat mich zu sich nach Hause gefahren, zum zweiten Mal..." Er sieht mich neugierig an.
"Und hat etwas gestanden.", gebe ich zögernd zu.
So langsam fällt mir der Stein vom Herzen und ich fühle mich weitaus entspannter. Seine Reaktion kann mich nur leicht zum Gegenteil überzeugen, aber was raus will, muss raus.
"Was hat er gestanden?", geht er mit etwas Druck nach.
"Dass wir nicht nur Bekannte bleiben können.", drücke ich zaghaft aus. Er zieht die Luft langsam ein und presst die Lippen aufeinander. Ich wende meinen Blick von ihm ab und sehe rüber zu einem Gemälde von einem entblößten Rücken einer Frau. Das Bild repräsentiert pure Freiheit und gleichzeitig eine Gefangenschaft. Alles um ihr herum scheint dunkel und unendlich, während der Körper in leuchtender Form als eine Lichtquelle dient. Dadurch wirkt das Bild sehr dramatisch und traurig, aber auch lebhaft und vital. Soll es heißen, dass der Körper der Frau die einzige Hoffnung ist? Jedenfalls gefällt mir das Gemälde, warum, kann ich irgendwie nicht sagen. Ganz davon abgesehen, dass ich absolut keinen Plan habe, was die Künstler sich bei den Bildern denken, geht es bei mir um's optische. Aber dieses Gemälde strahlt eine Geschichte aus, die es umso faszinierender macht. Ich werde mir definitv solche ähnlichen Bilder für mein zukünftiges Zuhause kaufen.

Taylan
Ich sehe sie nun eine Weile lang an. Völlig gedankenverloren starrt sie an die Wand. Wahrscheinlich auf das Gemälde, was ich mir einst zugelegt hatte. Jedenfalls ist der freie Rücken ein genüsslicher Anblick für mich.
Ihr Satz von vorhin gefällt mir, im Gegensatz zu dem Bild, ganz und garnicht. Ich hoffe sie hat mir die Reaktion nicht allzusehr angesehen. Was soll das bitte heißen, dass er ihr etwas gestanden hat? Den Typen werd ich mir noch vorknöpfen müssen. Ich weiß zwar nicht, was genau zwischen den beiden läuft, aber es ist definitiv nichts gutes. Meiner Ansicht nach, läuft zwischen den beiden sogar viel zu viel. Sage ist mir wirklich ans Herz gewachsen und mich würde es beunruhigen, wenn ihr irgendetwas schlimmes zustoßen würde. Sie ist eine zarte Zimmerpflanze für mich, die viel Liebe und Achtung benötigt. Aber mir ist auch klar, dass aus der Zimmerpflanzen ganz schnell Giftefeu werden kann. Ich will der Sache tiefer an den Grund gehen. Was hält sie davon? Vielleicht findet sie auch, dass das keine gute Idee ist.
"Sage?", taste ich mich ran ich und ziehe sie wieder aus den Gedanken. Sie dreht ihren Kopf in meine Richtung und zieht fragend die Augenbrauen zusammen.
"Hat er dir noch etwas erzählt?", gehe ich weiter darauf ein. Schließlich will ich Klarheit und kann die Sache eventuell besser beurteilen. Hoffentlich. Sie schüttelt zögernd den Kopf und streicht sich die Haare hinter das Ohr. Wenn ich wüsste, was das jetzt heißen soll. Ich nähere mich ihr und wage einen weiteren Versuch. Mir ist klar, dass ihr das grade unangenehm ist, doch irgendwie muss ich es ja herausfinden. Ich öffne leicht die Lippen und ziehe die Luft durch die Nase. Bevor die Worte meinen Mund verlassen können, unterbricht mich eine ruhige Stimme. Sie legt den Kopf leicht schief und bringt ein fälschliches Grinsen zum Vorschein.
"Er hat mich geküsst.", verlassen die Worte prompt ihren Mund und durchdringen grade so meine Ohren. Beinahe hätte ich es überhört, aber ich habe alles verstanden. Das muss doch ein Scherz sein, sowas würde sie nie im Leben zulassen. Und auch Mack würde ich es irgendwie nicht zutrauen, nicht bei ihr. Reglos starre ich weiter in ihre Augen, als würde ich ihr zuhören. Nichts. Reine stille.
"Soll das ein Scherz sein, oder...?", pruste ich monoton aus. Sie schüttelt den Kopf.
"Es ist passiert. Wir kamen uns nah und dann hat er einfach...", enthüllt sie hysterisch. Jetzt kommt nun auch ihre wahre Reaktion zum Vorschein. Sie ist überfordert, genauso wie ich. Ich dachte mein bester Freund hat eine Freundin? Gut, dass er nie treu war, ist mir bis heute klar, aber, dass er grade sie aussuchen muss, gefällt mir nicht. Vorallem nicht nachdem sie sich im Restaurant und auch in der Bar begegnet sind. Die Bar! Fuck! Es ist meine Schuld, dass die beiden sich nah gekommen sind. Ich habe sie damals alleine gelassen und bin mit Steph abgehauen. Aber wer denkt schon, dass das so endet. Na super.
"Was passiert ist, ist passiert.", gebe auch ich mich damit ab.
"Aber versprich mir, dass nicht mehr daraus wird."
"Was? Warum das?", schießt es aus ihr heraus. Sie entfernt sich leicht von mir und wartet ungeduldig auf eine Antwort. Ich ziehe sie wieder zurück und klopfe ihr auf den Kopf.
"Warum willst du mit ihm reden? Er ist ein Arschloch, wie du gerne sagst. Und nur weil er dich geküsst hat, muss es lange nichts heißen.", erkläre ich Aschselzuckend. Sie sieht mich wieder fassungslos an.
"Mir ist schon klar, was für einer das ist. Denkst du ich will ihn heiraten oder warum machst du jetzt so einen Aufstand?", erhebt sie sich und stemmt sich die Hände in die Hüfte. Ich streiche mir einmal über die Stirn und tue es ihr gleich.
"Nein, das ist es nicht...", seufze ich. "Ich will einfach nur nicht, dass du verletzt wirst."
"Taylan, ich bin nicht verliebt. Liebe ist nur ein archaischer Trieb und existiert nur im Kopf. Ich brauche momentan nur mehr Ablenkung.", erklärt sie, während sie sich wieder hinsetzt. Ich überlege kurz, als mir etwas in den Sinn kommt.
"Mein Football Training hat wieder begonnen. Wenn du willst kannst du mir dabei zuschauen.", wackle ich mit den Augenbrauen. Gut aussehend bin ich, einen gut gebauten Körper habe ich auch, was will man mehr? Die Frauenwelt steht doch bei mir Schlange, und natürlich kriegt jeder von ihnen etwas Taylan ab. Sie sieht mich erst ernst, dann grinsend an.
"Abgemacht.", lächelt sie und boxt mir leicht gegen den Oberarm. Ich balle meine Hand zur Faust und boxe sie ebenfalls. Sie landet mit dem ganzen körper auf der Couch und sieht mich erzürnt an. "Oh, oh!", sage ich und entferne mich. Sie steht auf und hämmert mit ihren kleinen Händen gegen meine Seite.
"Das war nicht witzig!", zickt sie und verschränkt ihre Arme.
"Ich find schon.", lache ich weiter und hebe schützend meine Hände hoch.
"Das wird noch Konsequenzen haben.", sagt sie und nimmt ihr Jäckchen in die Hand.
"Ja ja.", schmunzle ich und begleite sie zur Tür.
Was soll ich mit diesem kleinen Hitzkopf bloß anstellen?

Love On The BrainWhere stories live. Discover now