Ave Maria

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Leser, sei dabei in dieser Geschichte. Sei das Ich und fühle dich, als hättest du es erlebt...

Inspiration und Muse für diesen One Shot war mir Thelegendofmarina (von Wattpad).
Danke dafür!

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Herrgott ist das peinlich!
Ich komme daher wie ein Dorftrampel. Ehrlich.
Warum muss immer mir so etwas passieren?
In meinem etwas akzentbehafteten Englisch entschuldige ich mich bei den beiden Männern, denen ich gerade sozusagen vor die Füße gestolpert bin und ihnen meinen Apfelsaft über ihre Hosen geschüttet habe.
Ob es wohl als Entschuldigung gilt, dass ich nicht von hier komme? Dass ich aus Deutschland bin, und hier nur auf Urlaub ...?

Ich habe mich so darauf gefreut, hier her zu kommen. Wollte schon immer mal die englische Landschaft der Heiden und Moore kennenlernen und zugegebener Maßen, es ist wunderschön hier. Ruhig, friedlich, und eine Legende haben sie auch. Angeblich spukt ein Hund auf dem Moor herum.
Nun, die letzten drei Tage waren toll, und eigentlich heute auch, bis eben. Bis ich mich mal wieder blamieren musste. /Reader/, du bist einfach ein Trottel, denke ich.

„Hey, nicht so schlimm", sagt der eine der beiden Männer, der kleinere von den beiden, der mit dem blonden Schopf.
„Es tut mir leid", sage ich noch mal und versuche aufzustehen. Es geht nicht. Mein Fuß tut weh.
„Autsch", zische ich und lasse mich zurück sinken.
Der Blonde zeigt sofort einen besorgten Ausdruck.
Er wirft dem anderen, der mit gekrauster Stirn dreinschaut, einen Blick zu und bittet ihn:
„Sherlock, meine Arzttasche! Bitte!"
Der andere steht auf und geht davon.
Der Blonde reicht mir seine Hand.
„Dr. John Watson", sagt er. „Da haben Sie Glück im Unglück, dass der, den sie beinahe umlaufen, immerhin Arzt ist."
Ich reiche ihm die Hand.
„/Reader/", sage ich.

Er untersucht meinen Knöchel.
Ich stöhne.
„Ist nicht gebrochen", sagt er. „Nur ein wenig gezerrt."
Inzwischen ist der andere auch wieder da und trägt die Tasche daher.
„Mein Verlobter, Sherlock Holmes", sagt Watson und nickt dem schwarz gelockten zu.
„/Reader/", stelle ich mich erneut vor.
Holmes schaut mich an.

„Nicht von hier", sagt er. „Deutschland; /Readers Stadt oder Landstrich/, nicht wahr?"
Ich nicke.
„Urlaub, wegen zu viel Stress, weil ..."
„Sherlock! Nicht!", fährt Watson dazwischen.
Er lächelt und schaut seinen Begleiter liebevoll an.
Sherlock Holmes grummelt.

„Es tut mir so leid", sage ich noch mal. Aber Watson schüttelt den Kopf.
„Alles halb so schlimm. Wir wollten uns ohnehin gerade zurück ziehen ..."
Und er wird rot als er das sagt.
Irgendwie niedlich, finde ich. Ebenso niedlich wie sein Verlobter, der, eine amüsierte Verlegenheit verbergend, mit einer seiner wunderbaren Locken spielt.

Watson hat mir inzwischen den Knöchel verbunden, und so kann ich an seinem Arm in die Pension humpeln. Sie bringen mich bis auf mein Zimmer.

„Danke", sage ich. Holmes schnaubt nur.
„Ich hab ihn wohl sehr verärgert?", frage ich Watson.
„Ach nein", sagt der. „Er ist nur nervös. Wir heiraten morgen, hier in der Grimpener Kirche."
Er strahlt, und auch sein Begleiter wirft ihm nun einen Blick zu, der voller Wärme und Zärtlichkeit ist.

* * *

Ich habe lange überlegt, wie ich mich bedanken kann. Für die Freundlichkeit von Watson. Na ja, der beiden eigentlich. Sie hätten mich auch echt zur Schnecke machen können.

Und jetzt stehe ich hier, auf der Empore.
Dort unten sind die beiden.
Der Pfarrer traut sie und legt ihre Hände ineinander.
Sie strahlen ein zufriedenes Glück aus, das man nicht oft sieht. So selten. So kostbar.

Ich atme tief durch.

Der Pfarrer sagt etwas, dann nickt er mir zu ... ich habe mich an ihn gewandt und mit ihm konspiriert, sozusagen. Ich wollte den beiden etwas schenken, etwas besonderes, ein Dankeschön, eine Glücksgabe.
Du schaffst das, /Reader/, sage ich mir selbst. Du hast schon so oft ... und jetzt kommt es darauf an. Du schaffst das.

Ich beginne.
Ohne den Klang der Orgel oder eines anderen Instrumentes.
Meine Stimme soll allein diesen Klang tragen.

„Ave Maria ..."

Sie schauen sich erstaunt um. Sehen mich hier stehen. Ich schließe die Augen, konzentriere mich.

„Gartia plena..."

Bei Watson ... nein, er heißt nun nicht mehr Watson. Bei John Hamish Holmes, wie ich seit wenigen Augenblicken weiß, schimmern die Augen. Ein paar Tränen rollen über seine Wangen.

„Ave dominus ..."

Meine Stimme ist klar wie geschliffenes Kristallglas. Sie schwingt und klingt wie die Saite einer feinsten Harfe.
Wie die hohen Töne der Querflöte.
Rein, hell. Klar.

„Ventri tui, Jesus ..."

Sherlock William Scott Holmes, auch diese Namensfolge kenne ich erst seit wenigen Momenten, hat die Augen geschlossen und wiegt sich leicht zu meinem Gesang.

„In hora mortis nostrae ... Ave Maria."

Meine Stimme verklingt, der letzte Ton fliegt wie ein kleiner Vogel hoch in den Turm der kleinen Kirche.

Ich trete zurück und überlasse dem Pfarrer das Feld, der nun die restliche Rede übernimmt und den beiden Eheleuten endlich den ersten Kuss erlaubt ...

Ich verlasse die Kirche.

Und als ich ein paar Tage später nach Hause fahre, denke ich:

Ich werde diesen Urlaub nie vergessen.

Ein verschütteter Apfelsaft-
Ein Ave Maria-
und eine Ehe, die hier begann, und von der ich überzeugt bin, dass sie lange und glücklich sein wird und selbst mit dem Tod noch nicht wahrhaftig das Ende finden wird.

Sherlock BBC One-shotsWhere stories live. Discover now