zurück in der Realität

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  Kapitel 43


„Aufwachen, Selene!", meinte eine dunkle, ruhige Stimme und sie weigerte sich die Augen zu öffnen und zu akzeptieren, dass die Nacht schon vorbei war. Ein leises Lachen ertönte und etwas Heißes brannte an ihrer Wange, das wieder verschwand, als sie danach greifen wollte.
„He, Baby, ich habe dir Kaffee mitgebracht", sagte die Stimme und eine Hand fuhr durch ihre Haare, dann über ihr Gesicht und als sie es endlich über sich brachte ihre Lieder zu heben, lagen Ethans Lippen schon auf ihren. Der Kuss war zunächst sanft und neckend, bevor er in einer Rekordgeschwindigkeit zu etwas wurde, dass alles andere als unschuldig war.
„Raus aus den Federn, Selene. Lindsey ist seit zwanzig Minuten im Bett und wir müssen ins Sherriff Büro", sagte er und sie setzte sich tatsächlich auf und nahm die Kaffeebecher entgegen.
„Hast du überhaupt geschlafen?", fragte sie und nippte an der bitteren Flüssigkeit, bevor sie den Mund verzog. Ethan lächelte wieder kurz, dann strich er ihr wieder durch die zerzausten Haare, an dessen Zustand er maßgeblich Schuld hatte und blickte sie etwas zu ernst an für ihren Geschmack.
„Ausreichend um halbwegs klarzukommen, wir müssen wirklich los, Selene. Zieh dich bitte an." Sagte er, lehnte sich zu ihr um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu drücken und erhob sich dann um nach seinem Telefon zu greifen.
Die wenigen Stunden ohne einen Baum voller Leichen in ihrem Kopf hatten ihr gutgetan, aber nun traf die Realität sie mit einer gnadenlosen Gewalt, die sie ein weiteres Mal an allem zweifeln ließ.
Ethan kontrollierte seine Nachrichten, während Selene sich anzog und eigentlich darauf wartete, dass er damit anfing sie Löcher in den Bauch zu fragen. Es war fast schon merkwürdig wie er ihre Fähigkeiten beiseiteschob und obwohl Selene es wirklich nicht darauf anlegte Fragen gestellt zu bekommen, die sie selbst nicht beantworten können würde, war es doch wichtig. Sie konnten es nicht beiseiteschieben, es war wichtig, dass er es erfuhr.
„Ich glaube er weiß davon", begann sie, als sie sich den weiten Pullover glattstrich und mit den Fingern ihr Haar durchkämmte, bevor sie sich einen liederlichen Zopf machte. Ethan sah von seinem Handy auf.
„Was meinst du?"
„Der Mörder. Ich glaube er weiß es", sagte sie und sah ihm solange entgegen bis er auf sie zu kam und sie wieder berührte. Hier stand nicht der Mann vor ihr, sondern der Agent. Und obwohl sein Blick ernst schien waren seine Finger zärtlich als er nach einer der Haarsträhnen griff die sie nicht hatte einfangen können.
„Wie kommst du darauf?", er klang nicht so als würde er diese Vermutung teilen.
„Karl haben die Augen gefehlt. Er hat sie entfernt sonst hätte ich gesehen was ihm passiert ist", sagte sie und erschauderte als sein Daumen kurz über ihre Wange glitt, bevor er die Hand endgültig wegnahm.
„Hättest du das? Hast du auch gesehen was deiner Großmutter zugestoßen ist? Schließlich hat er dir ihre Augen in einem Einmachglas überreicht."Selene schüttelte den Kopf, sie hatte es nie wirklich getestet. Aber umso länger ein Mensch tot war, umso weniger sah sie in den Augen. Sie hatte immer gedacht das hätte was mit dem Verwesungszustand zu tun. Aber als sie sich endlich dazu überwunden hatte die Augen ihrer Großmutter zu betrachten war nichts passiert, trotz ihres einwandfreien Zustandes dank der Flüssigkeit, in der sie schwammen. Also stimmte diese Theorie nicht.
„Es könnte Zufall sein, Selene. Ich gehe davon aus, dass nicht viele Menschen über deine", er machte eine Pause, „Gabe Bescheid wissen", setzte er dann nach und Selene wusste plötzlich, warum er ihr dazu noch gar keine Fragen gestellt hatte. Er glaubte es immer noch nicht ganz. Sein Verstand suchte nach rationalen Erklärungen und Selene wusste nur zu gut, dass es noch eine Weile brauchte bis er es akzeptiert hatte. Sie würde ihn nicht drängen schließlich hatte er ja selbst zugeben, dass es einfach alles zu gut erklärte, egal wie unwahrscheinlich es war.
„Du bist der Einzige", sagte sie und erst als sie das sagte viel ihr auf, dass das so nicht stimmte. Ihre Mutter wusste von davon, hatte sie deshalb verstoßen und sich nie wieder gemeldet. Selene hatte sie seit achtzehn Jahren nicht mehr gesprochen und sie glaubte auch nicht daran, dass Karina, ihre Mutter, es je wirklich wahrgenommen hatte. Wäre ihre Großmutter nicht gewesen hätte sie Selene wohl ohne Umschweife in eine Psychiatrie gesteckt.
„Aber er wusste, dass ich Alice bin", sagte sie weiter und erinnerte sich an die Karte, die bei Karls Leiche gelegen hatte.
„Er kam auch an die Akte zum Fall deiner Großmutter heran. Sie ist verschwunden. Wir haben lediglich die Kopie die sich noch im Besitz von Shawn Pee befand und haben keine Ahnung, ob sie vollständig ist. Er könnte dich gehackt und herausgefunden haben, dass du Alice bist. Das ist die logische Erklärung." Selene musste ihm recht geben. Es konnte durchaus sein, dass es nur Zufall war: Wie hätte er auch wissen können, dass sie aus den Augen ihrer Großmutter nichts herauslesen konnte? Sie hatte es ja selbst nicht gewusst. Dennoch war ein merkwürdiger Zufall.
„Es ist also ein Polizist? Wegen der verschwundenen Akte" fragte Selene um sich selbst abzulenken. Ethan rieb ihr über die Oberarme, als würde er ihr Unwohlsein ebenso spüren.
„Lass uns keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es wäre naheliegend, allerdings kann wirklich jeder ins Archiv einbrechen und sie stehlen, dass kann gestern oder bereits vor Jahren passiert sein. Aus Hinweisen Schlussfolgerungen zu machen ist nicht gut. Wir müssen in alle Richtungen denken."
„Aber er muss von hier sein", sagte sie und konnte sich nun wirklich nicht vorstellen das irgendein außenstehender etwas von den Ruinen wusste und der Legende, die die Bewohner von NewHollow davon abhielt sie aufzusuchen.
„Es spricht einiges dafür, aber auch hier sollten wir uns nicht versteifen und abwarten bis wir mehr wissen. Lass uns etwas zu essen holen und dann ins Sherrifbüro gehen. Ich denke, da können sie gerade jede Hand gebrauchen", sagte er und Selene nickte lediglich. Dieser Tag würde nicht leichter werden als die letzten, das hatte sie einfach im Gefühl. 

Beta: Geany

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Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Where stories live. Discover now