Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1

Facettenreich

Kapitel 20
NewHollow hatte selbst keinen offiziellen Flughafen und so waren sie gezwungen die holprige Startbahn eines privaten Logistikunternehmens zum Landen zu benutzen und von dort aus mit zwei Autos nach NewHollow weiter zu reisen. Doch als der kleine Jet des FBI zum Stillstand kam, sah Selene bereits die alten Einsatzwagen des NewHollow Sheriffbüros.
Derek erhob sich aus seinem Sitz und warf einen misstrauischen Blick aus den schmalen Fenster, während Bobby das aussprach, was alle dachten: „Ich glaube, dass sich die örtlichen Behörden nicht besonders kooperativ verhalten werden."
„Woran das wohl liegen mag?", fragte Lindsey sarkastisch und warf Selene dabei einen bitterbösen Seitenblick zu. Als Selene den Blick der anderen Frau auf sich spürte, wollte sie gerade eine patzige Antwort geben, aber dann überraschte Ethans Stellvertreterin sie.
„Boss? Ich bitte darum als Erste gehen und diesen abergläubischen Hinterwäldlern verbal in den Hintern treten zu dürfen."
Selene schloss den Mund wieder, als sie verstand, dass Lindsey in dieser Sache tatsächlich auf ihrer Seite zu stehen schien und runzelte misstrauisch die Stirn. Ethan neben ihr lachte kurz und dunkel auf.
„Gerne doch, vergiss nicht ihre Weltanschauung durcheinander zu bringen." Seine Stellvertreterin schnaufte amüsiert.
„Ich bin eine schwarze Frau in einem Männerberuf. Das versteht sich von selbst." Als der Jet zum Stillstand kam und die Türen sich öffneten, grinste Lindsey über beide Ohren, bevor sie vor allen Anderen aus dem Flieger trat und das mit einer arroganten Erhabenheit, die Selene kurz schmunzeln ließ. Dennoch traute sie dem Frieden nicht und sah sich kurz nach Derek oder Bobby um, die ihr erklären konnten, woher Lindsays Sinneswandel kam. Natürlich war es jedoch Ethan, der ihren Blick verstand, noch bevor sie die Frage an einen der anderen Männer stellen konnte.
„Lindsey hat ihre Probleme, aber sie ist ein guter Agent und vor allem kann sie nachvollziehen wie es ist mit Vorurteilen kämpfen zu müssen. Wenn sie etwas noch weniger leiden kann als das, sind es Polizisten, die vorverurteilen. Sie ziehen unseren Beruf in den Dreck und sorgen für Misstrauen in der Bevölkerung", erklärte er und schien selbst vollkommen vergessen zu haben, dass sie noch vor einer halben Stunden gestritten hatten.
Selene nahm es hin und bewegte sich nach Bobby ebenfalls zum Ausgang, wo Lindsey gerade mit ihrer Triade begann.
Kaum hatte Lindsey die Rolltreppe hinter sich gelassen spazierte sie mit schwingenden Hüften auf die vier Beamten zu, die in ihren Uniformen und mit den Dienstmarken an ihren Gürteln Selene als Kind immer Respekt eingeflößt hatten. Aber sie konnte sich nicht helfen, neben der so selbstsicheren und taffen Lindsey wirkten diese etwas übergewichtigen Männer mit ihren grauen Haaransätzen wie Schauspieler, die in ihrer Rolle einfach nicht ganz aufgehen wollten.
„Hallo, meine Herren. Ich nehme an Sie sind tatsächlich auf die Idee gekommen die Bordliste zu unserem Flug zu überfliegen, die wir Ihnen aus Höflichkeit gefaxt haben und sind nun wegen dem Püppchen hier", begann sie mit einem leichten unheimlich, belustigten Ton in der Stimme, der Selene erschaudern ließ. Sie hatte noch nicht mehr von Agent Lindsey Hall kennengelernt, als die eifersüchtige Frau. Nun sah sie zum ersten Mal den Agent hinter der Kaffeebraunen Haut und den dunklen Augen. Zwar gefiel Selene es nicht, dass Lindsey sie als >>Püppchen<< bezeichnete, aber sie würde es sicher nicht wagen ihr in diesem Zustand zu widersprechen.
Der kleinste der Männer, ein alt eingesessenen Cop namens Douglas Pee, der bereits unter Henrys Vorgänger gearbeitet hatte, trat vor. Eigentlich wäre er der Nächste Sheriff in NewHollow gewesen, doch dann war Henry in die Stadt gezogen und der alte Mann hatte aufgrund fehlender Qualifikationen Platz machen müssen.
„Wer glauben Sie eigentlich wer Sie sind?", fragte Pee und seine Augen verengten sich so stark, dass Selene sich fragte, ob er überhaupt noch etwas sah.
„Oh, das habe ich glatt vergessen. Ich bin Agent Lindsey Hall, stellvertretende Einsatzleiterin und Sie sind sicherlich Debuty Douglas Pee und wenn ich mich recht erinnere, sind sie nicht der Stellvertretender Sheriff", gab sie zuckersüß von sich und man konnte Pee geradezu ansehen wie ihm vor Wut die Hitze ins Gesicht stieg. Wenn er sauer wurde, sah er immer aus wie ein zu lange gekochtes Reisbällchen.
Douglas Pee war trotz seines Dienstalters Karriere-mäßig von einem jungen Mann überholt worden, der nach Henrys auftauchen gerade erst mit der Polizeischule fertig geworden war. Michael Hirsch. Obwohl Selene nie gut auf ihren ehemaligen Mitschüler zu sprechen gewesen war, hatte es sie dennoch immer beeindruckt, dass das ehemalige Football-Arschloch ein so guter Polizist geworden war, dass Henry ihn den Stellvertreter Posten überlassen hatte.
Aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit und seinen Gemeinheiten als Teenager konnte Selene ihm dennoch nicht vertrauen. Es war einfach zu viel zwischen ihnen passiert, obwohl Selene selbst aus der Ferne hatte zugeben müssen, dass aus dem arroganten, selbstverliebten Footballstar der Stadt ein anständiger Mann geworden zu sein schien.
„Der Junge hat hier nichts zu sagen", entfuhr es Pee herablassend und die drei Männer an seiner Seite, alle ehemalige Mitläufer von Henrys niederträchtigem Vorgänger, nickten eifrig. Sofort wurde Selene in ihre Jugendzeit zurück katapultiert als Sheriff Shawn Pee, nebenbei bemerkt Douglas Pees Cousin, ihr alles hatte anlasten wollen, was er gefunden hatte. Da hatten diese Männer auch nur da gestanden und genickt. Was für ein erbärmlicher Haufen. Damals hatte sie Angst gehabt, nun wurde sie bei diesem Anblick einfach nur noch wütend. Genauso wie Lindsey.
„Der Junge ist ihr Boss und warum er nicht hier ist, kann ich sehr gut nachvollziehen. Sie sind-„
‚Bitte Agent Hall, ich würde gerne für mich selbst sprechen!', unterbrach eine feste Stimme Lindseys Ansage. Aus dem kleinen Logistikgebäude kam mit langen Schritten ein junger Mann und Selene blinzelte überrascht einige Male, weil sie Michael kaum noch erkannte.