18. Kapitel

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Juhee

Die gelben Halteschlaufen der S-Bahn schwingen hin und her. An manchen Schlaufen hingen Menschen und hielten sich daran fest. Ich sah aus dem Fenster: Draußen war finstere Nacht.
Maddie hatte gesagt: Ich ruf dich an. Dann die ausgetretenen Treppen runter, zweiter Stock, erster Stock, Erdgeschoss, raus. Kein Blick hoch zu einem Fenster. Die lange Straße entlang, dann rechts. Der Eingang zum S-Bahnhof, vorbei an BigHit, Stufen hoch, Gleis zwei, die nächstbeste S-Bahn, fertig. Jetzt war ich wieder dort, denn die S-Bahn fuhr noch nicht los. Ich blinzelte, bis Gleis zwei zwischen meinen dichten Wimpern verschwamm. Wie gerne war ich jetzt in einer Stadt die ich nicht kannte. Endlich fuhr die S-Bahn los. 

Ein paar Leute waren dazu gestiegen, auch eine Frau um die vierzig. Sie trug normale Klamotten, aber dann nahm sie ein Klemmbrett aus der Tasche und meinte: »Fahrgastbefragung«. Drinnen Neonlicht, draußen Schwärze. Klasse. Ausgerechnet heute war ich Schwarzfahrerin. Normalerweise erkenne ich Kontrolleure schon aus zwanzig Meter Entfernung und verdrückte mich rechtzeitig. Aber heute war ich wohl abgelenkt, wegen der Sache mit Jimin. 

Unser erstes Treffen ging mir nicht mehr aus dem Kopf. In der spiegelnden Scheibe beobachtete ich, wie die Frau in meine Richtung lief. Neben mir blieb sie stehen und schaute auf mich hinab. Ich erwiderte ihren Blick und sah auf.

»Hallo, kann ich dir ein paar Fragen stellen?« Ich nickte so halb und starrte dann auf ihre polierten Schuhe. Diese zückte ihren Stift.

»Alter?«

»Neunzehn«, murmelte ich leicht genervt.

»Wo bist du eingestiegen«

Da, neben BigHit halt. Ich wünschte mich dorthin zurück, in meinen Kopf zurück in Jimins Schoß.

»Samseong«, antwortete ich schließlich. Die Frau kritzelte etwas auf ihr Klemmbrett.

»Und wo willst du hin?«, fragte sie mich, ohne den Blick zu heben. Wo will man hin, wenn man mit der S-Bahn fährt, weil niemand einen nach Hause fahren kann? Die Frage war wohl eher, wo man nicht hinwollte. Das ungeduldige Klicken des Kulis der Frau riss mich aus meinen Gedanken.

»Wo willst du aussteigen?«

»Keine Ahnung«, stammelte ich. »Ich ... ich mach das manchmal gerne, einfach so rumfahren.« Warum hatte sie nicht einfach eine blöde Haltestelle genannt? Aber der Satz war ja eh schon raus.

»Aha«, musterte mich die Frau abschätzig.

Ich war zu dem Zeitpunkt ziemlich neben der Spur.
Ich hätte ihr ja auch einfach sagen können:
Manchmal hatte ich keinen Bock auf mein Leben, meine Familie, mein Zuhause oder rein gar nicht auf BTS. Dann fuhr ich nur so rum und sah auf die lauteste Stadt Koreas. Oder ich begutachtete die Leute in der S-Bahn und malte mir so aus, wie die wohl so lebten. So ein Schwachsinn!

Plötzlich merkte ich, dass mir etwas das Gesicht runterlief, und ich drehte mich zum Fenster.
Die Frau mit dem Klemmbrett starrte mich leicht säuerlich an, das spürte ich.
Konnte sie nicht endlich abhauen?

»Mädchen, ich weiß ja nicht, was mit dir los ist, aber ich würde gerne mal deinen Fahrschein sehen«, forderte die Frau. Ich zuckte mit den Achseln.

»Hab keinen Fahrschein«, murmelte ich, zu erschöpft, um zu lügen. Anscheinend war ich sogar zu blöd zum Schwarzfahren.

Wütend zerknüllte ich das Papier und warf es quer durch mein Zimmer. Der Tag, an dem mich die Frau in der Bahn gefragt hatte, war einige Tage her.

BETWEEN US | 𝐏𝐉𝐌 ✓Where stories live. Discover now