Kapitel 16

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Es stellt sich heraus, das Erik ein echter Gentleman ist. Ein Gentleman in AirMax. Er hält mir die Tür offen, er schiebt den Stuhl für mich vom Tisch und er hängt meine Jacke für mich auf. Es ist genauso wie man sich ein perfektes Date in Gedanken immer vorstellt. Da Erik und ich uns ja schon seit mehreren Wochen kennen, kommt es nicht zum peinlichen Schweigen, die Pizza schmeckt gut und immer wenn unsere Hände sich zufällig berühren, fühlt sich mein ganzer Körper an als würde mir jemand eine Starkstrombehandlung verpassen. Wäre es eine Szene in einem Film würde ich wegschalten. Die Frau glotzt den starken Mann schmachtend an, während sie sich verführerisch ein Stück Salamipizza in den Mund schiebt und selbst die Kerze perfekt im Dämmerlicht flackert. "Du hast da ein bisschen Tomatensoße am Kinn", sagt der starke Mann männlich lachend.

"Ups", peinlich berührt wische ich mein Kinn mit einer Servierte ab und lasse meinen Blick durch das Restaurant gleiten.

In dem Moment, betritt eine Gruppe von Männern den Italiener. Ich schätze sie auf ungefähr zwanzig und alle sind sind wahnsinnig durchtrainiert. Manche tragen Glatze und andere haben sich ihr dunkles Haar mit viel Gel zurück gekämmt. Sie setzen sich an einem Tisch direkt neben der Tür und ich überlege woher sie mir so bekannt vorkommen. Ich erstarre vor Schreck. Im ersten Moment habe ich sie nicht erkannt, weil sie diesmal keine muskelbetonenden Tanktops tragen, sondern schwarze Seidenshirts , die aussehen als würden sie unter dem Druck der Muskeln gleich platzen. "Was ist?", fragt Erik sorglos und schiebt sich ein Stück Pizza in den Mund. "Guck jetzt nicht hin", zische ich ihm zu. "Aber ganz vorne am Tisch sitzten die Anabolikatypen."  Natürlich dreht sich Erik praktisch mit seinem ganzen Stuhl um und glotzt sie einen Moment lang ungeniert an, bevor er sich hastig wieder umdreht. "Kacke", murmelt er. Das beschreibt die Situation recht treffend. Anscheinend sind sie nicht wegen uns hier, sondern nur zum essen, aber trotzdem ist es nur eine Frage der Zeit , bis sie entweder uns oder das mit Einschusslöchern übersäte Auto entdecken, was direkt vor dem Schaufenster parkt. Einfach gehen kommt auch nicht infrage, weil sie einen Platz direkt vor der Tür haben. "Lass zur Toilette gehen", flüstere ich ihm zu. "Vielleicht ist da ein Fenster oder so."

Natürlich ist die Toilette im Keller und dort gibt es kein Fenster. War ja klar. Direkt neben den Toiletten liegt allerdings die Gaderobe. Erik und ich werfen und einen Blick zu. Zwei Doofe ein Gedanke. Zugegeben: moralisch gesehen ist dieser Plan nicht der Beste, aber scheiß auf Moral. Dazu ist es spätestens seit unserem Autodiebstahl zu spät. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass die Anabolikatypen nicht eine Sekunde zögern würden, bevor sie uns erschießen und Moral können sie wahrscheinlich noch nicht mal buchstabieren. All das denke ich mir, während ich den langen beigen Mantel anziehe und ein hässlich bedrucktes Tuch um meinen Kopf schlinge. Ich finde sogar eine Sonnenbrille: Modell Oma mit altrosa Gestell. Erik schlüpft ebenfalls in einen Trenchcoat, in diese Sorte Trenchcoat wie nur alte Männer sie tragen, und setzt sich einen grünen Filzhut auf, den er sich tief ins Gesicht zieht. Außerdem zieht er einen Gehstock aus dem Regenständer. Die Verwandlung zu einem altem Ehepaar wäre perfekt, wenn da nicht Eriks Airmax wären. Leider lassen sich keine Schuhe in der Gaderobe auftreiben, da die Leute natürlich nicht ihre Schuhe ausziehen und den Geruch ihrer Käsefüsse verteilen, bevor sie das Restaurant betreten. "Bestimmt achten sie gar nicht auf deine Schuhe" flüstere ich ihm zu, während wir nach oben huschen. "Und falls doch halten sich dich dann wohl für einen coolen Opi." Ich hake mich bei ihm ein und gehe automatisch gebückter sobald wir den Speisesaal betreten. Die Männer sitzen immer noch an ihrem Tisch und diskutieren irgendetwas. Es wäre so verlockend einfach zur Tür zu rennen, aber stattdessen gehen wir langsam Schrittchen für Schrittchen. Erik keucht vor sich hin, als würde er gerade einen Marathon laufen . "Ach Herbert", jammere ich mit hoher Stimme. "Du und deine Raucherlunge. Damals 1951 hab ich dir gesagt: Ich oder die Zigarretten. Und du hast dich eigentlich für mich entschieden. Aber da sieht man ja wieder mal, Männern kann man nicht vertrauen, achja, achja" Enttäuscht wackele ich mit dem Kopf. Erik tätschelt meine Hand. "Waldtraut, meine Liebe, reg dich nicht auf. Das ist nicht gut für deinen Kreislauf." Wir passieren gerade ihren Tisch, als einer von ihnen plötzlich aufsteht und ich fast schon tatsächlich Probleme mit meinem Kreislauf bekomme. Mit klopfenden Herzen sehe ich zu, wie er auf uns zugeht. "Ey, mach mal Platz ihr alten Säcke, ich will zur Toilette", sagt er. Vor Erleichterung mache ich mir fast in die Hose. "Nicht unverschämt werden, junger Herr", antworte ich. "Also die Jugend von heute, das ist ja..." Erik fuchtelt empört mit seinem Gehstock in der Gegend rum und sticht Anabolikatyp fast ein Auge aus. Genervt drängelt er sich einfach an uns vorbei. "Boah ey, voll die Dummen", knurrt er vor sich hin und ich mache noch einmal "Tz tz", bevor ich die Tür aufdrücke und erleichtetrt die Luft einsauge. Wir haben es geschafft! Ich höre noch " Wieso trägt der alte Sack Airmax, denkt der der wird swagiger dadurch oder was?" bevor die Tür zufällt. Swagiger. Alles klar.

Sobald wir einige Kilometer zwischen uns und dem Restaurant gebracht haben, setzt Erik den Blinker und hält auf dem Seitenstreifen. "Was machst...", sage ich, aber weiter komm ich nicht, denn Erik hat schon seine Lippen auf meine gedrückt. Das Ganze ist eine höchst unkomfortable Angelegenheit mit dem Schaltknüppel und der Handbremse zwischen uns, die sich in meinem Bauch bohrt, aber mir ist im Moment alles egal. Das einzige was zählt sind Eriks weichen Lippen auf  meinen und seine Hände die mein Gesicht umfassen. Als ich mich schweratmend von ihm löse, lässt er mein Gesicht nicht los , sondern lehnt seine Stirn an meine. "Ich hatte so Angst", wispert er. "So Angst das sie uns erkennen und dir wehtun." 

Als wir Mats Ferienhäuschen betreten, starren uns die Beiden an, als wären zwei Außerirdische in seiner kleinen behaglichen Küche gelandet. Ich kann es ihnen nicht verdenken. "Lasst mich raten", sagt Jonas. "Ihr steht auf Rollenspiele im Bett." Ich werfe ihm einen verächtlichen Blick zu. "Die Mafia war in der Pizzeria", verkündet Erik.

Mats seufzt nur, als hätte er sowas schon erwartet, Jonas springt auf und rennt ins Schlafzimmer um seine Tasche zu packen. Ich fühle mich jämmerlich. Es war gerade alles perfekt und jetzt kommt die blöde Mafia dazwischen. Wobei, wenn man genauer drüber nachdenkt, dann wäre alles nicht so gekommen, wenn sie uns nicht verfolgt hätte. Dann säße ich jetzt nicht mit den Dreien in Südfrankreich und wäre vermutlich auch nicht mit Erik zusammen. Vielleicht sollte ich bei nächster Gelegenheit mal bei ihnen bedanken. Am besten noch bevor sie mir eine Kugel in den Kopf jagen. Mats unterbricht meine Gedanken. "Das ist jetzt natürlich doof", sagt er und reibt sich das Kinn. Mir würden noch ein paar stärkere Adjektive, als "doof" für unsere Situation einfallen. "Hat jemand eine Banane?", fragt Jonas, der wieder in die Küche gehetzt kommt. "Eine Banane?", wiederholt Erik tonlos. "Ja", sagt Jonas ungeduldig. "Es bringt Glück, wenn ich eine esse. Glücksbananen, ihr wisst schon." Erik stöhnt und vergräbt sein Gesicht in seinen Händen und ich muss kichern, aber Mats reicht ihn mit ernsthafter Miene eine Banane aus der Obstschüssel. Feierlich schält Jonas sie. "Eigentlich kann jetzt nicht mehr schiefgehen", sagt er zufrieden, während er genüsslich in die Frucht beißt. "Wo wollen wir jetzt hin?" Mats starrt gedankenverloren auf die Tischplatte vor sich. "Eigentlich müssen wir doch nirgendwo hin. Sie haben euch ja nicht erkannt, oder? Vielleicht ahnen sie nur, dass wir hier in der Nähe sind." "Schlimm genug", sagen Jonas und ich gleichzeitig. Ich werfe ihm einen bösen Blick zu. "Hör auf meine Sätze zu klauen, Miss Waikiki." Jonas verschränkt seine Arme und sieht aus, als würde er eine Diskussion anfangen wollen, aber Erik ruft plötzlich:" Ich hab eine Idee!"

Nicht schon wieder dieser Satz. 

Attraction | Erik DurmOnde histórias criam vida. Descubra agora