Kapitel 2

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Es ist ein heißer Samstagmorgen, ich habe keine Uni, keine Arbeit und die Sonne scheint in mein Zimmer. Perfekt. 

 Bis mein Handy klingelt und die Idylle zerstört. Ich stöhne und lehne mich in akrobatischer Höchstleistung so aus dem Bett, dass ich mein Handy zu fassen kriege und nicht gleichzeitig eine Bauchlandung Richtung Boden mache. Ungeduldig zerre ich es vom Ladekabel und halte es an mein Ohr, ohne zu gucken wer mich da anruft. Wer auch immer es ist- es ist ein Arschloch.

„ Ciao, Vienna“, sagt mein Chef. Ups. (Meine Eltern haben mich übrigens nach Wien benannt, weil ich dort entstanden bin aka sie haben mich nach dem Ort benannt, an dem sie Sex hatten. Danke Mama und Papa) „Eh, hi“, murmele ich. Hätte ich mal vorher geguckt wer da anruft. Antonio ruft nämlich normalerweise nur aus einem einzigen Grund an: Mariella, hat sich mal wieder krankgemeldet, weil sie lieber am See mit ihrem Freund liegt oder was auch immer sie mit ihm macht (ich will es gar nicht so genau wissen) anstatt in der Eisdiele zu arbeiten.  „Mamma mia, Vienna“, fängt er da auch schon an zu betteln. „Bitte, du musst heute kommen. Mariella hat eine Lungenentzündung oder was weiß ich. Per favore, bella!“ Ich stöhne auf. Ich war gestern mit Lea noch bis zwei in diesem verdammten Club (ohne Erfolg natürlich.) Ich weiß auch gar nicht was dieser Erik dort so toll findet, es ist eng, stickig, und die Typen sind ekelig  Außerdem ist es maßlos überteuert, ich will gar nicht wissen wie viel Geld ich da schon verprasselt habe. Und das wo ich wirklich keins habe. „Ich geb dir auch doppeltes Gehalt! Ich weiß, dass du das Geld brauchst, du bist doch in dieses Juweliergeschäft gefahren, oder?“ Wieso weiß in jeder verdammten Stadt eigentlich jeder darüber Bescheid? „Ich“, sage ich zögerlich, nach einer Ausrede suchend. „Ich muss heute meine Oma im Krankenhaus besuchen. Ganz schlimm. Die hat so eine Tropenkrankheit mit Durchfall und allem.“ Antonio schnauft verächtlich ins Telefon. „Bella, deine Nonna war heute wie jeden Morgen hier Espresso trinken und da ging es ihr noch blendend.“  Ach, mist.

Ich bin schon auf dem Weg zur Eisdiele fast vollkommen durchschwitzt. Diese blöde weiße Bluse klebt an meinem Rücken, und der schwarze Rock rutscht mit jedem Tritt in die Pedale hoch, sodass ich ihn mit einer Hand nach unten zerren und gleichzeitg lenken muss. Ein paar Typen fahren johlend in ihrer Schrottkarre an mir vorbei und ich gebe ihnen den Finger. Ich bin total fertig, als ich „Eisdiele Venezia“ (welche Eisdiele heißt eigentlich nicht so?) erreiche und mein Fahhrad abschließe. Ein paar Fußgänger starren mich an. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Meine Bluse ist, wie alle weiße Blusen in diesem verdammten Universum, ziemlich durchsichtig, sodass man normalerweise ein weißes Top noch zusätzlich drunter anziehen muss. Mir war aber zu warm, für noch ein Top, weshalb man einen wunderbaren Blick auf meinen pinken BH hat. Egal, ich muss ja eh die Schürze überziehen.  Der Laden ist total überfüllt und als ich sie betrete kommt mir auch schon sofort ein hochroter Antonio entgegen,  der auf halsbrecherische Weise drei Tabletts gleichzeitig balanciert. Ich schnappe mir meine Schürze mit dem Logo und binde sie mir um. Antonio nimmt das mit der Kleiderordnung wahnsinnig ernst, obwohl man ohnehin nichts von der blöden Bluse und dem Rock („Vienna, Bella, er muss aber mindestens eine Handbreite über dem Knie enden! Ich messe das nach!“) dank der dunkelroten Schürze sieht. Anstatt wie jede andere normale Eisdiele als Logo eine Gondel oder so zu nehmen, hat Antonio leider ein Bild von sich mit Zigarre und albernen Hut, wo er breit in die Kamera grinst, genommen. Weshalb ich mit dem Foto von einem vierzig jährigen Möchtegern Al Capone auf der Brust durch die Gegend laufen muss. Ich schnappe mir einen Block und einen Stift, denn leider verachtet Antonio auch jede Art von Technik (vielleicht außer sein Handy. Aber das auch nur weil er damit stundenlange Telefonate mit seinen Verwandten in Bella Italia führen kann.) und haste nach draußen.

Ich entdecke einen Tisch, mit zwei Jungen, vielleicht etwas älter als ich, die gerade ihre Karten zu klappen. Ich fahre einmal kurz durch meine Haare, zwinge ein Grinsen in mein Gesicht und will gerade auf sie zugehen, als mir der Eine von ihnen näher auffällt. Blondes Haar, gebräuntes Gesicht, grüne Augen,  schmales Gesicht mit Wangenknochen und vollen Lippen. Ich erstarre direkt vor ihren Tisch. Das darf doch nicht wahr sein! Jede Nacht sind Lea und ich in diesen bescheuerten Club gegangen und jetzt sitzt er hier! Außerdem sieht er überhaupt nicht mittelmäßig aus. Eher verdammt perfekt. Adieu, 30 000€ , als ob der jemals was von mir will. Anstatt nach Bestellungen zu fragen, kehre ich einfach auf dem Absatz um und stürme zurück nach drinnen. Ich höre einen der Jungen lachen. Haha. Hastig krame ich mein Handy aus meinem BH (ja mein BH ist ein prima Aufbewahrungsort) und wähle Leas Nummer. „Lea“, schreie ich als sie abnimmt. „Rate mal wer gerade in der Eisdiele ist.“ Ich höre Lea am anderen Ende stöhnen. „Man, keine Ahnung“, knurrt sie. „Deine Oma? Leonardo di Capri? Stalin?“ Für einen Moment bin ich aus dem Konzept. „Stalin? Ist der nicht schon tot oder so?“ „ Oder so“, murmelt sie. „NEIN BLÖDI ERIK DURM.“ , rufe ich ungeduldig. „Was soll ich den jetzt machen?“  Ich höre wie bei ihr im Hintergrund eine Bettdecke raschelt. Wahrscheinlich liegt sie noch im Bett, sie Glückspilz. „Frag ihn nach 30 000€“,sie gähnt. „Danke“, sage ich sarkastisch. „Du bist eine große Hilfe, das werde ich tun.“ „Ich hab's!“,ruft sie begeistert und klingt gleich fünfmal wacher. Den Satz habe ich allerdings schon für meinen Geschmack ein bisschen zu oft in letzter Zeit gehört und wirklich herausgekommen ist bisher ja nichts. „Du schüttest ihm irgendwas auf sein Oberteil, und dann entschuldigst du dich  und heulst ein bisschen, und dann bringst du ihm eins von Antonios Eisdielenshirts und versprichst ihm seins zu waschen und zurückzugeben.“ Ich schweige einen Moment. „Lea?“, sage ich. „Bist du gerade wieder bei Leon, deinem Kifferexfreund? Wir haben doch besprochen, dass das nicht gut für dich ist und wie schädlich…“ Lea unterbricht mich ungeduldig. „Ich hab keine Drogen genommen. Aber das ist das Einzige was mir gerade einfällt, und was kannst du schon  verlieren?“ „Meinen Job.“

Obwohl jedem Lebewesen mit einem Funken Intelligenz klar sein müsste, dass Leas Plan total bescheuert ist, so hält es mich dennoch nicht davon ab, ihn durchzuführen. Ich schnappe mir die letzte Bestellung, die Julia auf die Tresen gelegt hat. Eine Fanta und ein Wasser. Perfekt. Ich fülle die beiden Gläser, stelle sie auf ein Tablet und gehe nach draußen. Ich halte Ausschau nach den beiden Jungen. Erik träg ein weißes T Shirt mit irgendeiner Aufschrift und isst gerade einen Eisbecher. Anscheinend hat Julia oder Antonio sie schon bedient. Gegenüber von ihm sitzt ein Junge mit kurzen braunen Haaren, von seinem Gesicht sehe ich nichts, weil er mit den Rücken zu mir sitzt. Ich halte das Tablett fest und steuere auf die Beiden zu, bis ich schließlich auf derselben Höhe mit Erik bin. Dann stolpere ich und wie in einem Film fallen die beiden Gläser um und der Inhalt spritzt auf sein ehemals weißes Shirt. Ich bin so fasziniert von meinem wirklich perfekten Auftritt, dass ich gar nicht bemerke wie eines der Gläser vom Tablett fällt und in tausend Teile zerbricht. Ich bemerke es erst, als mir etwas Warmes in die Schuhe läuft. 

Ich schaue nach unten. Glassplitter stecken in meinem Bein und Blut sickert herunter. Ich fange an zu schreien. 

Attraction | Erik DurmWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu