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"Es ist halb sechs Uhr morgens."

Ich schaltete das Gerät schnell aus und legte es beiseite. "Warum bist du wach?", fragte ich, wobei meine Stimme mindestens genauso verschlafen klang wie die weitaus tiefere neben mir.

Anstatt zu antworten hörte ich ein Rascheln und dann das Knarzen des Holzbodens. Meine Müdigkeit sofort komplett verflogen und ich setzte mich in dem Bett auf. Ich hörte deutlich, dass Yoongi auf mein Bett zukam. "W-was machst du?", hauchte ich verwirrt und zog die Knie an meinen Körper, um nicht den kalten Fußboden berühren zu müssen.

"Ich kann nicht mehr schlafen", gab die verschlafene Stimme zurück, als Yoongi vor mir stand. Dann gähnte er, was mich leicht zum Schmunzeln brachte. "Willst du mit mir raus gehen? Frühs ist es immer so schön draußen", fragte er leise mit seiner rauen Stimme, sodass ich ihn geradeso verstehen konnte.

Unschlüssig tippte ich auf der Matratze herum. "Aber ich-"
"Du hast Jogginghose und Shirt an, kein pinkes Nachthemd", unterbrach mich mein Betreuer, worauf ich seufzend nachgab. "Na schön." Noch immer verwirrt darüber, so früh schon aus dem Bett zu krabbeln, stand ich auf und schlüpfte in die Schuhe neben diesem.

Als ich Yoongi's Hand um mein Handgelenk spürte, zuckte ich zusammen, gleichzeitig überkam mich aber ein angnehmer Schauer, als die warme Quelle meine tatsächlich ziemlich kalte Haut berührte. "Es ist bestimmt kalt draußen", flüsterte ich und als hätte er es geahnt, legte mir der junge Mann meine dicke Jacke über die Schultern.

"Und jetzt komm, aber wir müssen leise sein", flüsterte er in mein Ohr, bevor wir vosichtig zur Tür schlichen und sich diese mit einem langsamen Knarzen öffnete.

"Yoongi, wohin gehen wir?", fragte ich kleinlaut, als wir durch den Flur, an welchen die Zimmer grenzten liefen. "Vertrau mir, Jiminie", gab er nur schmunzelnd zurück, während ich seine Hand, welche nun in meiner lag, unbewusst fester umgriff und hinter ihm hertapste.

Irgendwann öffnete rr eine Tür, welche beim Öffnen leicht quietschte, sie war ziemlich schwer und wahrscheinlich die Haustür, da uns sofort die Kälte entgegenströmte.

Bibbernd zog ich die Schultern hoch, als Yoongi die Tür hinter uns schloss und mich weiterführte. "Ist dir sehr kalt?", vergewisserte er sich, doch ich schüttelte schnell den Kopf.

Nur das angenehme knirschende Geräusch unserer Schuhe auf dem kiesigen Grund waren zu hören. Die Herberge schien sehr abgelegen zu sein und ich roch förmlich die Natur und die frische Waldluft.

"Ähm, bist du dir sicher, dass du den Weg weißt?", fragte ich nach ein paar Minuten, als der Boden anfing zu rascheln, genauso wie die Baumkronen, welche sich nun über unseren Köpfen befanden. "Ich denke ja?", gab er eher als Frage von sich, weshalb ich verunsichert stehen blieb und ihn an seiner Hand zurückzog. "Ist das dein ernst? Was ist, wenn wir uns verlaufen und nicht mehr zurückfinden?" Doch er kicherte nur. "Werden wir schon nicht. Und auch wenn..." Aufgebracht wirbelte ich herum, doch der Betreuer zog mich zu sich und packte mich an den Schultern, um meinen zappelnden Körper zu beruhigen. "Das ist nicht lustig, ganz und garnicht!", quietschte ich nervös, spürte dann erst seinen warmen Atem und wie nah ich seinem Gesicht war. "Wenn ich sage, ich passe auf dich auf, dann meine ich es auch so", zischte er fast schon aufdringlich.

Sofort erhitzten sich meine kalten Wangen und kribbelten durch den plötzlichen Temperaturunterschied leicht, ehe ich schluckend meinen Kopf senkte.

"Na komm." Und dann tat er es, seine Geste, welche mich einfach jedes Mal zum Lächeln brachte. Sanft fuhr er mir durchs Haar und verzwirbelte diesmal ein paar Strähnchen. Er schien mich garnicht mehr loslassen zu wollen und da ich auch nicht wusste, wo sein Blick gerade lag, biss ich mir ungeduldig und unwohl auf die Unterlippe. "Lass uns weiter."

Und so ließ ich mich einfach weiter von dem jungen Mann durch den Wald ziehen.

Oh Gott, was lasse ich gerade eigentlich zu? Ich laufe wahrscheinlich mit offenen Armen geradewegs auf eine Falle oder Vergewaltigung zu.

"Wir sind fast da, Jiminie", ließ mich Yoongi, wie jedes mal, meine ganzen Zweifel vergessen und das glückliche Schmunzeln war nicht zu überhören. Seine Schritte verlangsamten sich, ich achtete mehr auf die Hintergrundgeräusche, zwitschernde Vögel, das Rauschen der Blätter, sogar ein Specht schlug irgendwo scheinbar einen Baum auseinander.

Nach ein paar Metern vernahm ich dann endlich das Geräusch von Wasser. Fließndes Gewässer, aber kein großes. "Dort drüben ist eine Brücke", erklärte Yoongi und als der weiche Waldboden sich verfestigte, hielten wir an. Das Rauschen des kleinen Flusses oder Baches war deutlich unter uns zu hören und ich rückte ein Stück näher zu dem Schwarzhaarigen.

"Wenn du mich da rein schubsen willst, dann mach bitte schnell", murmelte ich nervös und traute mich nicht, mich auch nur leicht nach vorne zu beugen. Lachend legte Yoongi daraufhin seinen Arm um mich. "Vor dir ist noch gut ein halber Meter Brücke. Setzen wir uns."

Nickend folgte ich seinem Vorhaben und tastete mich vorsichtig an dem kühlen, holzartigen Material ab. Als ich das Ende der kleinen Brücke fand, ließ ich meine Beine vorsichtig herunterbaumeln, genauso wie Yoongi es tat. Unsere Beine berührten uns und die Wärme, die von ihm ausging war eigentlich recht angenehm. "Wäre es wärmer, könnten wir da rein gehen. Es ist wirklich unglaublich schön", seufzte Yoongi.

"Das glaube ich dir." Aufmunternd lächelnd drehte ich mich zu ihm. "Ach, Jiminie", seufzte er wieder, doch diesmal schien er einfach glücklich. Noch immer lag der beschützende Arm um mich, meine rechte Hand befand sich sicherheitshalber fest auf dem Boden, die andere lag unschlüssig auf meinem Schoß.

"Warum gehst du ausgerechnet mit mir hier hin? Ich... kann das doch alles gar nicht sehen?", fragte ich nach einer Weile, in welcher ich dem beruhigenden Rauschen gelauscht hatte und mir die streitenden Vögel im Hintergrund bildlich vorstellte. "Ich will hier aber nicht mit irgrndjemandem hin", stellte Yoongi standfest klar und hatte sich offensichtlich zu mir gedreht. "Und dass du angeblich nichts siehst, ist mir durchaus klar."

Ich zog fragend die Augenbrauen zusammen, doch ließ meinen Kopf weiterhin geradeaus schauen, da sich unsere Gesichter sonst unmittelbar bevor ständen. Alleine der Gedanke daran brachte mich gerade schon wieder zum leichten Erröten.

"Wie meinst du das? Angeblich?"

Seufzend wendete sich der Junge wieder von mir ab, sodass sein nervös machender Atem nun nicht mehr auf meine Wange traf. "Du siehst sehr wohl. Du siehst vieles sogar besser, da die Menschen dies leider meistens nur mit ihren Augen können. Du siehst und fühlst aber weitaus mehr in vielen Bereichen."

Mein Kopf brauchte einen Moment, um seine Worte zu verarbeiten, dann drehte ich mich schmunzelnd zu ihm. "Du bist schon komisch, Min Yoongi." Er antwortete nichts und ich konnte mir seinen verwirrten Gesichtsausdruck förmlich vorstellen. "Komm jetzt, sonst merken die anderen noch, dass wir weg sind und du weißt, wie Choi darauf reagiert!" Ich stand auf und zog ihn mit hoch.

"Bitte Respekt, Jiminie", grinste Yoongi nur und umklammerte plötzlich von hinten meinen Bauch. "Hey! Ich sagte, wenn du mich ins Wasser werfen willst, sollst du es am Anfang machen!", rief ich und strampelte mit den Beinen, doch Yoongi setzte sich unbeirrt in Bewegung. "So respektlos der Kleine", seufzte er nur, als er mich einige Meter später wieder absetzte. "Idiot", murrte ich und zupfte kurz an meiner Jacke herum. "Aber du magst mich trotzdem!", lachte er und griff nach meiner Hand.

Ja. Ja, das tat ich wohl.

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Don't Be Blind | Yoonmin | abgeschl. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt