34 ›› my last & your first chapter

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"Hör auf, die ganze Zeit zu weinen, das macht mich fertig", bat Yoongi mich in das Schweigen hinein. Seine Worte hatten jedoch keinen bösen sondern viel mehr einen besorgten, liebevollen Nachdruck. Ich wendete mein Gesicht von der Fensterscheibe der Autotür zu der anderen Seite. Kurz musterte ich ihn, wie er konzentriert auf die Straße schaute, eine Hand am Lenkrad. Die andere Hand wanderte zu meinem Bein, bis er auch seinen Kopf zu mir drehte, als er meinen Blick bemerkt hatte.

Sofort bildete sich ein kleines, aufmunterndes Lächeln auf seinem Gesicht und er strich mit seinem Daumen über meine Wange, ehe er seine Hand wieder auf meinen Oberschenkel legte. Ich folgte ihr und umgriff sie mit meinen eigenen. Ich hatte sie mir schon davor genaustens vorstellen können, hatte mir die Form und Art, wie er seine Finger bewegte, welche Gesten er machte, eingeprägt.

Ich folgte einer Träne, wie sie federleicht auf Yoongi's Haut tropfte und langsam den Finger hinabrollte.

Nun war ich seit etwa einer Woche wieder entlassen und mein Leben war dabei, sich umzugewöhnen, zu regulieren. Am heutigen Tag würde hoffentlich einem Teil der über uns hängenden berdrückten Trauer eine Art Ende, ein Grund, damit abzuschließen gesetzt werden.

Ich schniefte leise und schaute wieder aus dem Fenster auf die Landschaft, welche heraus aus der Großstadt immer grüner wurde. Wieder bildeten sich Tränen in meinen Augen. "Es ist nur... so schön. Es kommt mir so vor, als hätte ich das alles erst vor ein paar Tagen gesehen. Ich kenne die Gegend, ich-" Ich biss mir auf die Lippe, um mich nicht noch mehr hineinzusteigern. Zwar waren es gerade Freudentränen, welche meine Augen verließen, doch mein Freund hatte mich in letzter Zeit oft genug weinen gesehen.

"Es ist okay, das weißt du", meinte er, als hätte er meine Gedanken gelesen und schaute prüfend zu mir, bis ich seinen Blick kurz erwiderte und ergeben nickte. Ich wusste wo wir hinfuhren, also war mir gerade auch nicht nach Lachen zu Mute. Außerdem verband ich mit meiner Vergangenheit, mit den Farben und diesem Weg mehr. Meine Mutter, mein altes Leben.

"Wir sind gleich da", murmelte Yoongi, seine Stimme hielt sich schon den ganzen Tag über gedeckt, er würde sich die ganze Zeremonie wahrscheinlich am liebsten ersparen, womit er nicht ganz falsch dachte, da es nur noch mehr schmerzen würde, noch mehr Menschen trauern zu sehen. Die dunklen Farben, obwohl sie doch so ein toller Mensch gewesen war. Menschen, die sie doch alle nicht so gut kannten, wie ich es tat, doch nun trotzdem bereuen, sie nicht noch einmal besucht zu haben, die trotz teils jahrelangen Kontaktabbruchs nun kommen würden. Die mich bemitleiden werden, obwohl sie mich nicht einmal richtig kannten, die es mir noch schwerer machen, als es schon ist.

Ich wollte mich alleine von ihr verabschieden, zusammen mit den wichtigsten Personen. Nicht ich war derjenige, der getröstet werden sollte. Sie war es, die vollsten Respekt und Liebe verdient hatte. Einen würdigen Abschied, einen ernst gemeinten. Wenn jemand eine Rede halten sollten, dann Leute, die ihr wirklich nahe standen, doch da ich mich von ihr verabschieden wollte und nicht mit Publikum einen Aufsatz vorlesen, hatte ich nichts geplant.

"Ich weiß, was du denkst, aber das muss wirklich sein", riss Yoongi mich aus meinen Gedanken, als er die Autotür öffnete. Ich setzte einen Fuß auf den dunklen Kies und zusammen betraten wir den Friedhof. Ich kuschelte mich mehr an den schwarzen Mantel meines Freundes, versuchte, meinen Blick nicht auf den Sprüchen, den Kreuzen und der Trauer hängen zu lassen, sondern auf dem ziemlich klaren Himmel, den Blumen, der angenehmen Stille und der Natur. Doch das war auf einem Friedhof mehr als schwer.

Nach wenigen Minuten trafen wir auf eine Gruppe dunkel gekleideter Menschen, die Stimmung war düster. Sofort spürte ich diese ätzenden mitleidigen Blicke auf mir. Und schon kamen die ersten zu mir. Zwei Frauen mit ihren jeweiligen Männern. "Jimin..." Die beiden kannte ich sogar noch, sie waren langjährige Freundinnen meiner Mutter gewesen. "Es hat ja wirklich geklappt... deine Augen!" Die eine schlug sich eine Hand vor den Mund und nahm mich dann vorsichtig in den Arm.

Don't Be Blind | Yoonmin | abgeschl. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt