Kapitel 1

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Staunend den Blick nach oben gerichtet, folgte ich einer streng frisierten Brünetten durch den Eingangssaal meines neuen Zuhauses. Prächtiger Stuck und wunderschöne Fresken überzogen die Decken, die von dicken Marmorsäulen gestützt wurden. Das Gebäude schrie geradezu „Hier wurde Geschichte geschrieben!" und mich überkam das Gefühl, bedeutungslos im Angesicht dieser Mauern zu sein. Die betagten Steinmauern der Akademie bargen nicht weniger als 216 der vielversprechendsten Lichtalben, Meermenschen und Verfluchten. Diese Schule warb nicht um Schüler, hier warben die Schüler um die Schule. Wie zum Teufel war ich also hier gelandet?

„Und wie Sie sehen können ist der Speisesaal zu Ihrer Rechten", fuhr die brünette Angestellte mit ihrer Tour fort und ich zuckte überrascht zusammen, als ihr spitzer Fingernagel nur Zentimeter an meinem Gesicht vorbeischoss, um in Richtung des besprochenen Raumes zu deuten. Der gewaltige Torbogen wurde von einer weißen Doppeltür ausgefüllt, die keinen Hinweis darauf gab, was hinter ihr lag. Keine Wegweiser, kein Fenster auf den Flur. Nur auf der linken Seite trug ein winziges Schild die Uhrzeiten, zu denen der Saal geöffnet war. Wenn alle Räume so nichtssagend gestaltet waren, würde ich später nicht einmal die Toiletten finden. „Falls Sie beizeiten nicht weiterwissen, wenden Sie sich einfach an die Schulsekretärin. Sind noch Fragen offen?"

Abwartend blickte sie mich unter ihren rot umrahmten Brillengläsern an und ich schüttelte artig den Kopf. Dass ich keine Ahnung hatte, wo die Schulsekretärin zu finden war, ließ ich unerwähnt.

„Ich glaube nicht." Meine Antwort kam zu schnell und ich stolperte über die Wörter, sodass sie sich nach Ichglobicht anhörten. Die Mittdreißigerin zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts zu meinem Buchstabensalat.

„Nun denn, verbringen Sie einen produktiven ersten Tag bei uns. Sie sind in Ihre Wohngemeinschaft entlassen."

Dankend verabschiedete ich mich und eilte in die Richtung, in der ich den Trakt der Stipendiaten-Unterkünfte erhoffte, um weiteren Peinlichkeiten zu entgehen. Die Gänge, die das Gebäude wie feine Adern durchzogen, wuchsen endlos in die Ferne. Während ich durch die verlassenen Flure wanderte, suchte ich nach Hinweisen darauf, dass ich mich auf dem richtigen Weg befand.

Ich hatte nur zwei Anhaltspunkte zu der Richtung, in die ich musste: Erstens, die Zimmernummer 41; und zweitens, dass ich nach einer Wohngemeinschaft suchen musste, die bereits von drei höhersemestrigen Studenten bewohnt wurde. Ihre Erfahrung mit dem Kurssystem sollte mir bei der Eingewöhnung helfen können, aber der Gedanke daran, was die anderen von mir denken würden, ließ meine Schritte langsamer werden. Ich hatte gewusst, worauf ich mich mit der Annahme des Stipendiums einlassen würde, aber die Realität verursachte mir eine Gänsehaut. Eine Nachtalbin, noch dazu verspätet und direkt aus dem Herzen der Gemeinschaft. Ich zählte nicht unbedingt zu der Gesellschaft, die sich Lichtalben wünschten.

Vermutlich würde es nicht lange dauern, bis die ersten Gerüchte darüber gestreut wurden, wie ich an meinen Platz an der Akademie gelangt war. Ich konnte ihr Misstrauen sogar verstehen – die Akademie akzeptierte Nachtalben nur in Ausnahmefällen. Damit war ich wieder bei der Frage angelangt, weshalb ich hier war.

Bis zum letzten Jahr hatte ich ein menschliches Gymnasium besucht, dessen vertrocknete Direktorin sich nicht im Traum vorstellen könnte, dass es mehr auf dieser Welt gab, als ihr beigebracht worden war. Ein Empfehlungsschreiben hatte ich von ihr bestimmt nicht erhalten. Gedankenverloren schüttelte ich den Kopf, bevor ich mich verlegen umsah. Zum Glück waren die Gänge leergefegt, denn Selbstgespräche waren nicht die Art und Weise, auf die ich mich vorstellen wollte.

Getrieben von Nervosität trugen mich meine Füße durch die hellen Gänge, deren farblose Steinböden und weiße Wände an ein Spital erinnerten. Würde ich mit meinen Mitbewohnern auskommen? Konnten sie darüber hinwegsehen, was sie über Nachtalben gelernt hatten?

Die Akademie der Lichtalben - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt