Kapitel 11

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Auf dem Weg zur Bibliothek begegnete ich wenigen Schülern. Es war ein Uhr; die meisten mussten zu dieser Zeit im Speisesaal oder im Unterricht sitzen. Trotzdem hielt ich den Kopf gesenkt, wenn ich jemanden passierte – ohne Arden wollte ich keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Meine Schritte an das Tempo der anderen Schüler angepasst, stopfte ich die Hände in meine Westentaschen und verschmolz mit der Kulisse.

Es war mein erster Besuch in der Bibliothek, aber nachdem ich den Schildern bis zu ihrem Eingang gefolgt war, hegte ich keinen Zweifel daran, den richtigen Raum gefunden zu haben. Das hohe Tor aus hellgrauem Stein, in den Runen eingearbeitet worden waren, war schwer zu übersehen. Am Ende des Gangs thronte es wie ein Durchgang zu einer anderen Welt und womöglich war es auch etwas in der Art für diejenigen, die hier täglich herkamen, um zu lesen, zu lernen und ihre Ruhe vor den Mitbewohnern zu haben.

Hinter dem Tor empfingen mich konzentrierte Stille und der Geruch nach altem Papier. Beinahe modrig, schloss ich besorgt, während ich ziellos an den Bücherregalen vorbeischlenderte, die sich bis zur Decke erstreckten.

Ich schaffte es bis in die Mitte des Saals, bevor eine Stimme meinen Weg unterbrach. Als ich mich umsah, entdeckte ich eine ältere Frau, um deren pralle Mitte sich ein gestricktes Gilet spannte. Sie lehnte an der Arbeitsfläche einer kreisförmigen Theke, die sie, im Zentrum des Saals aus dem Steinboden schießend, umschloss.

„Kann ich dir helfen, meine Liebe?" Mit einem Finger richtete sie ihre runden Brillengläser.

„Danke, ich glaube, ich sehe mich nur um." Ich sprach, während mein Blick durch den Raum glitt. In welcher Abteilung würde Ian sich herumtreiben?

„Falls du deine Meinung ändern solltest, ich bin hier. Ich helfe gerne", bot sie im Flüsterton an. Sie war das Musterexemplar einer Bibliothekarin, mit dem mausgrauen Dutt, der sich im Nacken aufzulösen begann, und dem karamellfarbenen Gilet, an dem sie geistesabwesend zupfte. Wenn sie sprach, dann leise, und ihre Augen huschten hinter den Gläsern über die Glastische, an denen Studenten arbeiteten, als ob sie für die Sicherheit der Bücher sorgen müsste.

Ich bedankte mich ebenso leise, bevor ich mich auf die Suche nach Ian machte. Die Bibliothek hatte nur ein Stockwerk, aber unzählige Ecken und Nischen. Das alte Eingangstor und die schweren Holzregale bildeten einen unvorteilhaften Kontrast zu den modernen Tischen und Computern, die dazwischen verstreut waren. In mancher Abteilung erinnerten die Ausstattung der Gänge an die Wühltische eines Discounters.

Ich triumphierte innerlich, als ich einen Blick auf die braunen Locken von Ian zwischen zwei Regalen erhaschte, und beeilte mich zu ihm aufzuschließen.

„Ian?", rief ich aus, während er sich gerade nach einem Buch streckte.

Temis Halbbruder fuhr zusammen und gab es auf, nach dem Werk zu greifen. Ich konnte den Titel nicht ausmachen, der ihn interessiert hatte, aber wir befanden uns in der Abteilung für die Geschichte der Arten. „Du bist Erys, nicht wahr?"

Ich lächelte breit und – wie ich hoffte – warm. „Du erinnerst dich also. Ich habe dich im Vorbeigehen erkannt und dachte, ich sollte grüßen. Störe ich?"

„Überhaupt nicht, ich will nur was nachschlagen. Bist du wegen eines Kurses hier?"

„Nein", beschloss ich kurzerhand, „Ich hatte Lust zu lesen. Wegen der ganzen Sache mit den Ermittlungen habe ich viel Zeit und darf die Wohnung kaum verlassen."

Er nickte verständnisvoll. „Es muss furchtbar sein, den ganzen Tag eingesperrt zu sein. Meine Schwester wird noch verrückt, wenn sich das alles nicht bald aufklärt."

„Geht mir nicht anders."

Er ließ den Blick schweifen, als würde er jemanden suchen. „Bist du ganz allein hier?"

Die Akademie der Lichtalben - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt