Kapitel 16

10.7K 759 184
                                    

Die Stille die daraufhin herrschte, dauerte so lange an, dass ich beinahe dachte, sie wären wieder gegangen. Mein Herz machte einen nervösen Hüpfer, als Temis ihm plötzlich antwortete.

„Okay, das reicht. Habe ich etwas falsch gemacht? Wieso unterstellst du mir all diese Sachen? Dafür gibt es gar keinen Grund ..."

Er schnitt ihr heftig das Wort ab. „Halt dich von mir fern."

„Lhian, hör auf dich so merkwürdig zu benehmen und komm her."

„Nein!" Ungeschickt stolperte der Waldalb nach hinten und in mein Blickfeld. Doch er war viel zu sehr auf den Sukkubus vor ihm fixiert, als dass er mich bemerkt hätte. „Jedes Mal, wenn du mich berührst, bin ich nicht mehr ich selber."

„Fängst du jetzt auch schon mit diesen lächerlichen Vorwürfen an? Mystische Sukkuben-Kräfte? Ich bitte dich." Während Lhian vollkommen durcheinander schien, wurde Temis mit jedem Wort ruhiger und selbstsicherer. Ihr neuer Freund hatte sie durchschaut; sollte sie sich nicht Sorgen machen, dass er jemandem davon erzählen könnte?

„Lächerlich ... nein, ich...", für einen Moment schien Lhian verunsichert zu sein. „Ich gebe zu, dass ich nicht weiß was für ein Spiel du mit mir spielst, aber das ändert nichts daran, dass ich aussteigen möchte. Vielleicht machst du es gar nicht mit Absicht, weil du eine ... eine Nachtalbin bist. Lass es uns einfach beenden, Temis."

„Du machst also mit mir Schluss?" Sie machte entspannt einige Schritte auf ihn zu, sodass ich beide gut im Auge hatte. „Du willst nichts mehr mit mir zu tun haben?"

„Es tut mir leid." Seine Worte klangen ehrlich und ich ballte die Fäuste. So viel Aufrichtigkeit hatte sie nicht verdient.

„Mir tut es auch leid, Lhian. Ich wollte nicht, dass es so endet." Ihr Lächeln wurde breiter, bis ihre Grübchen sichtbar wurden. Für einen Moment sah sie genauso engelhaft aus, wie bei unserem ersten Treffen. „Bekomme ich noch eine Umarmung. Eine letzte, klitzekleine?"

Die Anspannung in Lhians Schultern löste sich, als er sie in den Arm nahm. „Danke, Temis. Ich dachte für einen Moment, du wärst mir böse."

„Wann war ich jemals böse auf dich." Sie legte die Arme fest um seinen Hals, bis ihre Fingernägel sich in seinen Rücken gruben. „Wir hatten doch Spaß miteinander."

Er lächelte, ein wenig angestrengt. „Stimmt."

Obwohl die Szene vor mir eine versöhnliche sein sollte, war das unbehagliche Bauchgefühl von vorhin nicht verschwunden. Irgendetwas stimmte nicht an der Art, wie Temis ihn hielt; an dem intensiven Glühen unter ihren Fingerspitzen; an der Art, wie sie mit jeder Faser Triumph und Gelassenheit ausstrahlte.

Die Umarmung dauerte noch eine Weile, bevor Lhian sich losmachen wollte. Doch der blonde Sukkubus hatte andere Pläne und nun merkte er langsam, dass etwas nicht in Ordnung war. „Temis, lass los."

Drängend stemmte er sich gegen ihre Umklammerung, doch seine Kräfte schienen ihn verlassen zu haben. „Das reicht jetzt, okay?", versuchte er es noch einmal, nervös lachend.

Temis flüsterte etwas in sein Ohr und Lhian sackte zusammen. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog sie sich aus der Umarmung zurück und fing den erschlafften Körper auf, kurz bevor er am Boden aufprallte.

„War doch gar nicht so schlimm, Erwählter", flüsterte sie, als sie ihn auf den erdigen Gewächshausboden sinken ließ. Ihre geflüsterten Worte klangen mir in den Ohren nach, während ich realisierte, was gerade geschehen war. Geschockt schnappte ich nach Luft – lauter als beabsichtigt. Ich schlug mir hastig die Hand vor den Mund, doch es war zu spät.

Die Akademie der Lichtalben - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt