Kapitel 9

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Sein Gesicht war von Wut und Unverständnis verzerrt. „Du hast mir versprochen, dass wir exklusiv sein weden."

„Es tut mir leid, also schrei doch nicht so", bat Temis. Unsere Mitschüler waren erschreckend leise geworden und ich ahnte, dass man die Szene mit regem Interesse verfolgte.

Nach einem nervösen Blick durch den Saal stand Temis hastig auf, um Nathael entgegenzukommen. „Ich weiß, du bist verletzt, aber sieh dich doch um. Willst du, dass alle glauben, ich hätte was mit dem Mord zu schaffen?"

Der Waldalb öffnete den Mund, bevor er ihn wieder schloss, ohne etwas gesagt zu haben. Offensichtlich hatte er nicht so weit gedacht.

Temis seufzte leise auf. „Können wir das unter vier Augen besprechen? Es war ein Fehler, dir nichts von den anderen zu sagen, aber ich war verzweifelt."

„Ich bin mir sicher, dass du tausend Gründe für dein Verhalten hast. Wie immer", spuckte er ihr entgegen. „Bist du nur mit mir ausgegangen, damit ich für dich lüge?"

„N-nein!" Ihre Stimme brach, während sie sich panisch zu erklären versuchte. „Aber mein Bruder meinte, ich brauche ein Alibi, und du hast es angeboten."

Besorgt blickten Cassia und ich uns an. Der wütende Waldalb schenkte uns keine Aufmerksamkeit, sondern blieb vollkommen auf Temis fixiert. In seinen Augen lag ein Zorn, der mir Gänsehaut verursachte. Temis hat wohl das Richtige getan, indem sie ihn auf Abstand gehalten hat.

„Ich wollte nicht, dass es so ausgeht, aber du hast mir keine Wahl gelassen. Ich war ständig bei deiner Wohnung, seitdem ich dir mein Alibi gegeben habe, und seltsamerweise bist du nie anzutreffen."

Eingeschüchtert zog Temis die Schultern hoch. Ich glaubte sogar Tränen in ihren Augen glitzern zu sehen, aber sie verbarg sie gekonnt.

„Ich verstecke mich nicht vor dir, aber mir wird alles zu viel. Ich hatte kaum eine Chance mich hier einzuleben und muss schon diese Ermittlungen über mich ergehen lassen."

Die Wurzeln an seinen Handgelenken krochen vorwärts, in seine Handflächen hinein, und ich versuchte, nicht hinzusehen. So viel dazu, dass Waldalben friedliche Wesen sind, dachte ich bei mir. Er würde doch nicht etwa ... ?

„Kannst du versuchen zu verstehen, dass ich gerade nicht darüber nachdenken kann, was das zwischen uns ist?"

„Ich war nichts außer verständnisvoll", knurrte er und ich konnte nur denken, dass sein Verhalten nach allem aussah, aber nicht nach Verständnis. „Du hättest mir die ganze Wahrheit erzählen müssen. Glaubst du, ich hätte dir dann nicht geholfen? Denkst du so schlecht von mir?"

Temis machte eine Bewegung, als wollte sie nach seinem Arm greifen, und er stolperte einen Schritt zurück. Sie presste die Lippen aufeinander.

„Wer weiß? Vielleicht hättest du mich nicht gedeckt, wenn ich dir kein drittes Date im Gegenzug versprochen hätte. Ich hatte jedenfalls eine Heidenangst, dass es so sein könnte."

Eine Sekunde lang herrschte Totenstille, bevor der Junge explodierte. Bereit auf sie loszugehen, breiteten sich die Wurzeln über seiner Haut aus. Wie dunkle Netze überzogen sie seinen Körper. Das soll weniger gruselig sein als Berührungsmagie?, schoss es mir durch den Kopf, während ich einige Schritte nach hinten machte.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?", brüllte Nathael wie von Sinnen. In ihm schien sich eine Menge Wut angestaut zu haben. „Du benutzt andere Menschen, wie es dir passt, nicht wahr?"

Er stockte, als sein Blick auf die von Wurzeln umwobenen Hände fiel, aber er kam nicht dazu, weiterzusprechen. Gerade als er den Mund öffnete, flog ein Schatten auf ihn zu.

Die Akademie der Lichtalben - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt