Kapitel 6

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Hungrig biss ich in mein Marmeladenbrot, während ich mit der anderen Hand in meiner Tasche herumwühlte. Wo war bloß ...?

„Brauchst du Hilfe?", hörte ich eine verschlafene Stimme hinter mir. Verwirrt hielt ich inne, bis mir einfiel, zu wem sie gehörte. Arden.

Als ich mich umwandte, die Semmel zwischen den Zähnen, bemerkte ich erst, dass er oben ohne war. Ich fing mit meiner freien Hand die fallende Semmel ab, und bemühte mich nicht allzu offensichtlich auf seinen durchtrainierten Oberkörper zu starren. Zuerst Lysander, dann er – was hatten Lichtalben gegen Kleidung einzuwenden?

„Brauchst du ein T-Shirt?", brachte ich mit trockenem Mund heraus und wurde mit einem entschuldigenden Lächeln von dem Sturmalben in Jogginghose belohnt, der nun nach seiner Tasche und frischer Kleidung fahndete.

„Ich sollte gar nicht schlafen, schon vergessen?", rechtfertigte er seine Kleidungswahl, während er sich sein Hemd lose überwarf. „Geht es in Ordnung, wenn ich mir einen Kaffee nehme?"

Ich machte eine zustimmende Handbewegung in seine Richtung und widmete mich wieder meiner Tasche. Wo hatte ich bloß mein Notizbuch gelassen?

„Morgen, Erys." Avna war aus ihrem Zimmer getreten und pfiff leise, als sie Arden entdeckte. „Ich dachte, du wolltest Lysander keine Konkurrenz machen. Wo hast du ihn her?"

Abwehrend hob ich die Hände, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen. Wieso waren die Morgen mit Avna so chaotisch? „Nein, das ist nicht ... also, das ist mein-"

„Ich passe auf, dass sie niemanden umbringt, bis die Ermittlungen beendet sind."

Arden verzog keine Miene, als er das sagte, und Avna zuckte mit ihren dichten Augenbrauen. Eine weitere Erklärung verlangte sie nicht, sondern hielt ihm eine leere Tasse entgegen, damit er Kaffee einschenkte.

Endlich hatte ich das gesuchte Notizbuch in der Tasche gefunden und sprang mit einem triumphierenden Lächeln auf. Im selben Moment trat Lysander an die Küchentheke, voll Vorfreude auf eine heiße Tasse des Kaffees, den er gerochen haben musste. Ich wich einem Zusammenstoß im letzten Augenblick aus, verlor jedoch mein Gleichgewicht dabei und strauchelte.

Der Hotelbesitzer fing mich gekonnt auf, als ich um mein Gleichgewicht kämpfte. Dann fing er noch etwas anderes auf. In Ardens Blick lag ein amüsiertes Funkeln, obgleich er die Szene nicht kommentierte. Die beiden musterten sich für einen Augenblick, bevor Arden die Augen senkte und einen großen Schluck Kaffee nahm.

„Wer ist er?" Lysander stellte die Frage noch bevor er die Hände von meinen Schultern gelöst hatte.

„Ihr Aufpasser", erklärte Avna mit einem schelmischen Lächeln. Ich war erleichtert zu sehen, dass sie sich von dem gestrigen Schock erholt hatte. „Er passt nämlich auf, dass sie niemanden umbringt."

Lysander musterte den Fremden mit zusammengezogenen Brauen, bevor er sich abwandte und nach einer Tasse Kaffee griff.

„Das ist überflüssig, sie hat nichts getan. Wohin musst du in der ersten Stunde, Eris?"

„Zum Dänisch-Unterricht. Es gibt nichts Schöneres, als den Morgen mit Smalltalk in einer fremden Sprache zu beginnen." Vor allem, da sich mein Interesse und Talent für Sprachen in Grenzen hielten. Aber nach einem Blick auf meinen halbleeren Stundenplan hatte ich mit geschlossenen Augen auf den erstbesten Kurs getippt.

„Ich habe eine Freistunde, ich kann dich also begleiten", meinte er schlicht und nahm mir die halbleere Tasse aus der Hand. „Beeilen wir uns, sonst kommst du wieder zu spät."

Ich grinste ihm zu. „Wieder? Ich bin gestern gerade noch rechtzeitig gekommen – und du musst mich nicht begleiten. Irgendwann muss ich lernen, mich selbst zurechtzufinden."

Die Akademie der Lichtalben - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt