Enthüllungen

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Jules

"Dieses Kleid werde ich nicht anziehen!", rief ich aus der Kabine heraus und zupfte an der riesigen Schleife auf meinem Hintern herum. Ich sah wie ein übergroßes, überzuckertes Riesenbonbon aus. Das Kleid war puderrosa und ich fühlte, wie meine Laune immer dunkler wurde.

"Zeig es mir wenigstens", antwortete Mum mir und ich steckte den Kopf aus der Kabine heraus. Für diese Art von Freakshow sollte ich Eintritt nehmen.

"Es ist schlimm", stellte ich fest und meine Mutter verdrehte die Augen. Die hatte gut lachen. Ihr Kleid war perfekt. Wir hatten es gerade vom Schneider abgeholt und kümmerten uns jetzt um mein Trauzeugenkleid.

Ich, Trauzeugin... bei Mums und Rens Hochzeit. Beinahe befürchtete ich, dass ich gleich aufwachen und feststellen würde, dass alles nur ein grotesker Traum gewesen war. Ein wirklich äußerst grotesker Traum, wenn man bedachte, dass ich als Riesenmaoam da auftauchen könnte.

"Na komm schon. Je länger du dich wehrst, desto später kannst du dir ein anderes Kleid aussuchen", sagte Mum entschlossen und ich schloss kurz die Augen. Oh du süße Peinlichkeit, warum findest du immer den Weg zu mir?

Ich hob meinen Zeigefinger, schob den Vorhang beiseite und murrte: " Das verzeihe ich dir nie mehr." Meine Mutter, Rachel die Herzlose, war rot angelaufen und unterdrückte sehr erfolglos ein Lachen.

Seufzend fuhr ich mir mit beiden Händen über die Haare und drehte mich vor dem Spiegel ein wenig um mich selbst. Das war grausam. Wer auch immer sich dieses... Etwas... ausgedacht hatte, musst wirklich hartes Zeug intus gehabt haben.

"Also, das da hat die Welt noch nicht gesehen", spottete plötzlich jemand und ich sah auf. Camerons Spiegelbild grinste gehässig und ich zeigte ihm den Finger ohne mit umzudrehen.

"Passend zu deiner rosa Krawatte, du Großhirn-Kastrat", gab ich zurück und raffte das Kleid. Cam trug einen weißen Anzug, eine rosa Krawatte und tatsächlich auch ein rosa Einstecktuch. Er sah genauso lächerlich aus, wie ich.

"Cameron! Der andere Smoking hängt schon in der Kabine", rief Renald und jetzt war es an mir dreckig zu grinsen.

"Na, dann beeil dich, Schnucki", säuselte ich und Cameron verdrehte die Augen.

"Jules. Du stehst ja immer noch da rum", sagte meine Mutter und ich warf ihr einen Blick über die Schulter zu. Sie hatte zwei Kleider über dem Arm und schaute mich ungeduldig an. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie weg gewesen war. "Ach Cam, du und Renald seid ja auch noch hier. Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer sein könnte, einen Smoking zu kaufen", meinte sie und kicherte leise. Diese verliebte Version meiner Mum machte mir Angst. Höllische Angst.

Ich trat auf sie zu und riss ihr die Kleider vom Arm.

"Ich geh mich umziehen", murmelte ich und stapfte in die Kabine. Als ich am Reißverschluss des Kleides zerrte, fiel mir auf, dass eine beachtliche Gänsehaut meine Arme zierte. Ich seufzte und lehnte meine Stirn an die kühle Wand. In meinem Inneren tobte ein Sturm der Gefühle und ich wusste nicht mehr, wie ich mich verhalten sollte. Ich war so wütend. Ich war todtraurig und ich war so unendlich in diesen Sturkopf verliebt, dass ich kotzen könnte.

"Mum? Soll ich Stacy auch zur Hochzeit einladen oder nur Dad?", fragte ich und sah von der Gästeliste auf. Meine Mutter nahm ihre Brille von der Nase und legte eine Hand an die Buchrücken der Werke in einem der etlichen Regale.

"Das sollte ich, nicht?", seufzte sie und ich lächelte schmal.

"Ich denke schon." Meine Mutter schüttelte nur mit dem Kopf und sortierte weiter Bücher ein. Sie tat mir leid. Sie kam mit meinem Dad besser klar, als noch vor ein paar Wochen, aber auf Stacy zu treffen musste schwer sein. "Wir setzten sie einfach neben Mr Ford", rief ich und Mum schaute mich fragend an.

"Deinen Lehrer? Ist der nicht so kauzig?", hakte sie nach und ich kicherte.

"Ja, genau deshalb kam mir ja die Idee. Sie wird sich so unwohl fühlen." Mum fuhr sich durch die Haare.

"Das ist grausam, Julianne", meinte sie und ich ließ die Schultern sinken. Dahin war mein Vorschlag. "Aber ich find die Idee super!", fügte sie hinzu und grinste breit.

"Na dann, bereiten wir ihr einen unvergesslichen Abend", sagte ich und trug ihren Namen auf dem Sitzplan ein.

Mums Buchhandlung lief super. Die Menschen kamen gern zu ihr und stöberten oft stundenlang in den hunderten von Büchern. Mittlerweile hatte sogar ich eingesehen, dass dieser Job sie glücklich machte und das war das Wichtigste.

Spät am Abend fuhr ich mit Mums Auto zurück nach Hause und saugte an meinem Strohhalm. Ja, ich war schuldig. Ich hatte noch im Imbiss angehalten und mir ein Burger-Menü bestellt und dabei ein weeenig die Zeit vergessen. Mum würde ausrasten.

Plötzlich wurde ich auf flackernde Lichter in den Überresten der alten Ställe aufmerksam. In mir stieg ein ganz schlechtes Gefühl auf und ich bremste ab.

Mit auf einmal zittrigen Fingern rief ich Cam an, doch er nahm nicht ab.

"Mist", fluchte ich während ich auf die Mailbox wartete. "Cameron, hier geht irgendwas ganz gewaltig nach hinten los. Ich schick dir meinen Standort."

Danach stieg ich aus dem Auto aus und kletterte über den Zaun auf die Weide. Scheiße, wie dumm konnte man eigentlich sein? Ich fühlte mich wie das Mädchen, das in den Horrorfilmen immer stirbt. Niemand geht in den Wald, wenn er den Mörder dort vermutet. Außer ich.

Aber ich konnte weder warten noch Mum Bescheid sagen. Wenn es sich hierbei um ein Missverständnis handeln sollte, hätte ich sie umsonst aufgeschreckt. Nein. Cameron war alarmiert und der Hohlkopf würde mich schon nicht hängen lassen.

Ich trat um die Ruinen herum und erstarrte. Fred hielt ein langes Messer in der Hand und redetete mit einem anderen Mann. Camerons Vater war für die Rindermorde verantwortlich? Oh Gott.

Zitternd machte ich Fotos und schaltete dann die Sprachaufnahme ein. Man konnte ja nie wissen. Plötzlich bekam ich eine unfassbare Angst. Ich wollte hier nur noch weg. Es war gefährlich und ich war wirklich nicht in der Lage mich selbst zu verteidigen. Ich mochte gut mit Worten umgehen können, aber meine Fäuste waren zugegeben äußerst klein und kraftlos. Schande über mein  Haupt.

Ich taumelte rückwärts und drehte mich nach einigen Schritten um. Leise schlich ich mich davon, als ich Schreie  hörte.

"Scheiße! Die Kleine hat alles gesehen!" Mein Herz hörte auf zu schlagen und ich begann zu rennen. Mein Blut kochte in meinen Adern und meine Brust drohte zu zerspringen. Ich rannte um mein Leben. Ich legte die Hand um den Griff des Autos und riss die Tür auf als ich plötzlich einen dumpfen Schlag gegen den Hinterkopf bekam. Die Welt stand still und drehte sich zugleich unendlich schnell. Ich sackte auf dem Boden zusammen und nahm nur noch ein pinkes Paar Stiefel wahr, das gegen meinen Kopf donnerte, ehe in mir alle Lichter ausgingen.

Fighting Cameron Where stories live. Discover now