Sicher

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Jules

Leben. Jeder wollte doch nur eines: Leben. Was allerdings macht uns zu einem lebenden Wesen? Atmen, ein schlagendes Herz, ein funktionstüchtiges Gehirn? Ja, eigentlich sollten diese Dinge doch den Begriff Leben perfekt umschreiben. Trotzdem gehört für mich zum Leben soviel mehr dazu. Wahrscheinlich muss das jeder für sich selbst entscheiden, aber ich...ich möchte Liebe, Wut und Angst spüren, ich möchte froh und glücklich sein. Ich möchte Menschen um mich herumhaben, die mir wichtig sind und ich möchte etwas in der Welt bewegen. Ja, leben ist vielleicht nicht immer leicht, aber auf Nummer sicher zu gehen, nur um Verletzungen aus dem Weg zu gehen? Nein.

Trotzdem gab es Momente, in denen ich am liebsten weniger lebendig gewesen wäre. So wie dieser. Ich saß mit gefalteten Händen auf meinem Stuhl im Lux und starrte auf meinen Teller. Den Hummer vor mir hatte ich eigentlich nicht essen wollen, aber meine Mum hatte darauf bestanden. Feiern nannte sie das hier. Folter sagte ich dazu.

Früher, als ich klein gewesen war, hatte ich immer Simsalabim Sabrina geguckt. Ich war tagelang mit erhobenen Händen durchs Haus gelaufen und hatte versucht Dinge mit Gedankenkraft zu bewegen.
Seltsamer Weise musste ich jetzt gerade daran denken, als ich den Hummer so anstarrte. Ich schaute schon so lange auf ihn hinab, dass ich mir beinahe einbildete, er hätte seine Schere bewegt. Ein kleines Lächeln zeichnete sich dabei auf meinem Gesicht ab .

"Ach sieh mal einer an! Das Mädchen ohne Lachen lächelt ja doch", rief Eleonora und ich schaute auf. Wir beide hatten uns nicht wieder vertragen und sie war zur Superbitch mutiert. Was ja eigentlich meine Aufgabe in der Familie war. Mein Grinsen wurde böse und ich warf meine Haare zurück. Ich spürte die Blicke der anderen auf mir, doch das war mir egal. Die würde es noch bereuen sich mit mir angelegt zu haben.

"Und sieh das mal einer an! Das Mädchen ohne Brüste trägt doch tatsächlich einen BH", meinte ich und imitierte dabei ihre dämliche Stimme. Meine Mutter sog scharf den Atem ein und Cam seufzte neben mir.

"Jules, ich bitte dich", flüsterte er und ich verdrehte die Augen.

"Du bist so ein Spießer geworden. Drei Wochen hat sie gebraucht, um dich komplett umzudrehen", raunte ich zurück und schob meinen Teller von mir. Ich griff nach meiner Tasche und stand auf. Ich war hier fertig.

"Du hast doch noch nicht mal aufgegessen", meinte meine Mutter, doch ich winkte ab.

"Ich hab keinen Hunger mehr und noch etliche Hausaufgaben auf dem Tisch. Tut mir leid." Nicht.

Danach verließ ich das Restaurant und setzte mich auf eine Bank vor einem Laden etwas weiter die Straße runter. Cam hatte nicht mal versucht mich aufzuhalten. Es war fast so, als wäre ich ihm vollkommen egal. Jetzt wo seine Schwester da war. Nur die ließ ihn nicht an ihre Wäsche. Ich wahrscheinlich auch nicht mehr, wenn das so weiter ginge.

"Was machst du denn so allein hier draußen", fragte plötzlich eine besorgte Stimme. Ich schaute auf und sah Will vor mir stehen. Er lächelte unsicher und ich unterdrückte mein schlechtes Gewissen. Wir hatten alles hinter uns gebracht. Wir waren Freunde.

"Ich flüchte vor Cams Familie", gab ich zu und er runzelte die Stirn.

"Ist es nicht auch deine Familie?"
Gute Frage.

"Nein. Meine Familie ist in New York", erwiderte ich und verdrängte das komische Gefühl in meinem Bauch. Ganz so war es schließlich nicht mehr.
Will setzte sich neben mich auf die Bank und musterte mein Gesicht. Er schien zu überlegen, was er sagen konnte, doch ich unterbrach seinen Denkprozess.

"Du hast morgen ein Spiel oder?", fragte ich und seine Augen wurden groß. "Ach komm schon! Ich interessiere mich sehr wohl für andere Menschen."

Er lachte und nickte dann. "Es werden Leute vom College da sein und nach Talenten die Augen offen halten." Das hörte sich wirklich wichtig an.

"Wow, ich meine... wow. Du wirst sicher ein Stipendium gekommen", sagte ich und legte meine Hand auf seine Schulter. Ich freute mich für ihn. Sein Blick huschte erst zu meiner Hand, dann wieder zu meinem Gesicht.

"Ehrlich?"

"Ehrlich." Ein Windstoß kam auf und ich legte schützend die Hände um meine Mitte. Es war kühl und ich Idiotin hatte keine Jacke dabei.

"Hier", sagte Will und reichte mir seine Footballjacke. Ich legte sie mir dankend um meine Schultern und lachte dann.

"Das ist alles, wie in einem kitschigen Liebesfilm", prustete ich und Will lachte ebenfalls.

"Da kann ich nicht mitreden", meinte er und hob die Hände. Ich hatte Spaß. In diesem kleinen Moment hatte ich wirklich Spaß.

"Solltest du aber. Komm ruhig mal rüber. Wir könnten ein paar Filme gucken", schlug ich vor und Wills Gesicht sah angespannt aus. "Du musst natürlich nicht, wenn du nicht möchtest. Es war nur ein Vorschlag."

"Nein, Jules. Klar möchte ich. Ich hatte nur nicht damit gerechnet. Cam findet das sicher nicht grade toll", erklärte Will und ich seufzte.

"Cam ist viel zu sehr mit seiner Schwester beschäftigt, als dass er dich überhaupt bemerken könnte", meinte ich und trauriger Weise dachte ich wirklich so.

"Weißt du was? Ich fahr dich nach Hause und wir schauen jetzt schon irgendwas. Was hältst du davon?"

"Super Idee, Quarterback."

Wir saßen auf meinem Bett in meinem Zimmer und schauten uns Safe Haven an. Vorher hatten wir uns tödlich darum gestritten, welchen Film wir auf Netflix zuerst schauen wollten und ich hatte gewonnen.

"Muss das wirklich sein?", fragte er und ich nahm ihm die Schüssel mit Popcorn weg.

"Du hast bei Schere, Stein, Papier verloren", meinte ich nur und er seufzte, ehe er sich auf den Rücken rollte und die Decke anstarrte. Ich pausierte den Film und reichte ihm mein Handy. "Wenn du Pizza bestellst, darfst du dir einen anderen Film aussuchen." Sofort hellte sich sein Gesicht auf.

"Das hört sich wirklich gut an. Ich hab da schon was im Hinterkopf", sagte er lächelnd und ich hob einen Zeigefinger.

"Denk dran, dass es mein Account ist. Ich habe trotzdem die Macht."

"Nicht ohne Fernbedienung", stellte er klar und wir beide griffen gleichzeitig danach, stießen unsere Köpfe aneinander und lagen dann lachend auf dem Bett. "Sicher, dass Cam mich nicht bemerken wird?"

"Du bist nur ein Freund. Also ja."

Fighting Cameron Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt