Ein bisschen

152 9 3
                                    

Jules
"Mum! Ich weiß schon selber, wie man einen Koffer zieht", meckerte ich und verdrehte die Augen. Die Frau machte mich noch fertig. Seit Tagen flatterte sie um mich herum und mimte die Helikopter-Mutter. Wahrscheinlich machte sie sich Sorgen, dass ich türmen könnte und irgendwo im Central Park unter einer Brücke pennen würde, nur um nicht zurück nach Montana zu müssen. Gar keine so abwegige Idee, um ehrlich zu sein. Seufzend erklomm ich die Stufen zum Eingang des Flughafens und machte drei Kreuze, als ich Maggie aufgeregt vor dem Gebäude mit Susan schnattern sah. Meine Mum schob sich ihre Sonnenbrille auf ihre gebräunte Nase und rümpfte diese, als sie meinen Kurs erblickte. Wir waren ein bunter Haufen: Da hatten wir zum Beispiel Jack. Er war ein ziemlich lebendiger junger Mann. Sah gut aus, war witzig und schlau. Definitiv Traummann-Potenzial. Ach und er war schwul. Er stand mit den Händen auf sein Becken gestützt da und kicherte. Neben ihm kaute Jane, unser Klassen-Emo, Kaugummi und fummelte an ihrem Nasenpiercing rum. Ganz zu schweigen von der Plastik-Fraktion rund um Britney und ihre beiden Minions, die sich den Jungs an den Hals warfen. Cameron konnte ich nicht sehen. Wir waren nicht zusammen hergekommen, weil er die Nacht über bei Brody gepennt hatte. Ich verdrehte bei dem Gedanken daran die Augen und blendete meine Mutter aus, die mal wieder irgendwelche Befehle von sich gab. Maggie sah mich, kam auf mich zu und umarmte mich. Susan im Schlepptau.
"Howdy", rief sie und nahm ihren Cowboyhut vom Kopf. Skeptisch schaute ich ihrer pinken, glitzernden Kopfbedeckung nach, wie sie sie hektisch herumwedelte. Ihre Beine steckten in kurzen Hotpants und endeten in Cowboy-Boots.
"Du weißt schon, dass wir nach Seattle und nicht nach Tennessee fliegen?", fragte ich sie und grinste, als sie mit ihrer Stiefelspitze einen Stein wegkickte.
"Ach, soll dir der Neid doch im Hals stecken bleiben, Großstadt-Tussi", konterte sie und grinste frech. Und tatsächlich nahm ich sie zwar immer hoch, doch eigentlich rockte sie diesen Stil wie kein anderer. Meine Mutter zog mir auffällig unauffällig an der Jacke und zerrte mich ein Stück von Susan und Maggie weg. Ich verdrehte die Augen und verschränkte die Arme. Was wollte sie denn nun?
"Also, Julianne", begann sie und ich stöhnte auf. Wenn sie meinen ganzen Namen benutzte, dann war es "ernst". "Bist du dir sicher, dass du mitfliegen möchtest?"
"Ja, Mum. Ich würde nichts lieber tun." Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und kratzte sich am Hinterkopf.
"Aber willst du wirklich aus deinem Umfeld herausgerissen werden?" Ich glaubte ich hörte nicht richtig. War sie nicht diejenige gewesen, die mich aus meinem "Umfeld" entfernt hatte.
"Ja, Mum. Mach's gut", sage ich und verkniff mir die Bemerkung. Jetzt bloß keinen Fehler machen und riskieren, dass sie mich nicht mitfliegen ließ. Ich drückte sie kurz, winkte und eilte zu Maggie.
"Ruf mich an, wenn ihr gelandet seid!"
"Mach ich." Vielleicht.
"Deine Mum hängt ganz schön an dir", bemerkte Susan und es war mir, als hörte ich sie zum ersten Mal sprechen. Ohne Witz, das Mädel redete so gut wie nie. Was mir unbegreiflich war, wo ich doch die Zähne nicht zusammen lassen konnte.
"Der Schein trügt", antwortete ich und wackelte mit den Fingern, als ich sah, wie Britney zu mir rüber guckte. Lächeln, nicken, Arschloch denken. Sie schaute schnell wieder weg und raffte ihren Rock, als Cameron zusammen mit Brody aus einem Jeep stieg. Ich musterte ihn und mir fiel auf, dass er nicht ganz taufrisch wirkte. Seine Kleidung war zerknittert und die Haare wüst. Brodys Dad hupte einmal kurz und fuhr dann davon.
"Cameron sieht so heiß aus", flüsterte Susan und ich nickte abwesend. Ich malte mir im Kopf schon die schlimmsten Szenarien aus, warum er so kaputt wirkte.
"Also wirklich, Jules. Wenn ich mit ihm unter einem Dach leben würde, dann wäre er vor mir nicht sicher", redete sie weiter und ich fuhr herum. "Sag mal, hast du ein Wörterbuch gefrühstückt oder was?", maulte ich und funkelte sie an.
"Komm schon, Jules. Lass gut sein", meinte Maggie und wollte mir schlichtend die Hand auf den Arm legen, doch ich wich zurück.
"Nein. So etwas taktloses kennt keine Beispiele. Echt mal", sagte ich und packte meine Sachen.
"Jules. Ich wollte dich nicht ärgern", warf Susan ein und ihre braunen Augen waren rund wie Untertassen. Warum war ich so wütend? Das war doch überhaupt kein Grund so auszurasten. Ich bekam meine Tage. Ganz bestimmt.
"Ist schon okay", beruhigte ich sie und folgte der Klasse zu Mr Ford, der uns ins Gebäude lotste. Alles okay.

Okay, ich hatte eine scheiß Flugangst. Als der Flieger abhob, zerquetschte ich Maggie beinahe die Hand. Atmen, Jules. Atmen. Kleine Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn und ich wischte sie energisch weg.
"Gleich geschafft. Gleich geschafft", murmelte Maggie und verkniff sich ein Grinsen. Dumme Nuss. Aber tatsächlich, nachdem wir die volle Flughöhe erreicht hatten, legte sich auch meine Panik. Wir quatschten über nichts und jeden und als sie zur Toilette ging, setzte Cameron sich neben mich. Er stieß mich leicht an und lächelte schief.
"Na, hast du mich vermisst?", fragte er und sein Lächeln wurde breiter.
Ja. "Nein." Er rückte näher.
"Wetten doch", sagte er mit rauer Stimme und ich schwöre bei Gott, wenn er nicht mit dieser Tonlage aufhörte, dann würde ich ihm aus der Hand fressen.
"Vielleicht ein kleines bisschen", gab ich zu und griff nach einer kleinen Flasche Wasser. Meine Hände zitterten immer noch ein wenig und ich verfluchte sie dafür. Dämliche Hände.
"Hey, was ist denn?", fragte Cameron besorgt und schraubte mir die Flasche auf. Ich trank einen Schluck und nahm mir den Deckel aus seinen großen Händen, um die Flasche wieder zu verschließen.
"Nur ein wenig Flugangst. Nichts weiter", meinte ich und kniff die Augen zusammen, als der Flieger zu rütteln begann. Jap, da flog ich einmal mit meiner Klasse und wir hatten Turbulenzen. Nett. Es waren verdammt nochmal nur zwei Stunden. Da durfte ich nicht sterben. Habt ihr mal gesehen, wie die Leute aussehen, die sie aus den Fracks schälen? Das war keine Art, wie ich verenden wollte.
"Ganz schön spooky, wie du mich einfach ausgeschaltest hast", bemerkte Cam und ich starrte ihn an.
"Witzig."
Maggie kam über den Flur zu uns, in der Hand zwei Tüten Studentenfutter. "Guck mal, was ich den Flugbegleitern geklaut habe", rief sie und kicherte. Ich trat Cam leicht gegen sein Schienbein.
"Das ist dein Stichwort", sagte ich. Seine blauen Augen blitzten.
"Du willst mit mir teilen?"
"Ich will, dass du verschwindest", sagte ich lachend und verstummte, als er mir einen Kuss auf die Wange hauchte und grinsend, die Hände in den Taschen über den Gang zu seinem Platz schlenderte. Maggie plumpste in ihren Sitz und lächelte.
"Du und Cameron, das ist besser als jede Seifenoper."

Fighting Cameron Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt