Broken

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Cameron
"Ganz besonders nuttig", sagte ich und hasste mich selber für diese Worte. Aber wem machte ich hier eigentlich etwas vor, ich hasste nicht nur mich selber, ich hasste die ganze Welt. Warum? Darum. Brauchte ich eine Erklärung um zu hassen? Nein. Niemand hatte das Recht mir vorzuschreiben, wie ich mich zu fühlen hatte. Ganz ehrlich, Hass war mir lieber als gar nichts zu fühlen. Wenn ich mich entschied den ganzen verdammten Mist an mir abprasseln zu lassen, wie Regen von einer Fensterscheibe, dann war ich so gut wie tot. Hassen bedeutete leben und leben war gut.
Juliannes Augen wurden groß und ein zarter Schimmer legte sich über diese wundervollen blauen Augen, die meine ganze Welt hätten werden können. Hätten. Konjunktiv II. Ihre volle Unterlippe begann zu zittern und ich war mir so, so sicher, dass sie anfangen würde zu weinen. Nicht jämmerlich. Nein, dafür war sie zu stark. Aber leise, würdevoll. Doch nicht eine einzige Träne löste sich. Mit Erstaunen und Faszination zugleich beobachtete ich, wie sich ihre Gesichtszüge erhärteten und ihre Haltung sich versteifte. Sie wählte einen anderen Weg. Sie wollte nicht das Opfer sein und dafür mochte ich sie noch mehr. Noch nie zuvor hatte ich ein so starkes, selbstbewusstes, intelligentes Mädchen kennengelernt. Und ich war gerade dabei die Erste, die mich wirklich interessierte zu verlieren. Bevor ich sie überhaupt hatte. Doch, gestern für diesen kurzen Moment, als wir aus der Realität geflüchtet waren, da war sie Mein gewesen und ich Ihrs. Aber Märchen sind nunmal nur Fiktion, am Ende reitet der Prinz nicht mit der Prinzessin in den Sonnenuntergang.
Jules holte aus und knallte mir eine, dass mein Kopf nur so zur Seite schnellte. Das Gesicht vor Schmerzen verzogen, tastete ich meine Wange ab und spürte bereits jetzt eine fette Prellung unter dem linken Auge. Das würde ein hübscher Bluterguss werden. Irgendwo hatte ich es ja auch verdient, aber sie hatte mit mir gespielt. Mich weggeworfen. Einen Moment der Schwäche ausgenutzt, nur um mit dem Quarterback der High-School flirten zu können. Frauen waren nun mal wie Bienen: Ist die eine Blume bestäubt, flattern sie zur nächsten Pflanze.

Jules
"Geh, Cameron", sagte ich und war unglaublich stolz auf mich selber, dass meine Stimme nicht zitterte. Er hielt seine Wange und am liebsten hätte ich ihm ein Kühlkissen gereicht und mich entschuldigt ihn verletzt zu haben. Aber er hatte auch mich verletzt. Vielleicht nicht körperlich, aber seelisch. Tief. Er starrte mich noch immer an und ich machte einen Schritt zurück. Weg von ihm und der Zukunft, die wir nie zusammen haben würden. Ich war 17. Mit 17 findet man nicht die Liebe seines Lebens. Sich zu verlieben ist irrational und völlig überbewertet. Am Ende bricht es dir doch nur das Herz.
"Cameron, geh", forderte ich wieder und spürte heiße Tränen in meinen Augen. Wie sie sich ansammelten, als wollten sie den verdammten Niagarafällen Konkurrenz machen. Frustriert fuhr er sich durch das dunkle Haar, öffnete den Mund, schloss ihn wieder und ging. Einfach so. Als die Tür ins Schloss fiel, brach ich auf einem Stuhl zusammen und vergrub mein Gesicht in den Händen. Doch die Tränen kamen nicht, stattdessen legte sich eine eiskalte Hand um mein Innerstes und drückte, drückte bis ich taub war. Keinen Schmerz, keine Trauer mehr fühlte. Nur noch dieses Gefühl der Einsamkeit. Ich war einsam, obwohl so viele Menschen um mich herum waren.
"Jules, bist du ok?", fragte Mum mich und ich schaute auf. Sie hatte ihre großen Kopfhörer um den Hals hängen und musterte mich besorgt. Plötzlich hatte ich dieses starke Bedürfnis mich in ihre Arme zu werfen und die Welt, Cam, einfach zu vergessen. Doch da sagte sie:"Wo ist denn eigentlich Cameron? Du hast ihn doch nicht etwa vergrault?" Die Besorgnis verschwand aus ihrer Stimme, stattdessen bildete sich ein anklagender Unterton heraus. Die Realität hatte mich wieder einmal eingeholt. Meine Mum war nie mein Anwalt, sondern immer der meines Gegners. Sie stand nie in meiner Ecke, sondern bestach lieber den Ringrichter, damit der andere gewann. Meine Mum war nicht meine Mutter. Sie war einfach nur ein Teil, der für meine Zeugung notwendig gewesen ist. Nichts weiter und anscheinend dachte sie genauso, sonst wäre sie anders zu mir. Sonst wäre sie liebevoll und beschützend. Sie würde mich stärken und verteidigen, aber das tat sie nicht. Ich, ihre Tochter, saß zusammengekauert auf einem Stuhl und sie machte sich Sorgen darum, ob ich Cam vertrieben hatte.
"Du hörst mir gar nicht zu", klagte sie mich an und ihre Stimme klang missbilligend.
"Nein, das tue ich wirklich nicht. Da haben wir doch was gemeinsam", antwortete ich und stiefelte aus der Buchhandlung. Dieses taube Gefühl machte sich immer breiter in meiner Brust und ich setzte mich an einen Tisch im Falling Stars. Einfach, um mich selber zu bemitleiden.

Zwei Wochen später war immer noch keine Normalität auf der Ranch eingekehrt. Ich spreche nicht umsonst von der "Ranch" denn mein Zuhause ist noch immer New York. Mit meinem Vater hatte ich mich ausgesöhnt, aber mit meiner Mum... Da war nur die Situation zwischen mir und Cam schlechter. Wir redeten nicht miteinander. Wir reichten uns beim Essen nicht das Salz und wir fuhren nicht gemeinsam zusammen auf der Rückbank. Auch die Geschichtsstunden waren anstrengend. Ich spürte so oft seinen Blick im Nacken, aber drehte mich nie zu ihm um. Mir fehlten unsere Wortgeplänkel. Mir fehlte Cameron.

Cameron
Die dritte Party diese Woche und das fünfte Glas Wodka an diesem Abend und die Welt erschien mir immer  beschissener. Sich das Leben schön trinken? Eine Lüge. Egal welches Arschloch sich das ausgedacht hatte, gehörte gesteinigt. Mit jedem Schluck und wahrscheinlich auch jeder Gehirnzelle, die abstarb, wurde meine Wut auf das Leben größer und das Loch in das ich fiel tiefer, schwärzer. Ein Licht am Ende des Tunnels? Ebenfalls Quatsch. Egal wie ich mein Leben auch drehte und wendete ohne Jules darin war da kein Licht. Sondern nur Finsternis. Alles umhüllende, verschlingende Finsternis.
Ein Mädchen mit viel zu dünnen Beinen zwinkerte mir zu und deutete mit der Bierflasche in ihrer Hand auf eine Tür, die wahrscheinlich zu einem Schlafzimmer gehörte. Trinkende Frauen konnte man mir eigentlich nackt auf den Bauch binden, ohne, dass ich Lust darauf hätte, sie zu vernaschen. Jules würde sich nie einem Typen so an den Hals werfen. Aber vielleicht lag darin auch der Denkfehler, den ich machte. Julianne hatte mir nur Probleme bereitet. Meine Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Ich verschwand mit der Schnappsdrossel auf dieses Zimmer. Vergeblich versuchte ich den letzten klaren Gedanken zu verdrängen, als ich mich ihr widmete. Ich wollte kein Mädchen wie Jules. Ich wollte nur Jules.

Fighting Cameron Where stories live. Discover now