Besonders

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Der Morgen danach. Etwas, was ich auf keinen Fall mit Cameron erleben wollte. Auch wenn ich nicht mit ihm geschlafen hatte, also im Sinne von Matratzensport oder Salami-Verstecken, wusste ich, dass es peinlich werden würde. Dieses unangenehme Gefühl war in so einer  Situation immer da. Wenn die Emotionen versiegt sind und die Hormone sich beruhigt haben und du Zeit hast darüber nachzudenken, was da eigentlich wirklich passiert ist. Nichts war passiert, aber dennoch so viel. Cameron hatte seine weiche, verletzliche Seite enthüllt und seine Mauern fallen lassen und ich hatte ihm gezeigt, wie sehr ich ihn eigentlich tief in meinem Inneren mochte. Auch wenn ich das immer wieder verdrängte und vergaß.
Der Punkt ist, ich wollte diese Situation nicht noch peinlicher machen und wartete deshalb, bis er tief und selig schlummerte, ehe ich unter seinem Arm hervor tauchte und einen letzten Blick auf sein Gesicht warf. Das Licht der Sterne, dass durch die Fenster fiel, legte einen blassen Glanz auf seine makellose Haut und die schwarzen Haare schimmerten, als wären sie mit Sternenstaub besprüht worden. Ich schüttelte den Kopf und riss mich los. Auf leisen Sohlen tapste ich in mein Zimmer, lehnte mich mit dem Rücken gegen die Tür und ließ mich bis auf den Boden sinken. Ich mochte ihn, ja. Aber das, so etwas wie eben gerade durfte nie wieder passieren. Männer wie Cameron Boudreaux verhießen nichts als Ärger. Aber verdammt, wenn gerade diese Seite der Münze nicht so verdammt aufregend war...

Cameron
Es musste bestimmt schon Mittag gewesen  sein, als mich die viel zu hellen Strahlen der Sonne aus dem erholsamsten Schlaf rissen, den ich je hatte. Gedankenverloren legte ich den Arm um Jules, fest entschlossen ihr endlich mehr zu zeigen, wie besonders sie doch war. Damit meinte ich nicht besonders dämlich oder zickig, nein, sie war einfach besonders... positiv besonders.
Allerdings griff ich ins Leere. Meine Augen öffneten sich und ich erblickte die verlassene Stelle neben mir. Die Laken waren zerwühlt und der Abdruck ihres wunderschönen Gesichts zeichnete sich auf dem Kissen ab. Mit der flachen Hand fühlte ich, ob die Matratze noch warm war. Vielleicht war sie ja nur kurz auf der Toilette. Aber nein, die Kälte kroch meinen Arm hinauf und legte sich mit eisernem Griff um mein Herz. Das hatte ich davon, wenn ich mich anderen öffnete. Ich wurde verletzt. Und Julianne Summers konnte das ganz besonders gut. Jetzt hatte ich es: Darin war sie besonders. Sie war besonders herzlos.

Jules
Cameron aus dem Weg zu gehen hatte mir den ganzen Morgen über Kopfschmerzen bereitet. Immer wenn irgendwo im Haus eine Tür aufging oder eine Toilettenspülung betätigt wurde, zuckte ich zusammen und versteckte mich hinter der Couch, dem Vorhang im Esszimmer oder dem Küchentisch. Wirklich. Mit 17 Jahren. Gegen 11 Uhr war ich sogar so verzweifelt gewesen, dass ich meine Mum mit in die Buchhandlung begleitet hatte. Bücher einsortieren, bestellen und die Regale abstauben. Wie konnte so viel Arbeit anfallen, wenn der Laden noch nicht geöffnet war. Herrgott, Mum hatte sich noch nicht mal für einen Namen entscheiden können, wie sollte sie je dieses Geschäft am Laufen behalten?
Was positiv an der Sache war, war nicht die Zeit mit meiner Mutter, sondern mal unter Leute zu kommen. Ich hätte fast einen emotionalen Zusammenbruch erlitten, als sie mich gefragt hatte, ob ich die Post holen könnte. Vor Freude versteht sich. Also schlenderte ich durch die kleine Stadt, das kleine Dorf...Kaff...und hielt die Augen nach etwas Besonderem offen. Kleine, niedliche Cafés, wie das Falling Stars( sehr originell, wo dieses bescheidene Fleckchen Erde doch Falling Stars hieß) tümmelten sich nebeneinander und ich schwöre bei Gott, wenn ich noch einen Pferdeapfel auf dem Gehsteig umschiffen musste, dann würde ich kotzen. Es war verdammt still hier. Wenn New York die Stadt ist, die niemals schläft, dann ist Falling Stars das Dorf, das niemals wach ist. Ich schob die Sonnenbrille auf meiner Nase ein bisschen weiter nach oben und blickte in den strahlend blauen Himmel. Kein einziges Wölkchen störte diesen warmen Tag und ich seufzte, als ich daran dachte, dass die Winter hier in Montana knallhart sein konnten. Solange es noch warm war, würde ich meine kurzen Sachen anziehen, bis sie auseinander fielen. Leichten Fußes erklomm ich die Stufen ins Postgebäude und holte unsere Briefe ab. Morgen würden die Möbel mit dem Möbelwagen kommen und ich war wirklich glücklich dann endlich wieder in meinem Bett schlafen zu können. Mit der Post unter dem Arm verließ ich das Amt wieder und blinzelte gegen die Sonne an. Natürlich musste die es jetzt auch noch übertreiben und schien mir unbedingt einen Stich verpassen zu wollen. Praktisch blind blieb ich stehen und schirmte meine Augen mit der Hand ab. Wenn diese blöde Sonnenbrille ihre Arbeit tun würde, dann stünde ich hier nicht wie bestellt und nicht abgeholt. Plötzlich rempelte mich jemand an und ich verlor beinahe das Gleichgewicht.
"Sag mal, hast du keine Augen im Kopf?", fuhr ich den Verantwortlichen an und drehte mich um. Irgendwo her kannte ich sein Gesicht. Ich wusste nur nicht von wo. Er sah gut aus. Nicht übernatürlich perfekt, wie Cam aber auch er hier hatte seine Vorzüge. Grüne Augen, blonde Haare, gebräunte Haut. Typ Surfer. Er schaute mich aus zusammengekniffenen Augen an und entspannte sie sogleich, als doch eine Wolke ihren Weg nach Falling Stars gefunden hatte und der Sonne ihre Helligkeit nahm.
"Tut mir leid. Wegen der Sonne habe ich nichts gesehen. Alles okay bei dir?" Ich machte eine wegwischende Handbewegung. Er hatte sich entschuldigt, also war von meiner Seite aus alles roger in Kambodscha.
"Ist schon okay", antwortete ich und grinste.
"Puh", seufzte er und fuhr sich lächelnd mit dem Handrücken über die Stirn. "Bist du nicht Jules?"
"Wie sie leibt und lebt." Er lächelte breiter.
"Ich bin Will Brighten." Ich gab ihm die Hand und erwiderte sein Lachen. "Ich würde ja gerne weiter mit dir plaudern, aber meine Mum braucht die Post im Buchladen. Hat mich wirklich gefreut, Will."
"Weißt du was, ich begleite dich", teilte er mir mit und ich setzte mich in Bewegung. Er war wirklich groß, vielleicht sogar ein paar Zentimeter größer als Cam.
"Kommst du von hier?", fragte ich ihn und wich einem Kind mit einer Eistüte aus, die mindestens halb so groß war, wie es selber.
"Ja und du kommst aus New York, oder?" Ich nickte und strich mir die Haare hinter die Ohren. Er war wirklich sympathisch, aber trotzdem löste er nicht dieses Kribbeln in meinem Bauch aus, wie Cam. Innerlich stöhnte ich auf. Wie Cam, wie Cam, wie Cam! Konnte ich eigentlich einmal fünf gerade sein lassen und diesen Mistkerl vergessen? Ein super süßer Typ, der mich anscheinend mochte, ging neben mir her und alles woran ich denken konnte, war, was mir alles entging wenn ich Cameron ziehen ließ. Eine Menge Ärger, Jules. Eine Menge Ärger.
Wir kamen in der Buchhandlung an und er hielt mir die Tür offen.
"Okay, du bist der erste Außenstehende, der das hier zu sehen bekommt", warnte ich ihn vor und er folgte mir durch etliche mit Planen abgedeckte Regale. Im hinteren Teil des Ladens hörte ich Stimmen. Wahrscheinlich war Renald vorbeigekommen.
"Sieht toll aus", bemerkte Will und ich lachte. Er sah mich verwirrt an. Super Jules, du vertreibst ihn jetzt schon.
"Nein, sieht es nicht. Noch ist das die reinste Bruchbude."
"Nein, ehrlich. Das sieht toll aus." Ich verdrehte die Augen. Wie auch immer.
"Willst du einen Kaffee?", fragte ich und deutete auf eine Tür hinter mir.
"Nein. Er will jetzt gehen. Nicht wahr, Brighten?", seine Stimme, Cams Stimme, ließ mein Herz still stehen, bevor es wie wild anfing in meiner Brust zu hämmern. Was machte der denn hier?
"Boudreaux. Du hier?", gab Will zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Cameron ahmte seine Haltung nach.
"Ja, und du gleich nicht mehr", erwiderte Cam und der drohende Unterton ließ mich scharf einatmen.
"Was auch immer", gab Will nach und drückte mich kurz. "Wir sehen uns morgen beim Essen in der Cafeteria. Okay?"
"Gerne. Machs gut." Als er gegangen war, drehte ich mich zu Cam um und funkelte ihn böse an. Er sah ganz schön angepisst aus.
"Was sollte denn das?", stellte ich ihn zur Rede. Er hob spöttisch eine Augenbraue und legte einen Finger unter mein Kinn. Meine Haut brannte wie Feuer, als seine Haut meine berührte.
"Weißt du, was du bist?", fragte er leise, bestimmt. Ich schüttelte unsicher mit dem Kopf. "Du bist besonders. Ganz besonders nuttig."

Fighting Cameron Where stories live. Discover now