Dealer?

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Früher als Kinder haben wir mit Pokémonkarten gedealt. Unsere Eltern wurden zweimal am Tag angebettelt, damit sie uns noch ein Pack kauften. Ein paar Tränen hier und Hundeblick da und mein Dad hatte mir jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Es ist also gut vorstellbar, dass ich immer die besten Karten hatte. Doppelt. Und ich habe mit ihnen gedealt, was das Zeug hält. Jetzt stand ich allerdings mit offenem Mund vor Cam und seinem Vollpfosten-Freund Brody und konnte mir keinen Reim darauf machen, warum er so eine Scheiße baute.
"Du bist absolut dämlich", sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Brody zog gerade an der Zigarette und verschluckte sich fast daran.
"Fuck! Alter, du hast doch gesagt, dass keiner hier rauskommt", rief er und Cam verdrehte die Augen.
"Jules, geh wieder rein", meinte er und strich sich über den ausgeprägten Kiefer. Dabei hatte er kein Kinn, mit dem man eine Bierflasche köpfen konnte, sondern einfach eines, das schön geschwungen war.
"Nein. Mach die Kippe aus", forderte ich und hielt ihm meine Hand hin.
"Geh rein. Das geht dich nichts an", brummte er und seine Stimme wurde härter. Drohender.
"Deine Mutter interessiert sich bestimmt für die Drogengeschichten ihres Sohnes', versuchte ich. Mir war es egal, ob ich unfair spielte. Mein Ziel war es ihn zum Aufhören zu bewegen.
"Das wagst du nicht", knurrte Cam und baute sich vor mir auf. Wenn ich nicht so verdammt wütend auf ihn wäre, dann hätte ich ihn anspringen können.
"Okay, sorry. Cam, ich mach die Fliege. Hab keinen Bock auf Stress", rief Brody, klopfte ihm auf die Schulter und ging stiften.
"Dealst du etwa auch?", fragte ich Cameron und packte seine Handgelenke. An die Oberarme kam ich nicht so ganz ran, ohne mir die Schultern zu zerren.
"Das geht dich einen Scheißdreck an", brummte er und ich funkelte ihn böse an. Sein Gesicht war verkniffen und seine Muskeln spannten sich unter meinem Griff an.
"Verkaufst du auch an Kinder?", bohrte ich tiefer. Er schaute mich fassungslos an. "Nur damit ich das Ganze hier richtig durchblicke, weißt du? Könnte ja sein, dass du der Allgemeinheit nur helfen möchtest. Indem. Du. Drogen. Vertickst." Cam wollte sich aus meinem Griff befreien, doch ich blieb standhaft. Natürlich hätte ich seiner Kraft nichts entgegen zu setzen, aber noch ging es.
"Hör auf!" Jetzt hatte ich ihn fast so weit.
"Verkaufst du mir auch welche?", fragte ich und starrte ihn weiter an. Seine Gesichtszüge entgleisten und er riss sich los.
"Was? Natürlich nicht!", zischte er und fuhr sich übers Gesicht.
"Wieso nicht?"
"Weil Drogen alles kaputt machen!" Er zuckte zusammen, als er realisierte, was er gerade gesagt hatte.
"Und warum spülst du dann dein Leben die Toilette runter?" Mutig machte ich einen Schritt auf ihn zu und verdrängte das ungute Gefühl in meinem Bauch. Für einen Moment blinzelte er und sah so aus, als würde er einen inneren Kampf austragen, im nächsten Augenblick war er wieder emotionslos. Ich ließ die Schultern sinken, als er mein Gesicht in seine großen Hände nahm. Er beugte sich zu mir runter und plötzlich fiel mir das Atmen schwer. Cameron schaute mir direkt in die Augen und seine Haare kitzelten meine Stirn.
"Du hast mein Leben schon das Klo runtergespült. Du. Ich muss jetzt mit der Verstopfung klarkommen", sagte er, ließ mich los und stapfte ins Haus. Obwohl mich seine Worte verletzen sollten, ich meine richtig verletzen, taten sie es nicht. Sie weckten meinen Ergeiz und brachten mir die Erkenntnis, dass ich mich vielleicht doch lieber auf die Suche nach einem netteren Kerl machen sollte. Trotzdem konnte Cam mich mal kreuzweise, wenn er dachte, dass diese Diskussion zu Ende war. Vielleicht hatte er die Schlacht gewonnen, aber den Krieg noch lange nicht. Und ja, dabei bin ich mir bewusst, wie dämlich das klingen mag.

Cameron
Jules verstand gar nichts. Nichts. Sie wusste nichts über mich. Und vielleicht war ich auch daran Schuld, aber trotzdem konnte ich nicht fassen, dass sie mich beschuldigte Drogen an Kinder zu verticken. Selbst ein so kaputter Typ wie ich hatte Prinzipien. Ich nahm ihr überhaupt nicht übel, dass sie angenommen hatte, dass ich Drogen nahm. Aber mich hatte sie nicht am Joint ziehen sehen. Nur Brody, dieser Idiot hatte es mal wieder nicht aushalten können. Ich raufte mir die Haare und lief fluchend in meinem Zimmer auf und ab. Es war ja klar, dass mir ein bisschen Glück im Leben nicht vergönnt war. Da war ich so kurz davor gewesen, Jules nach einem Date zu fragen und dann sah sie mich kiffend, eigentlich nur Brody kiffend, hinterm Haus. Und weil sie mich gekränkt hatte, verhielt ich mich wie ein verletzter Hund, der seine Wunden lecken musste und klärte die ganze Scheiße nicht mal auf.
Es war, wie es war: Julianne und ich entsprangen zwei unterschiedlichen Welten. Als sie am ersten Tag hier in mich reingerannt kam, da hatte sie schon einen Teil von mir gefangen. Und dieser Teil wollte einfach nicht mehr zu mir zurück. Mit ihrer perfekten Frisur und den Designer-Klamotten hatte sie so unnahbar gewirkt. Fast zu vollkommen und doch hatte ich sie förmlich in den Händen gehalten. Auch wenn es krank klingen mag, genau dieses Paradoxe daran hatte mich aufmerksam gemacht. Ich hatte schon viele Mädchen mit einem tollen Aussehen getroffen, aber viele waren mehr Schein als Sein. Doch als Jules mich zum ersten Mal beschimpft hatte, da hatte ich gemerkt, wie besonders sie doch war. Wie sagt man so schön: Das Aussehen öffnet die Tür, aber in einem leeren Haus bleibt man nicht lange. Dazu bleibt mir nur eine Aussage: Ihr Haus ist bis oben hin vollgestopft. Jules war keineswegs oberflächlich, sie war spittzüngig, witzig, klug und, das Wichtigste, sie hatte Charakter. So viel Charakter, dass viele Menschen sie als arrogant, selbstherrlich oder abgehoben beschreiben würden, aber das stimmte nicht. All die Barbies dieser Welt hatten sich bestimmt immer vor einem solchen Mädchen gefürchtet. Eine, die ohne Plastik und Fake-Lächeln alle in ihren Bann ziehen konnte. Eine, die mich in ihren Bann gezogen hatte. Egal was ich auch versuchte, egal wie sehr sie mich verletzte, ich kam nicht von ihr los.

Fighting Cameron Where stories live. Discover now