I will be king

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Die Tage vergingen und mein Schub wurde immer schlimmer. Ununterbrochen hing ich entweder mit Schmerzen in meinem Bett oder auf dem Klo.
Obwohl die Ärzte mich schon mit unzähligen Medikamenten vollpumpten, wurde es einfach nicht besser. Und so ging es mir Tag für Tag immer schlechter.

Nach etwa einer Woche voller Schmerzen wurde ich zu meinem Arzt, Dr. Ningel, gerufen.
"Guten Morgen Anna. Wie geht es dir?", fragte er mich, als ich zur Tür herein kam. >Was für eine dumme Frage< Ich verdrehte die Augen: "Nicht sonderlich, wie Sie vielleicht sehen können. Die Medikamente scheinen nichts zu bringen und ich verliere immer noch sehr viel Blut."
Mitleidend betrachtete er meine Gestalt; durch den Blutverlust, der durch eine Blutung in meinem Darm durch den Schub ausgelöst wurde, war ich sehr blass geworden; von den Schmerzen und Krämpfen im Bauchbereich, konnte ich nichts mehr in mir behalten, geschweige denn, überhaupt etwas zu mir nehmen. Kurzum, ich sah furchtbar aus. Hinzu kam noch, dass die Chemo mich schrecklich mitnahm. Er seufzte: "Ja Anna. Das sehe ich. Das sehen wir alle. Und genau deshalb bist du heute hier. Wir würden gerne einen Bluttest machen und dir möglicherweiße eine Bluttransfusion geben. Außerdem wollen wir eine Darmspiegelung machen, um zu sehen, ob der Schub etwas mit deinem Krebs zu tun hat. Wenn es für dich in Odnung ist, würde ich dich gerne schon ab heute auf die Darmspiegelung vorbereiten", fragend schaute er mich an. Ich wusste was das hieß: Abführmittel trinken bis zum Umfallen. Gott, wie ich das hasste.
"Naja wenn es unbedingt sein muss", gab ich genervt von mir. Für einen kurzen Moment lachte Dr. Ningel auf: "Ja das muss leider sein", doch dann wurde er wieder ernst: "Ich will dir wirklich keine Angst machen, aber wir müssen ausschließen, dass dein Krebs Schuld an dem enormen Schub ist. Wir müssen ausschließen, dass der Krebs sich ausgebreitet hat, verstehst du?"

Wiederwillig gab ich mich seinen Befehlen hin und holte direkt nach dem Gespräch mein kleines Wundermittel ab und begab mich auf mein Zimmer. Hier würde ich, auf die nächsten Stunden verteilt, drei Liter Abführmittel zu mir nehmen und mir wünschen ich wäre schon lange tot.

Nach etwa einem Liter des Grauenswassers spürte ich dessen Wirkung, und sofort rannte ich aufs Klo. Die nächsten Stunden würden eine Qual werden.
Als ich gerade vom Klo zurück kam, stand Leo in der Tür: "Hey Anna. Alles klar bei dir? Du warst heute gar nicht im Unterricht. Ich hab mir Sorgen gemacht, und dachte ich schau mal vorbei."
Ich hatte ganz vergessen ihm Bescheid zu geben. Schnell erklärte ich ihm alles und rannte danach sofort wieder auf s Klo.
Als ich wieder zurück kam, war Leo immer noch da. Er hatte sich in mein Bett gelegt und den Fernseher eingeschalten. Als er mich sah, rutschte er etwas zur Seite und deutete an, mich zu ihm zu legen. Wir verbrachten zusammen den Rest des Tages, und es schien ihn weder zu stören, dass ich alle 10 Minuten ein Glas Abführmittel exen musste, noch, dass ich davon auch dauernd aufs Klo rannte. Er war einfach da für mich.

-

"Oh nein, ich halte es gleich nicht mehr aus", rief ich und rannte aufs Klo. Ich hatte gerade die Klotüre zugeschlagen da hörte ich Max jubeln: "Jawoll ich hab gewonnen! Ha! Ohje aber Schatz beeil dich, ich muss auch so dringend!" Ich musste lachen. Max und ich hatten am nächsten Tag beide eine Darmspiegelung, und so quälten wir uns zusammen durch die drei Liter Schreckenswasser und machten daraus ein Spiel: Wer es schaffte, länger nicht aufs Klo zu rennen. Eigentlich richtig kindisch, aber es tat gut. Für eine Weile einfach alles vergessen und einfach nur dämliche Spiele zu spielen. Max hatte trotz all der schrecklichen Zeit, die wir durchmachten, nie seine Lebensfreude verloren. Er war immer derjenige, der die anderen aufbaute; der mich aufbaute. Nur durch ihn, hatte ich nicht schon lange aufgegeben. Für ihn wollte ich weiter kämpfen. Für ihn; und unsere Zukunft.

Doch so weit sollte es nie kommen.

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Der Rest des Tages verging qualvoll langsam und ich wurde immer erschöpfter.
Am späten Abend war ich endlich fertig mit den drei Litern und konnte wieder etwas entspannen. Leo hatte sich schon längst verabschiedet; wenn auch nicht ganz freiwillig: Eine Krankenschwester hatte ihn nach 22 Uhr noch bei mir im Zimmer gesehen und in hohem Bogen rausgeschmissen.

Dr. Ningel persönlich weckte mich am nächsten Morgen und brachte mich in seinen Behandlungsraum. Es dauerte nicht lange, und ich war im Narkose Himmel.

Verwundert öffnete ich die Augen; warum hörte ich Wasser? Ich sah mich um und schaute direkt in Hugos verwirrte Augen: "Was machst du hier Anna?" Zwei, drei Mal blinzelte ich noch und schaute mich fragend um: "Das wüsste ich auch gerne. Ich hab keine Ahnung. Weißt du es?"
Hugo schüttelte nur den Kopf. Ich setzte mich auf und rutschte zu ihm an den Beckenrand: "Naja ich denke die Narkose ist nur etwas stark ausgefallen. Das wird schon wieder. Die viel bessere Frage ist doch, was machst du noch hier? Es wird langsam Zeit, dass du wieder aufwachst, findest du nicht auch?" Seine großen Rehaugen schauten mich verzweifelt an: "Aber ich weiß nicht wie" In ihnen sammelten sich Tränen. Sofort nahm ich ihn in den Arm und tröstete ihn, während er furchtbar weinte. Ich flüsterte ihm zu: "Wir finden einen Weg, Hugo. Alles wird gut werden"

Dann verschwamm alles und ich fand mich im Aufwachraum des Krankenhauses wieder.

Als es mir wieder ganz ansprechbar war, durfte ich den Trakt verlassen und ordnete ein Clubtreffen in Hugos Zimmer an: "Leute ich war wieder bei Hugo", begann ich. "Wie du warst WIEDER bei Hugo?!", fragte Alex. Bevor ich antworten konnte, fing Toni an zu sprechen: "Sie war im Schwimmbad bei Toni. So wie Jonas schon einmal bei ihm war. Hugo hat es mir grade erzählt" Die anderen hatten davon schon einmal gehört, konnten es aber kaum fassen. "Ja und was jetzt? Warum hast du ein Treffen angeordnet?", wollte Jonas wissen.
"Hugo ist verzweifelt. Wir müssen ihm aus dem Schwimmbad helfen. Wir müssen nur heraus finden wie", die anderen nickten zustimmend.

Eine Weile grübelten wir, wie wir Hugo helfen konnten, wieder aufzuwachen, doch wir fanden keine Lösung. Niedergeschlagen gingen alle wieder in ihr Zimmer, bis nur noch ich bei Hugo war.
"Ach Hugo, was sollen wir denn nur machen? Wir wissen doch auch nicht weiter"
Im nächsten Moment klingelte mein Handy. Heroes von David Bowie.

I, I will be king.
And you, you will be queen.
Though nothing, will drive them away.

Immer noch mitsummend ging ich ran: "Hallo?" "Hallo hier ist Ulrike Hansen. Hätten Sie kurz Zeit an einer Umfrage teilzunehmen?", "Nein danke", sagte ich genervt und legte auf.
Auf so einen Mist hatte ich wirklich keine Lust.

"We can beat them, just for one day..", gedankenverloren schaltete ich die Musik an meinem Handy ein und sang leise mit.

"I.... will be king... you... queen...", erschrocken schaute auf. Außer mir und Hugo war niemand im Raum, der hätte mitsingen können. Ich drehte die Musik noch etwas lauter. Da sah ich es. Hugo sang mit. Zwar nur Bruchstücke, aber er sang definitiv mit!

Plötzlich wurde ich von einem Klopfen an der Tür gestört. Schnell schaltete ich die Musik wieder aus. Es war Dr. Ningel: "Hier bist du, Anna. Deine Ergebnisse sind da. Würdest du kurz mit mir in mein Büro kommen?" "Natürlich. Aber Moment. Dr. Ningel ich habe grade das Unfassbare gesehen, ich hab Musik laufen lassen und Hugo hat mitges...", der Arzt unterbrach mich: "Du kannst es mir gleich erzählen. Komm bitte erst mit. Es ist wichtig. Sehr wichtig sogar."

Schnell war die Freude über Hugos Gesang verschwunden. Mein Magen schnürte sich zusammen. Schnell stand ich auf und folge Dr. Ningel schweigend in sein Büro.

Ich kannte diesen Ärzte-Blick: Er hatte keine guten Neuigkeiten.

Club der roten Bänder FFTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang