Aber wird es für uns auch eine Zukunft geben?

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Ich hatte gerade alle meine sieben Sachen ausgepackt als es an der Tür klopfte.
"Ja?", rief ich ihr entgegen.
Leo betrat das Zimmer. Und er lief wirklich: "Wow Leo! Seit wann hast du die Prothese? Sieht richtig gut aus!", ich freute mich wirklich. Lief auf ihn zu und umarmte ihn.
Er erwiederte die Umarmung; und so dauerte sie länger als gewöhnlich zwischen Freunden.
"Die Prothese hab ich bekommen, kurz nachdem zu weg warst... Ich hab mir geschworen bis du wieder da bist, kann ich damit laufen. Da ich aber nicht wusste, wann du wieder kommst, hab ich geübt wie wild, um jederzeit bereit zu sein." Etwas verlegen strich er sich über den Kopf.

"Du Anna. Es tut mir alles so leid. Alles was passiert ist. Das mit dir und Emma, dem Spiegel. Das mit mir und Emma. Ich wollte dich nicht versetzten, und schon gar nicht wollte ich dich ERsetzen!", ich wusste erst gar nicht was er meinte, bis es plötzlich klickte. "Warte, du hast mich also wirklich versetzt an dem Tag? Und wirklich für Emma? Ihr hattet was miteinander?!", meine Stimme schoss in die Höhe und mein Herz fing an zu rasen.

Leo sagte gar nichts, sondern starrte einfach nur zu Boden. Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich fing an zu schwitzen. In den unpassendsten Momenten bekam ich diese Schübe. Zu meinem ach so tollen Darmkrebs hatte ich noch die Vorerkrankung: Colitis Ulcerosa. Die Krankheit verläuft schubweise und so einen bekam ich grade wohl wieder einmal. Erstes Anzeichen: Fieber und Schweißausbrüche.

"Kannst du mich bitte ansehen und sagen, dass es nicht so war?", flehte ich ihn an. Doch er tat es nicht. Mein Körper hitzte sich immer mehr auf. Von einer Minute auf die andere schien meine Körpertemperatur von 37 auf 40 Grad hochzuschnellen.

"Weißt du Leo, du kennst mich nicht. Du kennst mich absolut nicht. Ich wollte dir die Chance geben, mir zu zeigen wer du bist; und vor allem wollte ich mir selbst die Chance geben, wieder jemandem zu zeigen wer ich bin. Wer ich wirklich bin. Jemandem zu vertrauen.", mit diesen Worten zog ich meine Perrücke vom Kopf.
Leos Augen wurden groß. Aber er reagierte nicht so, wie ich es erwartet hatte, denn er sagte: "Du bist immer noch die schönste Frau, die ich jemals in meinem Leben gesehen habe"
Er kam auf mich zu, nahm meinen Kopf in seine Hände und küsste mich mitten auf meinen verschwitzen, nackten Kopf. Und wie sich das anfühlte.

Für einen Moment schloss ich die Augen und dachte an Max. Bei ihm hatte ich mich auch immer so begehrt gefühlt. Als gäbe es nichts anziehenderes, als eine Frau mit eingefallenen Wangen, dutzende Einstichstellen von Injektionsnadeln, fahler Haut und Glatze. Er war wie er. Leo war wie Max.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich geweint hatte, bis Leo mir die Tränen von den Wangen strich: "Nicht weinen Anna. Alles wird gut. Und ich kann zwar nichts mehr ändern was in der Vergangenheit passiert ist, aber ich kann jeden Tag versuchen es besser zu machen; dir zu zeigen wie ernst ich es mit dir meine. Das ist alles was ich will: Eine zweite Chance.

Eigentlich war ich niemand der zweite Chancen vergab, allerdings war es sicher ein Zeichen, die Liebe meines Lebens zu verlieren, und danach jemanden zu treffen, der wie ein Zwilling dieses Menschen war. "Na gut. Du bekommst noch eine Chance. Aber zeig mir bitte, dass du es auch so meinst...", etwas traurig schaute ich zu Boden. Noch einmal nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände. Dieses Mal allerdings, schaute er mir tief in die Augen, bevor er mich leidenschaftlich küsste. Und es war wunderschön.

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"Schon komisch. Wir sind Krebskinder. Seit Jahren regiert nichts anderes unser Leben als der Krebs; und trotzdem sitzen wir jetzt hier. Nachdem wir uns wie normale Kinder gestritten haben. Uns wieder vertragen haben. Uns geküsst, uns geliebt haben. Für einen Moment scheint unser Leben dem Leben der anderen zu gleichen. Als hätte es die letzten Jahre nie gegeben. Als hätte es die letzten 40 Chemo Sitzungen nicht gegeben. Die tausenden Tränen nicht gegeben.
Jetzt sitzen wir hier, zwei ganz normale Teenager die total verliebt sind und über den Sinn des Lebens nachdenken. Die Zukunft. Aber wird es für uns auch eine Zukunft geben? Ohne Krebs, ohne Tod. Wir beide zusammen? Komisch..."

Gedankenverloren schaute ich durch die Gegend und sagte einfach gerade heraus was mir durch den Kopf ging. Der Frühlingsabend war so schön heute. Wir waren schon den ganzen Tag drausen, saßen unter einem Apfelbaum und beobachteten die Umgebung.
"Natürlich haben wir eine Zukunft zusammen. Früher oder später finden zwei sich Liebende immer zusammen. Und ich werde immer warten Anna, IMMER."
Max zog mich noch näher an sich heran und ich fühlte mich plötzlich so geborgen, so als ob nichts in der Welt eine Bedeutung hatte. Nichts außer er, seine Nähe, und seine Liebe. Nichts.

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"Alles gut bei dir? Du hast schon wieder im Schlaf geweint", weckte mich Leo, als wir uns, wie jeden Tag, zum typischen gemeinsamen Mittagschlaf verabredet hatten.
"Nein alles gut. Ich hatte nur einen schönen Traum", "Einen schönen Traum? Aber warum hast du denn dann geweint?", "Weil es vorbei ist. Weil ich es nie wieder erleben kann. Es ist für immer weg und ich kann nichts dagegen tun. Nieman kann das." Wieder lief eine Träne meine Wangen herunter. Leo schaute zu seinem Bein: "Ich kenne das Gefühl. Glaub mir", doch er kannte es nicht.
Ein Bein könnte man irgendwie ersetzen, die Liebe deines Lebens kann dir niemand zurück bringen.



Veröffentlicht am 03.11.2017

Club der roten Bänder FFWhere stories live. Discover now