Chemo-Sitzung

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Als ich geduscht hatte, zog ich mir schnell die typische Krankenhauskluft an. Gerade noch so konnte ich meine Perücke aufsetzen, bevor Jonas auch schon an der Tür klopfte: "Kannst rein kommen!"

"Bist du fertig Anna? Wir sollten los", rief er durch den Türspalt hindurch. Er dachte wohl ich wäre noch nackt oder so, auf jeden Fall traute er sich ganz offensichtlich nicht in mein Zimmer.. 

"Ja klar ich bin so weit", rief ich ihm zu. Noch ein letzter Kontrollgriff auf meinen Kopf und ich marschierte los. "Hast du geweint?", fragte Jonas mich; "Äh nein, ich hab Heuschnupfen..", verlegen versuchte ich mich heraus zu reden. "Erstens ist es Herbst, und zweitens kommen die Pollen nicht in ein Krankenhaus rein..", er verdrehte die Augen: "Was ist los? Vielleicht kann ich dir ja helfen" "Damit kann mir niemand helfen, wirklich. Es ist doch egal. Meine Augen werden auch wieder normal",  ich hatte wirklich keine Lust mit irgendjemandem über Max zu reden: "Lass uns einfach zur Chemo gehen", bis grade hatte ich mich wirklich auf die Ablenkung von Jonas für die Chemo gefreut, aber jetzt wusste ich genau, dass er nicht aufhören würde zu fragen; und jetzt war ich 4 Stunden mit ihm gefangen.. Bei der Vorstellung wurde mir übel.

Als wir endlich im Behandlungsraum ankamen, wurde ich schon zur Sitzung erwartet. Jonas fragte ob er seine Chemo auch schon beginnen konnte; und leider ging das auch. 

Und als hätte es nicht anders kommen können, setzte er sich neben mich und frage: "Also jetzt erzähl, warum bist du traurig? Also ich mein, falls du jemanden zum reden brauchst". Er versuchte es ungezwungen klingen zu lassen, aber ich wusste, er wollte unbedingt hören was los war. Da es so schien als hätte ich ja sowieso keine Chance, und mich auch nicht die nächsten vier Stunden langweilen wollte, fing ich an ihm über Max zu erzählen.

"Achso, ich wusste gar nicht dass du einen Freund hast..", Jonas klang etwas niedergeschlagen und enttäuscht. Ich verbesserte ihn, auch wenn mir dabei das Herz blutete: "Hatte" "Oh das tut mir Leid, warum habt ihr denn Schluss gemacht?", wollte er sofort wissen. Seine Augen fingen wieder ein kleines bisschen an zu leuchten. Ein sehr schwerer Stein legte sich auf mein Herz und in meinem Hals bildete sich ein Knoten als ich sagte: "Niemand. Er.. Er ist ges..", ich brachte es kaum heraus. Ich holte tief Luft: "gestorben."

Da fiel es mir auf; ich hatte es noch nie laut ausgesprochen. Noch einmal nahm ich einen tiefen Atemzug: "Max ist tot." Plötzlich wurde alles wieder klar: unser letzter gemeinsamer Abend, die einsamen Stunden, Tage und Wochen nach seinem Tod und der Brief. Alle Gefühle, die ich die letzten Monate erfolgreich versucht hatte zu verdrängen, stürzten dank diesen drei Worten auf mich ein. Es war nicht mehr nur einfach schmerzhaft an ihn zu denken, es zeriss mich von innen, zuerst mein Herz, dann meinen Bauch, meinen Kopf. Plötzlich wurde mir so schlecht, dass ich mich furchtbar übergeben musste. Währenddessen wurde mir eines klar: Ich würde Max nie mehr wieder in meinem Leben sehen. Niemals. Wieder. Nie. 

Noch einmal musste ich brechen. Danach lehnte ich mich zurück in meine Krankenhausliege und bemerkte erst dort, dass ich ja gar nicht alleine war. Jonas starrte mich aufgerissenen Augen an. Es war mir unangenehm; also machte ich die Augen zu und versuchte an etwas schönes zu denken. Doch mir fiel nichts ein. Seufzend öffnete ich wieder die Augen. Jonas starrte mich immer noch an. "Okay Jonas, es reicht. Hast du noch nie eine Frau kotzen sehen oder was?", die Verärgerung meinerseits war nicht zu überhören. Sich dessen bewusst und peinlich berührt schaute er weg: "Äh sorry, das ging grade nur alles ganz schön schnell. Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Es tut mir Leid... Auch das mit Max." Er klang unsicher, als wüsste er nicht ob er Max jetzt erwähnen sollte; so nachdem ich grade gebrochen hatte wie ein Weltmeister. "Danke, ich weiß nur noch nicht ganz wie ich damit umgehen soll. Es tut einfach immer noch so schrecklich weh, weißt du?", und wieder einmal füllten sich meine Augen mit Tränen. Dennoch versuchte ich sie zurück zu halten, doch Jonas merkte das: "Du kannst ruhig weinen Anna. Der Verlust eines geliebten Menschen ist eine der schlimmsten Sachen die einem passieren können. Man selbst ist ja die Person die alleine zurück bleibt und damit umgehen muss. Es ist wichtig sich jemandem anzuvertrauen..", kurz machte er eine Pause: "Es muss ja nicht ich sein. Aber mit irgend jemandem solltest du reden. Danach wird es dir besser gehen, glaub mir." In seinen letzten Worte steckte so eine Intensität, als wüsste er ganz genau wovon er redete. "Woher weißt du das?", plötzlich wusste ich, dass ich es doch nicht wissen wollte. Doch er schien es nicht zu merken und antwortete: "Vor vier Jahren habe ich meine Zwillingsschwester verloren. Im einen Moment war sie auf dem Fahrrad noch direkt hinter mir, und im Nächsten wurde sie von einem LKW erfasst. Damals ist für mich meine ganze Welt zusammengebrochen."

Mein Magen schnürte sich zusammen. Ich schaute ihm in die Augen und konnte den tiefen Schmerz deutlich erkennen. Es war als würde ich in einen Spiegel schauen, und mich selbst darin sehen. 




Veröffentlicht am: 17. April 2016

Club der roten Bänder FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt